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Gastkommentar zur Terrorbekämpfung Wie die EU das Internet zensieren will

Die EU will gegen terroristische Inhalte im Internet vorgehen. Dabei schießt sie aber weit über das Ziel hinaus, meint unser Gastkommentator Patrick Breyer, Spitzenkandidat der Piratenpartei zur Europawahl.
24.09.2018, 22:20 Uhr
Lesedauer: 2 Min
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Von Patrick Breyer

Die EU-Kommission will Internetplattformen zum schnellen Auffinden und Sperren „terroristischer Inhalte“ verpflichten. Diese einfach zu umgehenden Zensurmechanismen würden Terroristen kaum treffen, hätten für rechtstreue Bürger aber fatale Folgen:

1. Unser Recht auf freie Meinungsäußerung soll in die Hände von Polizei und zensurfreudigen Internetkonzernen gelegt werden, anstatt eine unabhängige öffentliche Stelle über Löschungen entscheiden zu lassen (zum Beispiel Richter, Bürgeranwalt oder Beauftragter für Meinungsfreiheit). Doch können wir politisch motivierten Sperranordnungen aus Staaten wie Ungarn oder Polen vertrauen? Schon bei den bisherigen „freiwilligen“ Löschungen durch Internetkonzerne kontrolliert niemand, ob gelöschte Inhalte tatsächlich illegal waren oder nicht.

2. Algorithmen sollen vorbeugend terroristische Inhalte erkennen und sperren, ohne dass eine menschliche Kontrolle vorgesehen ist (Uploadfilter). Nach den bisherigen Erfahrungen drohen mit solchen Zensurmaschinen wissenschaftlich und öffentlich interessante Inhalte wie zum Beispiel von Nutzern dokumentierte Kriegsverbrechen in Syrien mit unterdrückt zu werden (Overblocking). Wer die Dokumentation von Missständen unterdrückt, verschafft Islamisten weitere Argumente gegen den „Westen“. Anstatt erst einmal eine internationale Verständigung auf universell geächtete Inhalte herbeizuführen, soll ein europäisches Internet mit Netzsperren für Inhalte, die zum Beispiel in den USA völlig legal abrufbar bleiben, geschaffen werden. Das widerspricht dem Grundgedanken eines weltweiten Netzes.

3. Wenn man sich über terroristische Gruppierungen nicht mehr im öffentlichen Netz informieren kann, werden Interessierte sich bei ihnen registrieren müssen und geraten so in noch größere Gefahr der Vereinnahmung. Verdeckte Netzwerke sind vom Staat zudem kaum noch zu beobachten und zu kontrollieren.

Mit dem Türöffner der Bekämpfung von „Terrorismuspropaganda“ plant die EU-Kommission nichts anderes als ein europäisches Netzwerkdurchsetzungsgesetz, also den Aufbau einer Zensurinfrastruktur, die künftig leicht auf andere unerwünschte Inhalte ausgedehnt werden kann. Doch wenn wir im Kampf gegen den Terror Grundrechte wie die Meinungsfreiheit im Netz aufgeben, haben die Terroristen gewonnen. Schnelle oder automatisierte Internetzensur ohne unabhängige Kontrolle ist der falsche Weg, um gewaltbereitem Extremismus vorzubeugen.

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Zur Person

Unser Gastautor

ist Bürgerrechtler, Jurist und Spitzenkandidat der Piratenpartei Deutschland zur Europawahl 2019. Von 2012 bis 2017 war er Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein.

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