EU-Einigung: Plattformen müssen Terrorpropaganda umgehend löschen

Die umstrittenen grenzüberschreitenden Schnell-Löschanordnungen für "terroristische Inhalte" kommen, Upload-Filter sollen aber nicht eingesetzt werden.

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(Bild: leungchopan/Shutterstock.com)

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Die EU-Gremien haben nach langen Verhandlungen den Streit über die geplante Verordnung gegen Terrorpropaganda im Internet beigelegt. Laut dem Entwurf, auf den sich Verhandlungsführer des Parlaments, des Ministerrats und der Kommission am Donnerstag geeinigt haben, müssen Betreiber von Online-Plattformen "terroristische Inhalte" auf Anordnung beliebiger Behörden auch aus anderen Mitgliedsstaaten ohne Richtergenehmigung binnen einer Stunde löschen.

Internetfirmen können zudem allgemein zu Maßnahmen verpflichtet werden, um die Verbreitung terroristischer Inhalte im Netz zu verhindern. Über die Wahl der dafür eingesetzten Instrumente sollen die Unternehmen selbst entscheiden. Es gibt aber ausdrücklich keine Pflicht zum Einsatz "automatisierter Werkzeuge" durch den Diensteanbieter. Für diese Klausel machten sich die EU-Abgeordneten stark, um die als "Zensurmaschinen" gefürchteten Upload-Filter zumindest nicht obligatorisch zu machen.

Die Löschanordnungen können sich auch gegen Hosting-Anbieter wie Amazon, Facebook, Google mit YouTube oder Twitter richten, die ihren Hauptsitz außerhalb der EU haben. Betroffen sein können etwa auch Betreiber von Online-Foren, auf denen Nutzer Kommentare hinterlassen oder Inhalte hochladen dürfen. Das Land, in dem der Host-Provider sitzt, soll aber ausländische Löschersuchen auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen und sie binnen 24 Stunden bestätigen oder ablehnen. Im letzteren Fall müsste der Betreiber den gemeldeten Content nur in dem Staat entfernen, der den Antrag gestellt hat.

Weist ein Geheiß schwere Fehler auf, ist eine gerichtliche Klärung möglich. Nur wenn nachweisbar betriebliche Gründe vorliegen, gilt für kleine und mittlere Unternehmen die Ansage, ohne strikte Zeitvorgabe "sobald wie möglich" zu löschen.

Erteilt die berechtigte Behörde einem Anbieter erstmals eine Löschanordnung, soll sie diesem in der Regel mindestens zwölf Stunden vorher Informationen über das Verfahren und geltende Fristen liefern. Das Parlament setzte durch, dass sich die Ersuchen nicht auf journalistische und künstlerische Inhalte sowie polemische und satirische Meinungsäußerungen beziehen dürfen.

Andererseits drohen schon beim ersten Verstoß gegebenenfalls hohe Strafen, wenn die Missachtungen zunächst nicht geringfügig sind. Bei schwerem, "systematischen" Versagen sind – wie bei der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) – Geldstrafen von bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes eines Konzerns vorgesehen.

"Im Kampf gegen den Terrorismus steht Europa Schulter an Schulter", begrüßte Bundesinnenminister Horst Seehofer den von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorbereiteten Deal. Der CSU-Politiker unterstrich: "Die Verbreitung von Terror wird nicht von der Meinungsfreiheit geschützt und das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Diese Verantwortung trifft nicht nur den Staat. Wir sorgen dafür, dass sich auch kein Internet-Unternehmen seiner Verantwortung entziehen kann."

Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei, der an den Verhandlungen für die Grünen-Fraktion beteiligt war, sprach dagegen von einem "schweren Schlag für die Meinungsfreiheit". Das Parlament habe zwar den Schaden etwas begrenzen können, erklärte er gegenüber heise online. Trotzdem könnte etwa Ungarns Regierungschef Viktor Orbán künftig Internetveröffentlichungen in Deutschland löschen lassen.

Für den Kieler Juristen geht dies angesichts der damit verknüpften großen Missbrauchsgefahr "eindeutig zu weit". Die EU schaffe damit einen Präzedenzfall. Es gelte auf jeden Fall zu verhindern, dass die Kommission ähnliche Vorgaben mit dem geplanten Digital Services Act (DSA) auf sämtliche Kategorien von Online-Inhalten ausweite. Insgesamt sei es unwahrscheinlich, dass durch die Verordnung Anschläge verhindert würden. Um die Radikalisierung und Rekrutierung von Terroristen zu verhindern, wäre es sinnvoller, Missstände wie die Diskriminierung von Muslimen und Menschenrechtsverletzungen anzugehen.

Auch bei Petra Kammereverts (SPD), die als Mitglied des Kulturausschusses des Parlaments an den Verhandlungen beteiligt war, überwiegt trotz ausgehandelter Verbesserungen die Skepsis. Die Verordnung, die mit Inkrafttreten unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt, nehme "durchaus einen erheblichen Eingriff in kommunikative Grundrechte vor". Die Volksvertreter müssten mit Argusaugen darüber wachen, wie die Vorgaben konkret umgesetzt würden. Zuvor ist es nötig, dass der Rat und das Parlamentsplenum das erzielte Ergebnis bestätigen. Dies gilt als Formsache.

Viele Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen sowie Medienverbände und die Betreiber der Wikipedia hatten immer wieder vor der Initiative gewarnt. Auch mehrere UN-Sonderberichterstatter brachten schwere Bedenken vor und forderten wiederholt, den Vorschlag mit den Grundrechten in Einklang zu bringen.

(mho)