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Zum Stand des Datenschutzes in Schleswig-Holstein: 10 Forderungen und 6 Wünsche

Freiheit, Demokratie und Transparenz

Heute befasst sich der schleswig-holsteinische Landtag mit der Neuwahl einer Landesdatenschutzbeauftragten (Marit Hansen) und mit dem Tätigkeitsbericht ihres Vorgängers. Zeit für eine Bilanz des Datenschutzes in unserem Land.

Dass der bisherige Landesdatenschutzbeauftragte Dr. Thilo Weichert der von SPD, Grünen und SSW geführten Landespolitik einen “Stillstand” beim Datenschutz in den letzten zwei Jahren bescheinigt, ist bezeichnend. In Wahrheit baut diese Landesregierung die Überwachung sogar noch aus. Nach dem heute nachmittag zu beratenden Tätigkeitsbericht des Landesdatenschutzbeauftragten besteht dringender politischer Handlungsbedarf mindestens in den folgenden 10 Punkten:

  1. Die massenhafte Abfrage aller Handynutzer an einem Standort durch die Polizei (Funkzellenabfrage) muss dringend eingedämmt werden. Wir Piraten haben ans Tageslicht gebracht, dass jeder Schleswig-Holsteiner statistisch betrachtet schon mehrfach ins Visier der Polizei gekommen ist. Nach der von uns angestoßenen Untersuchung des Landesdatenschutzzentrums brauchen wir eine Bundesratsinitiative zur Eindämmung dieses Instruments, eine landeseinheitliche Regelung des Generalstaatsanwalts zur Verhältnismäßigkeitsprüfung und zur Löschung der erhobenen Daten sowie ein Verfahren zur Benachrichtigung aller Betroffenen per SMS.
  2. Unter dieser Landesregierung nimmt die Videoüberwachung des täglichen Lebens überhand: Mit dem ULD fordern wir Piraten, die Verträge der Landesregierung zur anlasslosen und massenhaften Videoüberwachung aller Bahnfahrer in Schleswig-Holstein aufzuheben (erster Erfolg: die Marschbahn Hamburg-Westerland bleibt unüberwacht). Die neuen Überwachungskameras an Streifenwagen schützen niemanden und verschwenden Ressourcen, welche der Polizei an anderer Stelle fehlen. Gegen unsere Stimme haben SPD, Grüne und SSW die Videoüberwachung in Justizvollzugsanstalten und Einrichtungen zur Unterbringung psychisch kranker Straftäter ermöglicht. Mit dem neuen rot-grün-blauen Versammlungsgesetz droht sogar die Videoüberwachung ganzer Demonstrationszüge (“Überblicksaufnahmen”). Wir Piraten haben eine interaktive Kamerakarte Schleswig-Holsteins ins Netz gestellt und bitten um Mithilfe bei der Erfassung der Überwachungskameras in unserem Land.
  3. Nicht nur der Landesdatenschutzbeauftragte hält eine Abschaffung der Jedermannkontrollbefugnisse in “Gefahrengebieten” in Schleswig-Holstein für “begrüßenswert”. Eine Anhörung des Landtags zum Gesetzentwurf der Piratenfraktion zur Abschaffung von Gefahrengebieten hat ergeben, dass die unter Innenminister Dr. Ralf Stegner eingeführte Regelung nahezu einhellig kritisiert wird. Die Koalition muss sich hier endlich bewegen.
  4. Dass das Landesdatenschutzzentrum das Polizeisystem @rtus in seiner jetzigen Betriebsform für rechtswidrig hält, ist alarmierend. Wir Piraten sind Fällen des Datenmissbrauchs bei der Landespolizei nachgegangen und haben dabei eine Überarbeitung der Löschfristen erreichen können. Dass dem festgestellten “sehr hohen” Schutzbedarf von Polizeidaten aber keinerlei Rechnung durch eine bessere Datensicherheit getragen wird, ist inakzeptabel. Wir brauchen auch stichprobenartige Kontrollen, um den immer wieder vorkommenden Datenmissbrauch bei der Polizei und anderen Behörden besser vorzubeugen.
  5. Dass der Verfassungsschutz laut ULD rechtswidrig personenbezogene Daten bei einer Bundesbehörde speichern lässt, ist mir neu. Längst bekannt ist aber, dass der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein mit die intransparenteste Verfassungsschutzbehörde Deutschlands sein dürfte. Der Innenminister verweigert seit Jahren hartnäckig die Offenlegung der Anzahl von Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes. Wir erwägen deshalb den Gang zum Landesverfassungsgericht.
  6. Bei der zunehmenden Überwachung unserer Wälder haben wir Piraten und das ULD eine restriktive Dienstanweisung der Landesforsten anstoßen können, die nun zügig umgesetzt werden muss. Der Wald muss ein überwachungsfreier Erholungsraum bleiben!
  7. Die Landesregierung muss die geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP, die laut ULD auch den Datenschutz abzubauen drohen, endlich klar ablehnen und den konzernnahen SPD-Bundeswirtschaftsminister Gabriel zurückpfeifen.
  8. Nachdem wir Alarm geschlagen haben, beendete das Rechenzentrum Dataport seine Zusammenarbeit mit dem NSA-nahen CSC-Konzern. Das Nachfolgeunternehmen weist aber ebenfalls enge Verbindungen zu Sicherheitskreisen auf. Die Landesregierung muss Dataport so aufstellen, dass es über genügend eigene Beratungskapazitäten verfügt, damit keine ausländischen Spionagekonzerne mehr eingeschaltet werden müssen.
  9. Bisher ist keine Spur von dem im Koalitionsvertrag versprochenen Transparenzgesetz zu sehen gewesen. Wir Piraten konnten erreichen, dass der Zugang zu amtlichen Dokumenten in der Landesverfassung verankert wird, doch gesetzlich umgesetzt wurden die Verbesserungen bis heute nicht. Wir Piraten werden notfalls selbst die Arbeit an einem Transparenzgesetz aufnehmen, das nach meiner Überzeugung auch für die Kommunen gelten muss.
  10. Ein von uns in Auftrag gegebenes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zum Schutz von Whistleblowern in Schleswig-Holstein hat massiven Handlungsbedarf ergeben: Wer Korruption, die Vertuschung von BSE-Verdachtsfällen oder andere Missstände anprangern will, muss dies im Schutz der Anonymität tun können. Die Landesregierung weigert sich bis heute, ein anonymes Meldesystem für Whistleblower in Schleswig-Holstein einzurichten. Wir werden weiter Druck machen.

Wünsche habe ich auch an das Landesdatenschutzzentrum selbst:

  1. Dass der bisherige Landesdatenschutzbeauftragte Dr. Thilo Weichert die Wiedereinführung einer “kurzen” Vorratsdatenspeicherung befürwortet und von der Bundesregierung damit als Kronzeuge für die vermeintliche Unbedenklichkeit ihres Vorhabens zitiert wird, ist aus meiner Sicht inakzeptabel. Auch dass das Landesdatenschutzzentrum in seiner Stellungnahme zum IT-Sicherheitsgesetz für eine Ermächtigung zur Vorratsspeicherung unserer Internetnutzung eintrat, ist einer Datenschutzbehörde nicht würdig. Das ULD sollte seine Position in Sachen Vorratsdatenspeicherung dringend an die Beschlusslage der Datenschutzkonferenz anpassen, derzufolge die Erforderlichkeit einer Vorratsdatenspeicherung nicht hinreichend begründet ist. Unser Landesdatenschutzzentrum darf nicht hinter die inzwischen klare Position der CDU-Bundesdatenschutzbeauftragten zurückfallen und sollte jeglichen Versuchen zur Wiedereinführung einer verdachtslosen Vorratsspeicherung unserer Kommunikation eine klare Absage erteilen. Die ULD-Forderung, die Speicherfrist mindestens bei Standortdaten und bei anderen Verkehrsdaten als IP-Adressen zu reduzieren oder “eventuell” darauf zu verzichten, ist keine klare und prinzipielle Ablehnung einer anlasslosen flächendeckenden Vorratsspeicherung unseres Telekommunikationsverhaltens als rechtsstaatlicher Dammbruch (siehe “Die größten Gefahren der Vorratsdatenspeicherung“).
  2. Eine Untersuchung des Landesrechnungshofs hat katastrophale Zustände beim Schutz von Bürgerdaten in den Kreisen ergeben. Hier ist das Landesdatenschutzzentrum gefragt, eine Sonderprüfung durchzuführen.
  3. Erfreulicherweise hat das Landesdatenschutzzentrum klargestellt, dass öffentliche WLAN-Internetzugänge anonym und identifizierungsfrei bereit gestellt werden müssen. Nicht nach vollziehbar ist für mich aber, warum im gleichen Tätigkeitsbericht für WLAN-Internetzugänge an Schulen eine Zwangsidentifizierung und Vorratsspeicherung des Surfverhaltens gefordert wird. Schüler sind keine Internetnutzer zweiter Klasse. Ihr Alter ist kein Grund, sie unter Generalverdacht zu stellen. Schüler müssen in der Schule genauso frei surfen können wie zuhause!
  4. Durch den NSA-Skandal ist offensichtlich geworden, dass die Sicherheit von in den USA gespeicherten Daten nicht zu gewährleisten ist. Das Landesdatenschutzzentrum sollte die Safe Harbour-Ausnahmeregelungen für Datenaustausch mit den USA nicht länger anerkennen.
  5. In Schleswig-Holstein ist ein Pilotprojekt u.a. zur Einführung digitaler Stromzähler geplant (siehe Pellworm und SINTEG). Mithilfe der gespeicherten Daten drohen Rückschlüsse auf unsere An- oder Abwesenheit sowie auf unser Verhalten in der eigenen Wohnung möglich zu werden. In Zusammenarbeit mit dem ULD sollten Wege gesucht werden, um die Verbrauchsmessung zur Versorgungssteuerung an zentralen Knotenpunkten anonymisiert vorzunehmen.
  6. Landesbehörden bieten bis heute keine verschlüsselte E-Mail-Kommunikation an – nach dem NSA-Skandal ein Armutszeugnis. Es wäre wünschenswert, dass sich das ULD gemeinsam mit uns für ein Recht auf Verschlüsselung einsetzt.

Mein Fazit: Unter SPD, Grünen und SSW baut Schleswig-Holstein die Überwachung seiner Bürger aus. Wir Piraten im Landtag kämpfen unablässig und teilweise auch erfolgreich gegen diese Entwicklung und für mehr Transparenz und Bürgernähe. Unsere entsprechenden Initiativen werden oft vom Landesdatenschutzzentrum unterstützt. Umgekehrt ist für uns als Datenschutzpartei der Einsatz für das ULD selbstverständlich, etwa als es um die Entfristung von Stellen oder um den Versuch der Festschreibung seiner Unabhängigkeit in der Landesverfassung ging. Insgesamt bleiben Datenschutz und Digitale Rechte der Schleswig-Holsteiner eine Dauerbaustelle. Wir Piraten werden nicht aufhören, auf Baufortschritt zu pochen. Denn Privatsphäre ist wie Sauerstoff: Erst wenn sie weg ist, werden wir merken, dass sie fehlt.

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