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Ausufernde Bestandsdatenauskunft auch für Schleswig-Holstein geplant [ergänzt]

Allgemein

Letzte Woche hat das vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Identifizierung von Internetnutzern und Auslieferung von Passwörtern an den Staat (“Bestandsdatenauskunft”) für Empörung gesorgt. Für April sind inzwischen Demonstrationen gegen das Vorhaben geplant, über das Anfang Mai der Bundesrat entscheidet (siehe “Unsere Passwörter gehören uns” und bestandsdatenauskunft.de).
Unterdessen will die schleswig-holsteinische Landesregierung auch der hiesigen Polizei und dem Verfassungsschutz Datenzugriff geben. Auch dieser Gesetzentwurf ist in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig. Ich habe dies in einer Stellungnahme an das Innenministerium erläutert, das gerade eine Anhörung durchführt (s.u.). Soweit das Ministerium nicht selbst Abhilfe schafft, werden wir im Gesetzgebungsverfahren für unsere Grundrechte kämpfen.

Zusammenfassung

Der Entwurf der schleswig-holsteinischen Landesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Landesverwaltungsgesetzes und des Landesverfassungsschutzgesetzes vom 22.02.2013 soll Polizei und Verfassungsschutz Zugriff auf Telekommunikationsdaten einschließlich Zugangssicherungscodes (z.B. Passwörter) sowie die Identifizierung von Internetnutzern in einem rechtspolitisch inakzeptablen und verfassungsrechtlich unverhältnismäßig weitreichenden Maß erlauben.
In mehreren Punkten dürfte der Gesetzentwurf verfassungswidrig sein:

  1. Es fehlt die verfassungsrechtlich geforderte Beschränkung des Datenzugriffs auf Einzelfälle.
  2. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sollen Zugriffe auf Kommunikationsdaten durch Polizeibehörden nicht beschränkt werden auf Fälle konkreter Gefahr. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts soll die Identifizierung von Internetnutzern durch den Verfassungsschutz keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraussetzen.
  3. Es ist unklar und nicht kontrollierbar, unter welchen Voraussetzungen Anbieter Zugriffscodes wie Mailbox-PINs oder E-Mail-Passwörter an Staatsbehörden herausgeben dürfen.
  4. Es fehlt die verfassungsrechtlich gebotene zuverlässige Benachrichtigung von Internetnutzern, deren Identität ermittelt worden ist.

Gemessen an der Entschließung des Landtags zur Bestandsdatenauskunft vom 12.12.2012 ist rechtspolitisch zu beanstanden:

  1. Der Gesetzentwurf unterwirft die Abfrage von IP-Adressen durch Behörden nicht denselben verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Voraussetzungen wie die Auslieferung von Telekommunikations-Verkehrsdaten (z.B. Richtervorbehalt, Eingriffsschwellen); da IP-Adressen die Schnittstelle zwischen Bestands- und Verkehrsdaten darstellen, muss hier der höhere Standard zur Anwendung kommen.
  2. Der Gesetzentwurf beschränkt die Auslieferung von Bestandsdaten nicht ausdrücklich auf Einzelfälle.
  3. Es fehlt an einer eindeutigen und restriktiven gesetzlich Regelung, unter welchen verfahrensrechtlichen (z.B. richterliche Anordnung oder Bestätigung und Dokumentationspflichten) und inhaltlichen Voraussetzungen Zugangssicherungscodes (wie Passwörter, PIN oder PUK), die den Zugang zu Endgeräten (z.B. Mobiltelefonen) und Speicherungseinrichtungen (z.B. E-Mail-Postfächer) sichern, gegenüber Staatsbehörden preiszugeben sind und deren Nutzung zugelassen wird, denn Passwörter ermöglichen nicht nur den Zugriff auf Bestandsdaten, sondern auch den Zugriff auf weitere sensible Inhalte der Telekommunikation und sogar weitere persönliche Inhalte wie Fotos, Tagebücher und Dokumente.
  4. Der Vorrang der Telekommunikationsüberwachung unter Mitwirkung des Anbieters vor dem unmittelbaren Zugriff mithilfe von Zugangssicherungscodes ist nicht festgeschrieben.
  5. Eine Benachrichtigung der Betroffenen mindestens von Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis (Identifizierung von Internetnutzern) und von der Auslieferung persönlicher Zugangssicherungscodes analog der entsprechenden Regelung in der Strafprozessordnung ist nicht sichergestellt.

Gemessen an der Position der PIRATEN ist darüber hinaus folgendes zu beanstanden:

  1. Der Gesetzentwurf unterwirft die Abfrage von Bestandsdaten nicht denselben verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Voraussetzungen wie die Auslieferung von Telekommunikations-Verkehrsdaten (z.B. Richtervorbehalt, Eingriffsschwellen).
  2. Zahl und Art der staatlichen Bestandsdatenabfragen sollen nach dem Gesetzentwurf nicht statistisch erfasst und jährlich veröffentlicht werden.
  3. Für staatliche Stellen soll keine Informationspflicht bei unrechtmäßiger Kenntniserlangung von Telekommunikationsdaten eingeführt werden.

Bedeutung von Bestandsdaten

Der Schutz der Vertraulichkeit von Bestandsdaten ist von hoher Bedeutung, weil durch Identifizierung eines Telefon- oder Internetnutzers die Anonymität der Telekommunikation durchbrochen wird. Durch Identifizierung von Telefon- oder Internetkennungen lassen sich mittelbar Umstände und Inhalt von Telekommunikationsvorgängen individualisieren, wie etwa dann, wenn Inhalt oder Zeitpunkt eines bestimmten Anrufs, der unter der abgefragten Nummer geführt wurde, der Behörde durch Vorermittlungen bekannt ist (BVerfG, 1 BvR 1299/05 vom 24.1.2012, Absatz-Nr. 114). Als Daten, die die Grundlagen von Telekommunikationsvorgängen betreffen, liegen Bestandsdaten im Umfeld verfassungsrechtlich besonders geschützter Informationsbeziehungen, deren Vertraulichkeit für eine freiheitliche Ordnung essentiell ist (BVerfG, 1 BvR 1299/05 vom 24.1.2012, Absatz-Nr. 137).
Die Furcht vor Ermittlungen oder sonstigen Nachteilen infolge von Telekommunikation beeinträchtigt die unbefangene Nutzung von Telefon und Internet, die in bestimmten Bereichen nur im Schutz der Anonymität in Anspruch genommen werden (z.B. medizinische, psychologische oder juristische Beratung, Presseinformanten und Whistleblower, politischer Aktivismus). Deswegen fordern wir, den staatlichen Zugriff auf Telekommunikationsdaten allenfalls in Ausnahmefällen zuzulassen. Der Bedeutung von Kommunikationsdaten als Grundlage und Voraussetzung eines Telekommunikationsverhältnisses wird es nicht gerecht, dass gerade diese besonders sensiblen und besonders geschützten Informationen unter geringeren Voraussetzungen zugänglich sein sollen als beliebige sonstige Kundendaten, die nur mit richterlicher Anordnung beschlagnahmt werden dürfen.

Fehlende Beschränkung auf Einzelfälle

In § 180a Abs. 1 LVwG-E fehlt die im geltenden § 113 TKG enthaltene Bestimmung, dass Auskünfte über Telekommunikationsdaten nur “im Einzelfall” erteilt werden dürfen und nicht routinemäßig oder massenhaft. Da die Beschränkung auf Einzelfälle fehlt, andererseits aber die ausufernd weiten Auskunftsrechte unverändert beibehalten werden sollen, ist das Verhältnismäßigkeitsgebot verletzt und die Neufassung verfassungswidrig.
Das Bundesverfassungsgericht hat § 113 TKG ausdrücklich nur deswegen als “verfassungsrechtlich noch hinnehmbar” angesehen, weil “Auskünfte nach § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG im Einzelfall angefordert werden und erforderlich sein müssen” (BVerfG, 1 BvR 1299/05 vom 24.1.2012, Absatz-Nr. 177). Es hat die “Erfordernis der Erforderlichkeit auch im Einzelfall” als Anforderung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingeordnet (BVerfG, 1 BvR 1299/05 vom 24.1.2012, Absatz-Nr. 163). Weil dem Gesetzentwurf die Beschränkung von Auskünften auf Einzelfälle fehlt, ist er verfassungswidrig.
Dass § 180a Abs. 1 Nr. 1 LVwG eine “im einzelnen Falle bevorstehende Gefahr” voraus setzt, besagt nichts darüber, ob aus Anlass solcher Gefahren nur im Einzelfall oder als Standardmaßnahme und massenhaft Auskünfte eingeholt werden dürfen.

Unzureichende materielle Voraussetzungen für Zugriffe

§ 180a LVwG-E ist seiner Ausgestaltung nach verfassungswidrig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist im Bereich der Gefahrenabwehr eine konkrete Gefahr Voraussetzung einer verhältnismäßigen staatlichen Bestandsdatenerhebung (BVerfG, 1 BvR 1299/05 vom 24.1.2012, Absatz-Nr. 177). § 180a Abs. 1 Nr. 2 LVwG-E setzt keine konkrete Gefahr voraus und verletzt daher die Verfassung.
Dem Verfassungsschutz die Identifizierung von Telefon- und Internetnutzern sowie die Erhebung von PINs und Passwörtern zu erlauben, ist wegen deren mangelnden Kontrollierbarkeit schon dem Grunde nach fragwürdig. Die Zugriffsbefugnisse des Verfassungsschutzes auf die Identität von Internetnutzern sind jedenfalls ihrer Ausgestaltung nach verfassungswidrig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf Nachrichtendiensten die Identifizierung von Internetnutzern nur erlaubt werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte von dem Vorliegen einer konkreten Gefahr auszugehen ist. Die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen entsprechender Auskunftsbegehren sind aktenkundig zu machen (BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010, Absatz-Nr. 261). § 8a Abs. 1 S. 2 LVerfSchG-E bestimmt weder selbst noch durch normenklare Verweisung, dass der Verfassungsschutz Bestandsdaten nur erheben darf, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte von dem Vorliegen einer konkreten Gefahr auszugehen ist.

Ausufernde Identifizierung von Internetnutzern

Die Identifizierung von Internetnutzern (§§ 180a Abs. 3 LVwG-E und § 8a Abs. 1 S. 3 LVerfSchG-E) stellt einen besondern schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, weil sie die personenbezogene Nachverfolgung des Inhalts der abgerufenen oder geschriebenen Texte und Daten im Internet erlaubt. Anders als Auskünfte über Rufnummerninhaber geht die Identifizierung von Internetnutzern mit einem Eingriff in das grundrechtlich besonders geschützte Fernmeldegeheimnis einher.
Die Begründung von behördlichen Auskunftsansprüchen ermöglicht es in Verbindung mit der Speicherung der Internetzugangsdaten nach § 100 TKG in weitem Umfang, die Identität von Internetnutzern zu ermitteln. Auch ist die mögliche Persönlichkeitsrelevanz einer Abfrage des Inhabers einer IP-Adresse eine andere als die des Inhabers einer Telefonnummer: Schon vom Umfang der Kontakte her, die jeweils durch das Aufrufen von Internetseiten neu hergestellt werden, ist sie aussagekräftiger als eine Telefonnummernabfrage. Auch hat die Kenntnis einer Kontaktaufnahme mit einer Internetseite eine andere inhaltliche Bedeutung: Da der Inhalt von Internetseiten anders als das beim Telefongespräch gesprochene Wort elektronisch fixiert und länger wieder aufrufbar ist, lässt sich mit ihr vielfach verlässlich rekonstruieren, mit welchem Gegenstand sich der Kommunizierende auseinander gesetzt hat. Die Individualisierung der IP-Adresse als der „Telefonnummer des Internet“ gibt damit zugleich Auskunft über den Inhalt der Kommunikation. Die für das Telefongespräch geltende Unterscheidung von äußerlichen Verbindungsdaten und Gesprächsinhalten löst sich hier auf. Wird der Besucher einer bestimmten Internetseite mittels der Auskunft über eine IP-Adresse individualisiert, weiß man nicht nur, mit wem er Kontakt hatte, sondern kennt in der Regel auch den Inhalt des Kontakts (BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010, Absatz-Nr. 259).
Die Identifizierung von dynamischen IP-Adressen ermöglicht in weitem Umfang eine Deanonymisierung von Kommunikationsvorgängen im Internet. Zwar hat sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der Identifizierung einer Telefonnummer. Schon vom Umfang, vor allem aber vom Inhalt der Kontakte her, über die sie Auskunft geben kann, hat sie jedoch eine erheblich größere Persönlichkeitsrelevanz und kann mit ihr – so das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich – nicht gleichgesetzt werden (BVerfG, 1 BvR 1299/05 vom 24.1.2012, Absatz-Nr. 174).
Eben dies tut aber der Gesetzentwurf. Die Identifizierung von Internetnutzern im selben weit reichenden Umfang zuzulassen wie Auskünfte über Rufnummerninhaber ist nicht hinnehmbar. Wir fordern, dass zumindest eine Gleichstellung mit der Verwendung sonstiger Verkehrsdaten (§ 185a LVwG, § 8a Abs. 2 LVerfSchG) erfolgt, also eine richterliche Anordnung zur Voraussetzung gemacht wird und eine Beschränkung auf die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erfolgt. Die aktuelle Privilegierung einer Internet-Zielwahlsuche anhand von IP-Adressen gegenüber einer Telefon-Zielwahlsuche (§ 100g StPO) ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Es ist nicht plausibel zu machen, weshalb unbedeutende Verkehrsdaten zu schon bekannten Verbindungen (z.B. Datenvolumen, genaue Anrufdauer) einen besseren Schutz genießen sollen als die äußerst grundrechtsbedeutsame Identität eines noch unbekannten Internetnutzers.
Die §§ 180a Abs. 3 LVwG-E und § 8a Abs. 1 S. 3 LVerfSchG-E sehen eine Gleichstellung der Identifizierung von Internetnutzern mit Verkehrsdatenauskünften weder in materieller noch in formeller Hisicht vor. In formeller Hinsicht ist eine nachträgliche richterliche Entscheidung mit dem Erfordernis einer richterlichen Anordnung (also vorangängigen Rechtsschutzes) nicht gleichzusetzen.

Unklarer und unkontrollierter Zugriff auf Zugangssicherungscodes (PINs, Passwörter)

Zugangssicherungscodes (wie Passwörter, PIN oder PUK) sichern den Zugang zu Endgeräten und Speicherungseinrichtungen und damit die Betreffenden vor einem Zugriff auf die entsprechenden Daten beziehungsweise Telekommunikationsvorgänge. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Staatsbehörden PINs und Passwörter nur anfordern dürfen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Nutzung gegeben sind. Diese Formulierung soll nun unverändert in das Gesetz aufgenommen werden.
Verfassungsrechtlich verletzt die lapidare Bezugnahme auf “die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten” (§§ 180a Abs. 2 LVwG-E, 8a Abs. 1 S. 2 LVerfSchG-E) das Bestimmtheitsgebot. Sie ermöglicht weder der handelnden Behörde, noch dem verpflichteten Anbieter oder dem kontrollierenden Gericht, mit hinreichender Klarheit zu bestimmen, welche Voraussetzungen vorliegen müssen. Auch ist nicht gewährleistet, dass der Anbieter das Vorliegen der Zugriffsvoraussetzungen (z.B. richterliche Anordnung der Telekommunikationsüberwachung) anhand behördlich zur Verfügung gestellter Unterlagen kontrollieren kann. Wenn eine Behörde einen Zugriffscode anfordert, weiß der Anbieter nicht, ob dies zum Zweck der Telekommunikationsüberwachung oder zur Auswertung abgeschlossener Telekommunikation geschieht. Es ist nicht akzeptabel, die Kontrolle der gesetzlichen Voraussetzungen durch den Telekommunikationsanbieter bei der Anforderung von Zugriffscodes quasi ausfallen zu lassen, obwohl solche Codes besonders weitreichende und unkontrollierte Zugriffe ermöglichen.
Es ist aus diesen Gründen verfassungsrechtlich geboten, abschließend zu bestimmen, welche materiellen und formellen gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung von Zugangscodes vorliegen müssen. Dazu bietet sich an, die Erhebung von Zugangssicherungscodes in den anzuwendenden Vorschriften zu regeln, namentlich in den Vorschriften über die Sicherstellung und die Telekommunikationsüberwachung. Wenn das Gesetz eine TK-Überwachung nur mit richterlicher Anordnung erlaubt, muss auch die Anforderung eines Zugangscodes zu diesem Zweck eine richterliche Anordnung (und nicht nur Bestätigung) voraus setzen.
Im Fall des Verfassungsschutzes ist nicht zu erkennen, dass überhaupt eine Vorschrift die Behörde zur Nutzung von Zugangscodes ermächtigen würde. Existiert keine solche Vorschrift, darf dem Verfassungsschutz auch kein Zugang zu Zugangssicherungscodes gewährt werden.
Ferner muss zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots der Vorrang der Telekommunikationsüberwachung unter Mitwirkung des Anbieters vor dem unmittelbaren Zugriff mithilfe von Zugangssicherungscodes festgeschrieben werden.

Mangelnder Rechtsschutz wegen fehlender Benachrichtigung

Der Gesetzentwurf sieht keine Benachrichtigung der Betroffenen von Zugriffen auf ihre Daten vor. Im Fall von Auskünften über elektronische Adressbücher, Kontoverbindung usw. (§§ 180a Abs. 2 LVwG-E, 8a Abs. 1 S. 2 LVerfSchG-E) ist keinerlei Benachrichtigung vorgesehen. In anderen Fällen soll eine Benachrichtigung unterbleiben, “wenn die betroffene Person im Rahmen einer sich an die Bestandsdatenauskunft anschließenden Maßnahme zu unterrichten wäre.” Dies ist in aus zwei Gründen nicht hinnehmbar: Erstens soll eine Benachrichtigung unabhängig davon unterbleiben, ob überhaupt eine Folgemaßnahme erfolgt. Zweitens ersetzt eine offene Folgemaßnahme nicht die Benachrichtigung von der vorgängigen Bestandsdatenauskunft; nur mit deren Kenntnis kann nachträglicher Rechtsschutz gesucht werden.
Da eine Benachrichtigung Voraussetzung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Grundrechtsverletzungen ist, ist aus Art. 19 Abs. 4 GG eine Benachrichtigungspflicht abzuleiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn in das Fernmeldegeheimnis eingegriffen worden ist (IP-Zuordnung) und wenn Zugangssicherungscodes erhoben worden sind. Gerade im Fall der Zugangssicherungscodes haben Betroffene ein hohes Interesse an einer Benachrichtigung, um den Code nach Beendigung des Verfahrens ändern und dadurch rechtswidrigen Zugriffen vorbeugen zu können. Eine anderweitige Benachrichtigung erfolgt bei Drittbetroffenen (z.B. mutmaßlichen Nachrichtenmittlern) nicht, so dass eine besondere Benachrichtigungspflicht aufgenommen werden muss.
Verfassungsrechtlich geboten ist es außerdem, Benachrichtigungspflichten gegenüber identifizierten Internetnutzern vorzusehen, soweit und sobald hierdurch der Zweck der Auskunft nicht vereitelt wird oder sonst überwiegende Interessen Dritter oder des Betroffenen selbst nicht entgegenstehen (BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010, Absatz-Nr. 263). Soweit von einer Benachrichtigung nach Maßgabe entsprechender gesetzlicher Regelungen ausnahmsweise abgesehen wird, ist anzuordnen, den Grund hierfür aktenkundig zu machen (a.a.O.). Die Artikel. 2 ff. des vorliegenden Gesetzentwurfs sind verfassungswidrig, weil sie die Identifizierung von Internetnutzern erlauben, ohne eine Benachrichtigung oder Aktennotiz vorzusehen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2.3.2010 ist ungeachtet dessen einschlägig, dass die dortigen Ausführungen zu § 113 TKG im Zusammenhang mit der mittelbaren Nutzung anlasslos und flächendeckend erhobener Verkehrsdaten erfolgt sind. Auf diesen Umstand hat das Bundesverfassungsgericht bei Darstellung der für § 113 TKG maßgeblichen verfassungsrechtlichen Eingriffsgrenzen nicht abgestellt. Es hat umgekehrt Literatur zitiert, welche die Beauskunftung nicht auf Vorrat gespeicherter Daten behandelt (BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010, Absatz-Nr. 261). Auch bei der Bestimmung der Eingriffstiefe hat das Gericht auf die Verwendungsmöglichkeiten der Daten abgestellt und nicht darauf, wie sie erhoben worden sind (BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010, Absatz-Nr. 258 f.).

Mangelnde Kontrolle durch fehlende Statistik

Der Quick-Freeze-Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums sah vor, dass eine Statistik über die Identifizierung von Internetnutzern geführt wird, damit der Gesetzgeber die Entwicklung der Fallzahlen beobachten kann (§ 100k Abs. 4 StPO-RefE). Im vorliegenden Gesetzentwurf fehlt jede statistische Erfassung, obwohl der Datenzugriff erheblich ausgeweitet werden soll. Wir fordern, dass eine Statistik über sämtliche Bestandsdatenzugriffe geführt und veröffentlicht wird, in die auch Erfolg oder Misserfolg der Maßnahmen aufzunehmen ist.
Ergänzung vom 14.04.2013:
Das Unabhängige Landesdatenschutzzentrum hat ebenfalls eine Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf veröffentlicht.

Kommentare

5 Kommentare
  • anonym

    bei aller Zustimmung, ist das die tolle basisbeteiligung nach breyer, wenn so umfangreiche Stellungnahmen rausgeschickt werden ohne irgendeine Ankündigung.

  • Anonym

    Danke Herr Breyer. Sie gehören vermutlich zu den letzten in unserem Land, die noch für Freiheit und Rechtsstaat kämpfen. Ich danke Ihnen zutiefst für Ihr Engagement.
    @anonym
    Was wollen Sie? Basisbeteiligung um jeden Preis? Herr Breyer besitzt eine herausragende Expertise. Können Sie da mithalten?

  • Anonym

    Die Positionen sind aus dem Grundsatzprogramm ableitbar. Mir ist es lieber Herr Breyer macht das richtig, als wenn 20 Hobbyjuristen mit Halbwissen versuchen einen auf dicke Hose zu machen.
    Daher nochmal ausdrücklich: Danke!

  • anonym

    Herr Breyer schickt doch sonst bei allem Pads oder Emails heraus. Nur da nicht, wo er sich als Experte einstuft. Klasse, so machen das die anderen Politiker auch – ihre Einstufung als Experte genügt, um nicht mehr auf andere zu hören.

    • Patrick Breyer

      Hallo,
      danke für eure Kritik. Ich bemühe mich, Texte in offenen Pads zu entwerfen. In diesem Fall war dies zeitlich leider nicht möglich, weil die Stellungnahme kurz vor meinem Urlaub noch eingereicht werden musste. Inhaltlich entspricht sie aber unserer abgestimmten Position: Sie beruht auf dem gemeinsamen Antrag der Piratenfraktionen gegen die Bestandsdatenauskunft und der daraus folgenden Entschließung des Landtags.

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