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Digitaler Ermittlungsstau

Anfragen Freiheit, Demokratie und Transparenz Landtag

Nach einer Antwort der Landesregierung auf meine Fragen betreffend die digitalen Ermittlungskapazitäten sind 30 Polizeikräfte sind mit der Auswertung von 4.235 Asservaten im Jahr beschäftigt, also entfallen auf eine Person 140 Datenträger im Jahr. Die Landespolizei sieht selbst einen “Verstärkungsbedarf … im Bereich der IT-Beweissicherung und -ermittlungsunterstützung”. Dazu sei nun ein Konzept in Auftrag gegeben worden. Bislang betragen die Auswertezeiten bei der IuK-Kriminalität zwischen sechs Monaten und zwei Jahren.
Mein Kommentar:

Während die staatlichen Eingriffsbehörden immer mehr über uns wissen wollen – neuestes Vorhaben ist die flächendeckende Vorratsspeicherung aller unserer Verbindungsdaten –, kommen sie dem Vernehmen nach schon mit der Auswertung der Datenträger, die aufgrund eines konkreten Verdachts sichergestellt worden sind, teils nicht hinterher. Mitunter müssen wegen des Verdachts auf Kinderpornografie beschlagnahmte Datenträger wegen Verjährung sogar unausgewertet zurückgegeben werden.
Ich beobachte mit Sorge, dass Ermittler zusehends durch immer weiter reichende technische Überwachung ersetzt werden sollen (z.B. Videoüberwachungsstreifen, Funkzellenabfragen). Die Polizei wird personell geschrumpft, technisch aber aufgerüstet. Das macht uns nicht sicherer, im Gegenteil: Ungezielte Massenermittlungen legen die Polizei lahm und binden Ressourcen, die dann zur Ermittlung schwerer Straftaten wie im Bereich organisierter Kriminalität fehlen. Statt immer weiter an der Überwachungsschraube zu drehen, müssen die Innenminister das Know-How, die Technik und das Personal für gezielte Ermittlungen im Netz bereitstellen. Wenn im Jahr 2014 gerade einmal 30 von 8.000 Polizeibeschäftigten in Schleswig-Holstein mit der Auswertung digitaler Daten befasst sind, hat der Innenminister das Zeitalter der Informationsgesellschaft verpennt.

Eine Liste der Verbesserungsmöglichkeiten, die ich sehe, findet sich im Artikel “Netz ohne Gesetz? Versagt das Recht im World Wide Web?“.
Interessant ist auch eine Umfrage der IHK, wonach 30% der Unternehmen eine Strafanzeige in Cybercrime-Fällen nicht für sonderlich erfolgversprechend halten.
Als wir uns im Landeskriminalamt neulich über die Vorratsdatenspeicherung informiert haben, lief auf deren Rechner übrigens noch Windows XP.
Ergänzung vom 05.01.2015 – tagesschau.de meldet:
Generalstaatsanwälte beklagen Überlastung Ermittlungsnotstand durch Datenflut
Die Generalstaatsanwälte in Deutschland schlagen Alarm. Viele kriminaltechnische Institute seien völlig überlastet, heißt es in einem internen Papier. Folge: Die Beamten schaffen es nicht mehr, in allen Fällen Beweismaterial fristgerecht auszuwerten.
Von Ingo Bötig, MDR
Es war das jüngste Treffen der Generalstaatsanwälte in Görlitz, über dessen Inhalt eigentlich nichts an die Öffentlichkeit dringen sollte.
Doch MDR INFO liegt jetzt ein Dokument vor, das so deutlich wie nie zuvor auflistet, wie schwierig die Zustände in der deutschen Justiz geworden sind – in allen Bundesländern, ganz besonders aber in Sachsen, Hessen, Niedersachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen.
Dort sind demnach “die kriminaltechnischen Institute der jeweiligen Landeskriminalämter überlastet und auch im Übrigen kommt es in der Zusammenarbeit mit den jeweiligen Landespolizeibehörden zu Problemen.”
Hinter vorgehaltener Hand ist von “Notstand” die Rede. In einem vertraulichen Gespräch mit MDR INFO erklärt ein Ermittler: “Das Wasser steht nicht mehr nur bis zur Oberkante, sondern schon längst einen Meter drüber.”
Zu groß sind die Datenmengen von Computer-Festplatten, USB-Sticks, DVDs, Handys, die für Strafverfahren ausgewertet werden müssen.
Zum Beispiel Brandenburg
Dort hat sich das Datenvolumen in fünf Jahren verdoppelt – auf jetzt mehr als 450 Terabyte. Zum Verständnis: Allein ein Terabyte reicht für das gesamte Röntgenbildarchiv eines großen, technisch hochmodern ausgestatteten Krankenhauses.
Im Mobilfunkbereich hat sich das Datenvolumen sogar verachtfacht. Das hat Folgen. Staatsanwälte räumen ein: “Es existieren Untersuchungsaufträge, die länger als neun Monate dauern.”
Die Staatsanwälte wissen: Neun Monate sind die Frist, in der sichergestelltes Beweismaterial – wie zum Beispiel Computer – ausgewertet worden sein muss. Andernfalls haben Verdächtige das Recht, alles zurückzubekommen. Ungeprüft. Das Verfahren platzt. Mehrere Gerichte haben bereits so entschieden.
Die Fortschritte bei den Ermittlungstechniken bedeuten auch: Immer mehr Spuren müssen ausgewertet werden.
Immer mehr DNA-Spuren
Doch nicht nur bei Computerdaten wächst die Menge, die ausgewertet werden muss, explosionsartig an. Auch bei DNA-Proben, die an Tatorten sichergestellt werden. 2013 zählte allein das Landeskriminalamt von Nordrhein-Westfalen 46.000. Im Vergleich zum Jahr davor ein Anstieg um zwölf Prozent.
In dem internen Schreiben, das MDR INFO vorliegt, heißt es: “Ergebnisse der Komplexspuren liegen oft so spät vor, dass sie in Haftsachen und selbst bei Tötungsdelikten dem zuständigen Gericht erst nach Anklageerhebung eingereicht werden können.”
Nicht mehr alle Beweise werden ausgewertet
Um das große Aufkommen halbwegs zu bewältigen, sind Staatsanwaltschaften längst dazu übergangenen, nicht mehr alle sichergestellten Beweise für ein Strafverfahren auszuwerten. Nur noch so viel, um den eigentlichen Verdacht zu untermauern und das Verfahren so schnell wie möglich für die Statistik abzuhaken.
Bedenken, so weitere oder schwerere Straftaten übersehen zu können, werden weggewischt. Nicht ganz so einfach wegzuwischen ist ein Problem mit privaten Gutachten. Um das Arbeitspensum in den kriminaltechnischen Institute etwas zu verringern, beauftragen Staatsanwälte immer öfter auch private Institute, um Gutachten für Strafverfahren zu erstellen.
Doch in mehreren Fällen wurden diese von Gerichten nicht anerkannt -vor allem in Strafverfahren mit Kinderpornografie. Die Begründung der Richter: Staatsanwälte dürften solches Material nicht an private Institute weitergeben. Wenn sie das doch tun, machten sie sich strafbar, weil sie selbst Kinderpornos verbreiten. Ein Risiko, das manche Staatsanwälte offenbar in Kauf nehmen, nur um die Landeskriminalämter zu entlasten.
Die Beamten dort würden zwar Vollgas geben, seien aber an die tatsächlichen Möglichkeiten gebunden.

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