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CDU, SPD und FDP verhindern Rehabilitierung von BSE-Whistleblowerin Dr. Margrit Herbst – PIRATEN fordern Gerechtigkeit [ergänzt]

Freiheit, Demokratie und Transparenz Piratenpartei

CDU, SPD und FDP im Segeberger Kreistag verweigerten heute eine Rehabilitierung der fristlos gekündigten BSE-Whistleblowerin Dr. Margrit Herbst. Ihr Verhalten sei “nicht anders als bisher zu beurteilen”, heißt es in der mit 41:9 Stimmen von ihnen verabschiedeten Resolution. Für eine Entschädigung gebe es keinen Anlass. Die Fraktion der Linken zog im Verlauf der Sitzung ihren Antrag auf Entschädigung zurück. Gemeinsam mit dem Piraten Toni Köppen stimmte sie für einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der den Einsatz der Tierärztin würdigte und vorschlug, Dr. Herbst einen finanziell dotierten Preis für Zivilcourage zukommen zu lassen. Dieser Antrag scheiterte wiederum an den Stimmen von CDU, SPD, FDP und des Mitglieds der “Neuen Liberalen”.
Toni Köppen, Mitglied der Piratenpartei im Segeberger Kreistag, appellierte in seiner Rede, für Gerechtigkeit zu sorgen und ein Signal für vergleichbare Fälle zu setzen. “Unsere Gesellschaft braucht mehr Menschen, die ihrem Gewissen folgen und Missständen nicht tatenlos zusehen. Solche Zivilcourage ist vorbildlich und darf nicht bestraft werden.” Margrit Herbst sei unbequem, doch “diese Eigenschaft haben Menschen, die Widerstand gegen Unrecht leisten”. Ihre Entlassung sei “die falsche Option” gewesen. “Wer seinen eigenen Interessen zuwider handelt, um seine Mitmenschen zu schützen, ist Vorbild und sollte nicht bestraft werden.”
Mein Kommentar zu der Entscheidung des Kreistags:

Meines Erachtens ist Frau Herbst ein Fall für den Landtag. Das Land hat die Kündigung durch einen verharmlosenden Ministerbericht mitverschuldet und verweigert bis heute eine Richtigstellung. Auch fehlt bis heute ein wirksamer Schutz für Hinweisgeber und eine anonyme Anzeigemöglichkeit für Missstände. So drängt sich der Eindruck auf, Schlampereien und Pflichtverletzungen in Amtsstuben würden lieber hingenommen als dass man öffentliche Kritik an solchen Zuständen zuließe. Hier wird das Signal gesetzt: “Wenn du bei Misständen wegsiehst, passiert dir nichts, aber wenn du dagegen vorgehst, wirst du bestraft.” Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die wir nicht akzeptieren dürfen!

Manuskript der heutigen Rede von Toni Köppen (Piratenpartei) im Segeberger Kreistag:

Sehr geehrter Herr Kreispräsident, Herr Landrat, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste,
der Kreistag befasst sich heute mit einem Stück Kreisgeschichte. Wir befinden heute im Jahr 2014 über einen Fall, der sich nunmehr bereits über einen Zeitraum von 20 Jahren erstreckt. Wir haben in den zurückliegenden Monaten viele Ansichten und Standpunkte gehört, wir haben viele Unterlagen gesichtet und gelesen. Heute hat dieser Kreistag nun zu entscheiden, wie er politisch mit dem Antrag der LINKEN Kreistagsfraktion umgehen möchte.
Wir haben den Fall in meiner Fraktion ausgiebig erörtert und versucht alle Aspekte zu beleuchten. Aufgrund der Vielschichtigkeit dieses Falles, werde ich nachfolgend nur für meine Sicht der Dinge sprechen. Ich habe versucht in meine Entscheidung nicht nur die formale Seite mit den Arbeitsgerichtsurteilen einfließen zu lassen, sondern auch die zwischenmenschlichen Aspekte. Dabei habe ich mich natürlich mit der Person Margrit Herbst als solches auseinandergesetzt und auch versucht die Ansichten und das Verhalten in der damaligen Zeit mit einzubeziehen.
Wie wir wissen kündigte der Kreis Frau Dr. Herbst damals fristlos, weil sie öffentlich kritisiert hatte, im Schlachthof Bad Bramstedt gingen BSE-verdächtige Rinder in den Handel. Über die Jahre hatte Frau Dr. Herbst 21 Rinder als BSE-verdächtig gemeldet. Die Amtstierärzte sahen meist schon keinen BSE-Verdacht, anfangs sogar ohne eine andere Erklärung für die Verhaltensauffälligkeiten zu diagnostizieren. In wenigen Fällen wurde dem Verdacht nachgegangen, jedoch nicht fachgerecht. In zwei Fällen konnte deshalb keine eindeutige Diagnose erfolgen. Trotzdem wurde eine negative Diagnose unterstellt und das Fleisch in den Handel gegeben.
Nach der 19. vergeblichen Verdachtsmeldung ermächtigte der Landrat Frau Dr. Herbst, weitergehende Untersuchungen veranlassen zu können. Diese Ermächtigung wurde an ihrem Arbeitsplatz aber nicht nur durch eine Versetzung konterkariert. Denn auch nach der 20. und der 21. Verdachtsmeldung behinderten die Amtstierärzte scheinbar trotz der Ermächtigung weitere Untersuchungen. Anrufe bei der Kreisverwaltung blieben ohne Erfolg.
In dieser Situation sah Frau Dr. Herbst für sich in den Medien den einzigen Weg, eine Verbreitung der möglichen Seuche zu verhindern und die Gesundheit von Tier und Mensch vor BSE zu schützen.
Die Arbeitsgerichte verwiesen jedoch hier jedoch auf andere Abhilfemöglichkeiten und beurteilten die fristlose Kündigung rechtskräftig als zulässig. Selbst, wenn damals juristisch ein Kündigungsrecht bestanden haben mag, stellt sich aber heute zumindest die politische Frage, ob es richtig war, dass der Kreis davon Gebrauch gemacht hat.
Meine Antwort ist nein, denn der Kreis hätte anders reagieren können. Im Konflikt zwischen Verschwiegenheitspflicht und Allgemeinwohl ist Frau Dr. Herbst ihrem Gewissen gefolgt und an die Öffentlichkeit gegangen. Auf diesen Schritt mit dem extremsten Mittel, nämlich der fristlosen Kündigung zu reagieren, war aus meiner Sicht die falsche Option.
Keine Frage: Frau Dr. Herbst ist sicherlich keine einfache Person. Sie ist unbequem, weil sie Vorgaben hinterfragt und ihr Gewissen befragt. Genau diese Eigenschaft haben Menschen, die Widerstand gegen Unrecht leisten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Gesellschaft braucht mehr Menschen, die ihrem Gewissen folgen und Missständen nicht tatenlos zusehen. Solche Zivilcourage ist vorbildlich und darf nicht bestraft werden.
Ich appelliere an Sie, das Verhalten von Frau Dr. Herbst neu zu beurteilen. Lassen Sie uns für Gerechtigkeit in ihrem Fall sorgen und ein Signal für vergleichbare Fälle im jetzt und heute setzen. Wer seinen eigenen Interessen zuwider handelt, um seine Mitmenschen zu schützen, ist Vorbild und sollte nicht bestraft werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Der heute mehrheitlich abgelehnte Antrag der Grünen lautete:

Der Kreis erkennt die Verdienste der Tierärztin Dr. Margrit Herbst an, frühzeitig alle Beteiligten über die Gefahren aufzuklären, die von der Tierseuche BSE ausgehen und insbesondere die VerbraucherInnen vor den möglichen Folgen zu warnen und somit zu schützen.
Sie hat durch wissenschaftliche Befassung mit dieser Krankheit zahlreiche Beiträge in Fachpublikationen veröffentlicht und Interviews gegeben, die maßgeblich zu einer öffentlichen Diskussion über echte und vermeintliche Missstände in einer die Bevölkerung so elementar berührenden Frage wie der Fleischhygiene und Volksgesundheit führten.
Allerdings hat dieses große Engagement zum Wohle der VerbraucherInnen für sie persönlich zu gravierenden persönlichen Nachteilen geführt.
Der Segeberger Kreistag möchte das couragierte Eintreten für die Belange der VerbraucherInnen würdigen und fördern.
Deshalb initiiert der Kreis einen Preis für Zivilcourage für außergewöhnliche Leistungen auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes, der mit einem substantiellen (noch zu bestimmenden) Betrag dotiert ist.
Als Preisträgerin nominiert der Kreis Frau Dr. Herbst.

Es ist geplant, ein Spendenkonto für Dr. Margrit Herbst einzurichten. Es gibt auch die Idee, eine öffentlich mitzuzeichende Petition für sie einzureichen.
Originalquellen zum Fall sind im Dokumentenarchiv Margrit Herbst nachzulesen.
Ergänzung vom 08.11.2014:
Fast zeitgleich zu der fatalen Abstimmung der Kreis-SPD nennt die SPD im Bundestag den Fall Herbst als exemplarisch für den mangelhaften Whistleblowerschutz: Video der Rede im Bundestag am 07.11.2014

Kommentare

1 Kommentar
  • Hanna Wiera

    Ich fordere Gerechtigkeit für Dr. Margrit Herbst und hoffe
    irgendwie helfen zu können!

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