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Kommentar zur Niedersachsenwahl: Ein Wellental bringt ein Schiff noch nicht vom Kurs ab

Allgemein

Nach ersten Vorhersagen ist die niedersächsische Piratenpartei heute deutlich an der 5%-Sperrklausel gescheitert. Es ist ein trauriger Tag für uns Piraten, aber auch für Niedersachsen, das frischen Wind von Seiten der Piraten dringend gebraucht hätte: Niedersachsen ist ohne Informationsfreiheitsgesetz und mit nicht-öffentlichen Parlamentsausschüssen Entwicklungsland in Sachen Transparenz. Bei der Bürgerbeteiligung sind die Hürden so hoch gesetzt, dass ein Volksentscheid in Niedersachsen noch nie durchgeführt werden konnte. Und kaum ein Innenminister ist einem derartigen Überwachungswahn verfallen wie Herr Schünemann.
Das Wahlergebnis in Niedersachsen ist sicherlich zum Teil der Zuspitzung des Wahlkampfs auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU/FDP und SPD/Grüne geschuldet. In Anbetracht des auch bundesweit unbefriedigenden Trends müssen wir Piraten aber auf jeden Fall deutschlandweit wieder aktiver und sichtbarer werden. Mit mutigen Aktionen und Aktivismus kann dies ebenso gelingen wie durch überzeugende Persönlichkeiten, wie wir viele in unseren Reihen haben. Wir Piraten brauchen in der Öffentlichkeit auch den Mut zur (klar gekennzeichneten) eigenen Meinung gerade zu Fragen, zu denen eine gemeinsame Position noch nicht besteht. Wir müssen unterschiedliche Positionen von Piraten in der Öffentlichkeit als innerparteiliche Meinungsvielfalt begrüßen, auch wenn die “Politik 1.0” sie als “mangelnde Geschlossenheit” oder “Streit” diffamiert. Die Menschen wollen innerparteiliche Meinungsvielfalt und den Wettstreit um Ideen – Themen durch Köpfe.
Wir dürfen uns von ständigen Vergleichen mit den etablierten Parteien aber auch nicht in eine “Professionalisierungsfalle” im Sinne der etablierten Politik treiben lassen, sondern müssen glaubwürdig vorleben, was die Piratenpartei von den überkommenen Strukturen unterscheidet und auszeichnet: das für alle Demokraten offene Angebot einer basisdemokratischen, transparenten, internetgestützten, ehrenamtlichen politischen Arbeit auf Augenhöhe. Wir Piraten bilden damit eine Brücke zwischen Bürger und Politik im Zeitalter der Informationsgesellschaft.
Für die Zukunft der Piratenpartei gilt: Ein Wellental bringt ein Schiff noch nicht vom Kurs ab. Auch die Grünen haben nach ihren ersten Wahlerfolgen einen Rückschlag im konservativen Bayern hinnehmen müssen (Landtagswahl am 10.10.1982) und sind dennoch später erfolgreich gewesen. Ich bin überzeugt, dass wir Piraten den Bundestag entern können und müssen, denn nirgendwo tun Transparenz, Mitbestimmung und Bürgerrechte mehr Not als auf Bundesebene! Unsere Unterstützer können sich unabhängig von unseren Wahlergebnissen darauf verlassen, dass wir Piraten niemals unsere Ziele und Ideale im Machtinteresse opfern werden.
Ungeachtet unserer Hausaufgaben brauchen wir auch eine Debatte über die Offenheit unserer Demokratie für Parteienwettbewerb und neue Ideen. Durch die 5%-Sperrklausel ist in Niedersachsen eine sechsstellige Zahl von Stimmen wertlos verfallen. Das frustriert Wähler und befördert den demokratiegefährdenden Eindruck, ohnehin nichts ändern zu können. Außerdem verfälscht die Sperrklausel den echten Wählerwillen, wie das Ergebnis der abgewirtschafteten Niedersachsen-FDP und die Befragung der FDP-Wähler nach ihren Motiven zeigt. Wir Piraten in Schleswig-Holstein haben deswegen eine parlamentarische Initiative zur Abschaffung der Sperrklausel auf den Weg gebracht und vor dem Landesverfassungsgericht gegen ihre Zulässigkeit argumentiert. Der Europarat empfiehlt etablierten Demokratien, auf 3% übersteigende Sperrklauseln zu verzichten, weil sie den politischen Wettstreit um die besten Konzepte unverhältnismäßig weit einschränken.
Die Offenheit unserer Demokratie wird auch durch öffentlich-rechtliche Runkfunkanstalten gefährdet, die Parteien unterhalb der 5%-Hürde kaum eine Chance geben, die Bürger über ihre Konzepte und Ziele zu informieren. Auch hier erscheint mir – abhängig von der verfügbaren Sendezeit – ein Schwellenwert von 2-3% in Meinungsumfragen vollkommen ausreichend, um die Relevanz eines neuen Wettbewerbers zu belegen. Ich wünsche mir, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die bisherige Praxis selbstkritisch reflektieren und in künftigen Wahlkämpfen kleineren Parteien eine faire Chance geben, ihre Anliegen in die öffentliche und politische Debatte einzubringen. Nicht, weil es uns Piraten helfen würde. Sondern weil es für die Zukunft unserer Demokratie insgesamt wichtig ist, mit deren aktueller Funktionsweise gefährlich viele Bürger unzufrieden sind. In Anbetracht dieser verbreiteten Unzufriedenheit mit der etablierten Politik müssen alle Demokraten ein gemeinsames Interesse daran haben, den politischen Wettbewerb stärker als bisher für frischen Wind zu öffnen.
Ergänzung:
Laut Infratest Dimap wissen nur 15% der Bürger, wofür wir Piraten stehen.

Kommentare

3 Kommentare
  • Raimund Rothlübbers

    Hallo,
    mir als “Wähler” fehlen einfach Antworten auf aktuelle Fragen und Probleme! Beispiel: 4000 Bürger haben Einwendungen gegen Datteln4 von EON eingereicht, am 24.1. findet in der Stadthalle Datteln eine Veranstaltung des RVR dazu statt. Ich habe den Piraten die Frage gestellt, wer von euch an dieser Veranstaltung teilnimmt, und mit welcher Meinung. Hatte gehofft einer der 20 würde antworten ,nichts! Auf Umwegen wurde mit mitgeteilt, man habe keine Zeit, Sitzung im Landtag. In der Liste der Termine, gibt es keinen. Nur eine “Kleinigkeit”, aber ich bin frustriert! Das war nur ein Beispiel von vielen!
    Gruß Raimund

    • Patrick Breyer

      Hallo Raimund,
      danke für deine Einladung! Da sie sich an die NRW-Piraten richtet, kann ich dir leider nicht weiter helfen. Aber versuche es doch einfach nochmal oder lade die Piraten aus deiner Stadt ein (anstelle der Abgeordneten).

  • tauss

    Guter Beitrag von Breyer. Er ignoriert allerdings das Wesentliche: Der innerparteiliche Umgang.
    Dessen ungeachtet: Dass die 20 Piraten nicht antworten ist kein Einzelfall sondern eher die Regel und peinlich für diese Fraktion.

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