Anti-Terror-Verordnung: Scharfer Protest gegen neue Zensurbefugnisse

Aus der Zivilgesellschaft hagelt es Kritik am Beschluss der Verordnung für grenzüberschreitende Schnell-Löschanordnungen für Terrorpropaganda im Internet.

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(Bild: artjazz/Shutterstock.com)

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Innerhalb einer Stunde müssen Betreiber von Online-Plattformen in der EU künftig "terroristische Inhalte" auf Anordnung beliebiger Behörden aus einem Mitgliedsstaat löschen. Eine richterliche Genehmigung ist nicht erforderlich. Der Beschluss einer entsprechenden Verordnung durch das EU-Parlament bringt Bürgerrechtler und zivilgesellschaftliche Organisationen auf die Barrikaden, während Regierungsvertreter die neuen Mittel im Anti-Terror-Kampf herbeisehnen.

Mit dem Gesetz könnten künftig staatliche Stellen vorgeben, was etwa "als journalistischer Inhalt oder als Satire anzusehen ist – oder als terroristischer Inhalt gelöscht werden muss", moniert die Medienorganisation Reporter ohne Grenzen (RoG). Vor dem Hintergrund zunehmender illiberaler Tendenzen innerhalb der EU sieht sie damit "ein erhöhtes Risiko politischer Eingriffe in die Presse- und Meinungsfreiheit" verknüpft. Die Verordnung liefere autoritären Regimen weltweit eine gefährliche Vorlage, "ihre Kontrollansprüche gegenüber Plattformen wie Facebook und Twitter entgegen internationaler Menschenrechtsnormen durchzusetzen".

"Wir begrüßen den Wunsch der EU, der Verbreitung terroristischer Inhalte im Netz Einhalt zu gebieten", erklärte Abraham Taherivand aus dem Vorstand von Wikimedia Deutschland. "Die nun beschlossene Verordnung ist jedoch ein schwerer Schlag für die Meinungs- und Pressefreiheit in Europa. Es fehlen grundlegende Mechanismen, um die Maßnahmen gegen Missbrauch oder bloße Anwendungsfehler abzusichern." Problematisch ist aus Sicht des Wikipedia-Trägervereins auch, dass Löschentscheidungen EU-weit gälten. Videos, die in anderen Staaten ungerechtfertigt entfernt würden, stünden so auch in Deutschland nicht weiter zur Verfügung.

Mit der Entscheidung könnten Vertreter der Exekutive wie der ungarische Staatschef Viktor Orban "die Entfernung von Inhalten verlangen, die in einem anderen Land hochgeladen wurden, weil sie seine Regierung kritisieren", beklagt Eva Simon von der Civil Liberties Union for Europe. Viele Plattformen dürften automatisierte Upload-Filter verwenden, um einschlägigen Content zu entfernen, ergänzt Eliška Pírková von Access Now: Solche maschinellen Systeme seien aber kontextblind und begingen Fehler, "die letztlich auf Kosten der Grundrechte und Freiheiten der Nutzer gehen".

Die Initiative European Digital Rights (EDRi) reibt sich vor allem daran, dass im EU-Parlament keine abschließende Plenarabstimmung über den Entwurf stattfand. Das Verfahren für die 2. Lesung habe die Volksvertreter von der endgültigen Entscheidung über das Gesetz ausgeschlossen, das tief in die Menschenrechte eingreife. Die Wähler könnten so nicht sehen, wer aus dem einzigen direkt demokratisch legitimierten Organ der EU die 1-Stunden-Vorschrift akzeptiert hätte.

Angesichts des bereits zuvor laut gewordenen "außerordentlich breiten Protests der Zivilgesellschaft" hätte die Verordnung "nicht ohne weitere Diskussion und ganz sicher nicht ohne finale Parlamentsabstimmung beschlossen werden dürfen", betont auch RoG-Geschäftsführer Christian Mihr. Das Gesetz setzt Medienschaffende "einem nicht gerechtfertigten Risiko politischer Zensur aus". Rechtsstaatliche Mindeststandards auszuhebeln, um schneller gegen illegale Inhalte im Netz vorgehen zu können, sei der falsche Weg.

"Wir riskieren hier eine europaweite Zensur", warnt der Vizepräsident des EU-Parlaments, Marcel Kolaja von der Piratenpartei. "Die Regierungen von Ungarn und Polen haben bereits gezeigt, dass sie nicht zögern, Inhalte löschen zu lassen, mit denen sie nicht einverstanden sind." Die Verordnung erlaube es ihnen, "diese Praktiken auf das Gebiet jedes anderen Mitgliedsstaates auszuweiten". Es sei zu befürchten, "dass Europa seine Grundwerte untergräbt".

Die Verordnung dürfte vor Gericht keinen Bestand haben, erwartet der parlamentarische Verhandlungsführer der Grünen, Patrick Breyer. Um der Radikalisierung und Rekrutierung von Terroristen vorzubeugen, wäre es sinnvoller, legitime Missstände wie die Diskriminierung von Muslimen und Menschenrechtsverletzungen anzugehen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) begrüßte die Verabschiedung der Verordnung dagegen, da die EU damit "ihre Geschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus" zeige. Das Internet dürfe kein Ort sein, "an dem sich Terroristen unbehelligt organisieren und ihr tödliches Gift versprühen können". Deshalb sei es richtig, "auch die Online-Unternehmen in die Pflicht" zu nehmen.

(mho)