Energiewende in SH: 229 Windräder auf der Überholspur | shz.de [extern]
Auch wenn Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) zu den am Dienstag vorgelegten Regionalplänen für Windenergie die größte öffentliche Anhörung in der Geschichte des Landes angekündigt hat mit Einflussmöglichkeit für die Bürger – läuft ein zweiter Handlungsstrang für den Bau neuer Windräder ohne Beteiligung einfach weiter. Bei 229 Mühlen hält die Staatskanzlei eine Ausnahmegenehmigung vor Inkrafttreten der neuen Regionalpläne für möglich. Das entspricht 13 Prozent der rund 1700 Anlagen, deren Bau das Land bis etwa 2025 erwartet.
Die Regierung will die Zahl der Windräder im Land bis 2025 von fast 3100 auf 3600 erhöhen. Die konkreten Standortpläne stoßen auf teils heftige Kritik. Das Thema wird vorraussichtlich auch im Landtagswahlkampf eine wichtige Rolle spielen.
Alle 229 Anlagen und ihre Standorte listet eine Antwort der Staatskanzlei auf eine Anfrage der FDP-Landtagsfraktion auf. 60 davon ließen sich sogar voraussichtlich schon bis zum Jahresende genehmigen, ergänzte ein Regierungssprecher auf sh:zNachfrage. Investoren sind auf einen Stempel vor diesem Stichtag erpicht, weil ihnen danach niedrigere Einspeisevergütungen ins Haus stehen. Die Höhe wird dann in Ausschreibungen ermittelt, bei der der günstigste Anbieter den Zuschlag erhält. Wer vor Silvester zum Zuge kommt, kassiert noch die feste Einspeisevergütung von gut 6 Cent pro Kilowattstunde. Auch, wenn er erst 2017 oder 2018 baut.
Eine Ausnahme kommt laut Staatskanzlei nur für Flächen in Frage, die bereits in den vorherigen Regionalplänen 2012 zum Windeignungsgebiet erklärt worden waren – und bei denen sich abzeichnet, dass sie von der neuen Regionalplanung bestätigt werden. Das stelle sicher: Ausnahmen allein auf Flurstücken, die den aktuellen Kriterien für den Schutz von Mensch und Naturschutz gerecht würden.
Dass diese Anlagen von der Öffentlichkeit nicht mehr zu beeinflussen sind, hält die Staatskanzlei mit einem Verweis auf die Vergangenheit für gerechtfertigt: Betroffen seien ja nur Flächen, die schon 2012 Gegenstand einer öffentlichen Beteiligung waren. Insgesamt ist seit Mitte 2014 bereits für rund 270 Windräder eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden.
Harsche Kritik kommt vom energiepolitischen Sprecher der FDP-Fraktion, Oliver Kumbartzky: „Es kann nicht sein, dass den Bürgern Einflussmöglichkeiten suggeriert werden, während gleichzeitig mithilfe von Ausnahmegenehmigungen Fakten geschaffen werden.“
Er wittert eine Taktik „durch die Hintertür“: „So wird das Beteiligungsverfahren, das in Wahrheit ja ohnehin nur ein Minimum der Mitwirkung darstellt, mehr oder weniger torpediert.“ Da noch Änderungen der Regionalpläne zu erwarten seien, müsse der Ausbau der Windenergie über Ausnahmegenehmigungen während der Anhörung auf ein absolutes Minimum beschränkt werden.
Die Sprecherin des Windkraftkritiker-Bündnisses „Gegenwind.SH“, Susanne Kirchhof, empfindet es als „Schlag ins Gesicht der Bürger“, dass die Ausnahmegenehmigungen weiter betrieben werden. „Diese Praxis passt nicht zusammen mit dem großspurigen Versprechen, es sei noch nichts in Stein gemeißelt“.
Für Kirchhof konterkarieren die Ausnahmen „die Schlussabwägung des gesamten Planungsprozesses, die am Ende der Auslegung der Regionalpläne stattfinden muss“. Zum Beispiel, so Kirchhof, könnten sich Ausnahme-Anlagen und die endgültigen Regionalpläne beißen, wenn es um die Beurteilung einer Umzingelungswirkung gehe.
Das hält die Staatskanzlei für unwahrscheinlich. Sollte es „in einigen wenigen Fällen doch dazu kommen, dass am Ende des Regionalplanungsprozesses ausnahmegenehmigte Anlagen außerhalb von Vorranggebieten stehen, so wären diese auf den Bestandsschutz beschränkt“, teilt ein Sprecher mit. „Sie müssten dann am Ende ihrer technischen oder wirtschaftlichen Lebenserwartung abgebaut werden.“
Am Freitag wurden zwei Initiativen von Gegnern der Regierungspläne zum Windkraft-Ausbau vorgestellt. Die erste verlangt die zehnfache Anlagenhöhe als Mindestabstand zwischen Windrädern und Häusern, mindestens aber 1000 Meter sollen es sein. Nach den Plänen der Staatskanzlei sind für neue Anlagen im Land lediglich 400 Meter zu Einzelhäusern und 800 Meter zu Siedlungen, mindestens aber die dreifache Anlagenhöhe vorgesehen.
Die zweite Initiative fordert, die Einbeziehung des Bürgerwillens bei der Flächenauswahl rechtssicher zu verankern. Sie wird von den Piraten unterstützt. „Wir wollen Schleswig-Holstein zur direktdemokratischen Schweiz des Nordens umbauen“, sagte Piraten-Fraktionschef Patrick Breyer. „Nirgendwo ist das dringender als beim Windkraftausbau, bei dem die Politik den Bürgerwillen mit Füßen tritt.“
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