Unbequem Patrick Breyer kämpft nicht nur im Kieler Landtag für Bürgerrechte, Transparenz und die Piraten. Dafür wird er angefeindet wie kein Zweiter
: Der Anti-Politiker

Hat sich in der Politik nicht allzu gemütlich eingerichtet: Piraten-Fraktionschef Patrick Breyer in seinem Büro im Kieler Landtag Foto: Andreas Oetker-Kast

Aus Kiel David Joram

Um den Piraten Klaus Störtebeker ranken sich viele Mythen. Einer hat mit seinem Namen zu tun. Den habe sich Störtebeker verdient, heißt es, weil er recht trinkfest gewesen sein soll. Einen Becher Wein oder Bier habe er jedenfalls in einem Zug geleert. Und so sei wohl von „Stürz’den Becher“ Störtebeker abgeleitet worden. Störtebeker-Darstellungen lassen vermuten: Er muss ein entschlossener und furchteinflößender Mann gewesen sein. Voller Bart, lange Mähne, grimmige Mimik. Ein Pirat, wie man ihn sich vorstellt.

Betrachtet man den Juristen Dr. Patrick Breyer daneben, fällt das Urteil schnell: Der Mann, der im schleswig-holsteinischen Landtag die Piraten als Fraktionsvorsitzender anführt, könnte rein äußerlich alles sein – nur eben kein Pirat. Geradezu brav sieht Breyer aus, 1,80 Meter groß, eher dünn als schlank, schmale Schultern, jugendliches Gesicht. Die blonden Haare liegen so fein säuberlich auf seinem Kopf, als bekäme er jeden Tag Besuch von den Schwiegereltern. Und so verhält er sich auch: höflich, hilfsbereit, stets aufmerksam. Ein bisschen langweilig fast, wie ein prinzipientreuer Pastorensohn.

Wenn die Hessen in Breyers Team mal kochen, lädt er sich statt Frankfurter Rippchen lieber Handkäs auf den Teller. Er ernährt sich vegetarisch, verzichtet auch auf Alkohol und Zigaretten. Den Teller räumt der Fraktionsvorsitzende natürlich selbst ab. Den oberlehrerhaften, ja egozentrischen Dr. Breyer, den seine Gegner im Landtag zeichnen, gibt es im Piratenkreis nicht. Da nennen sie ihn schlicht Patrick, pflegen einen lockeren Umgangston. Breyer begrüßt das. Von Hierarchiegehabe hält er nicht viel, von Machtspielchen erst recht nicht.

Darin unterscheidet sich der 39-Jährige von vielen Politikern, vor allem von seinen beiden politischen Intimfeinden: dem Liberalen Wolfgang Kubicki und dem SPD-Landeschef Ralf Stegner. Beide mag er nicht sonderlich, was in einen Reim verpackt dann so klingt: „Piraten wählen heißt Stegner und Kubicki quälen.“ Es ist eine Abneigung, die auf Gegenseitigkeit beruht. In der Landtagssitzung am 23. Februar offenbarte sich das eindrucksvoll. „Ihre gesamte Diktion entspricht der Diktion der AfD und die wollen wir im Parlament nicht haben, deshalb bin ich froh, dass Sie dieses Parlament verlassen werden“, zog Kubicki über den Piraten her.

Dass Breyers Partei bei der Landtagswahl am 7. Mai klar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird, gilt nach allen Umfragen als sicher. Stegner holte deshalb ebenfalls zum großen Schlag aus: „Diese Hybris, diese Arroganz, diese Selbstgerechtigkeit wird am 7. Mai eine richtige Antwort finden.“ Einen Tag später schob er nach, dass man es bei Breyer mit einem Phänomen zu tun habe, das man eigentlich nur von „gespaltenen Persönlichkeiten“ kenne. Und dann, lauter: „Ich glaube, dass Sie in Teilen autistische Züge haben.“

Dafür hat Stegner sich später bei Breyer entschuldigt. Doch warum wird der Pirat über die Maßen hart angegangen? Womit hat sich der brave Schwiegersohn-Typ den derart derben Tonfall seiner politischen Gegner erarbeitet?

Ein Teil der Antwort hat mit einer Grundsatzdebatte zu tun, die im parlamentarischen Spektrum vom neoliberalen Kubicki bis zum links-sozialen Stegner niemand führen will. Sie dreht sich nämlich um das politische System selbst. Und vor allem um die Frage, inwiefern die parlamentarische Demokratie anfällig geworden ist, für Machtmissbrauch und Korruption.

Patrick Breyer, der gerade 41.634,12 Euro Fraktionsvorsitzenden-Zulage an den Landtag zurücküberwiesen hat, urteilt: „Es gibt eine politische Unzufriedenheit. Das politische Betriebssystem benötigt ein Piraten-Update.“ BürgerInnen sollten direkter in parlamentarische Entscheidungen eingebunden werden, etwa mittels Volksabstimmungen, fordert er. „Basisdemokratie“ nennt er das und will Schleswig-Holstein als „Schweiz des Nordens“ etablieren. Just dies wollen die Etablierten nicht, für sie sei das Altbewährte unverhandelbar.

In diesen Gewässern stellt Breyer in den Augen der anderen den grimmigen Piraten dar, den Störtebeker. „Es kann nicht sein, dass der Bürgerwille so wenig zählt“, ist einer jener Sätze, die zum Standardrepertoire des Politikers zählen, etwa beim Bau von Windkraftanlagen.

Offensichtlich besteht aber noch eine zweite Ebene: die persönliche. Während Stegner und Kubicki einander ebenfalls nicht mögen, aber denselben Typus des Alphapolitikers verkörpern, spiegeln sich in den Duellen Kubicki/Stegner vs. Breyer völlig unterschiedliche Ansätze wider. Auf der einen Seite die Ellenbogengeneration, die „nur Machtpolitik kennt und sich hierarchische Strukturen aufgebaut hat“, wie Breyer seinen beiden Antipoden vorhält, die eine „L’état c’est moi“-Haltung offenbarten. Und die rhetorisch gern mal zuspitzen, ohne inhaltlich ins Kleinklein zu gehen.

Auf der anderen Seite verortet Breyer sich selbst: dort, wo analytisch gedacht, sachbezogen gehandelt und basisdemokratisch entschieden wird. Und das alles in einem nüchternen Tonfall. „Ich bin nicht der Talkshow-König, aber der Rückgrat-König“, sagt Breyer. „Zu meinen Forderungen stehe ich, auch wenn ich dafür beleidigt werde.“ Wenn er spricht, tut er dies zwar sehr einsilbig und emotionslos, in der Sache aber unnachgiebig, fast schon stoisch.

Stegner sagt über den „Rückgrat-König“: „Die Piraten haben durchaus Anstöße gegeben, gerade in ihren Kernfeldern Transparenz und Digitalisierung. Ein Teil der Partei arbeitet konstruktiv – aber zu diesem Teil gehört Herr Breyer mit seinem egozentrischen Verhalten nicht. Er ist auf Fundamentalkritik aus und hat eine sehr überhebliche Sichtweise.“ Breyer kann darüber nur lächeln. „Ich bin eben kein bequemer Händegeber“, sagt er dann.

„Es gibt eine Vertrauenskrise, die Politik ist nicht mehr für die Bürger da, sondern verfolgt Eigen- und Wirtschaftsinteressen. Es geht um die Arroganz der Macht, um Hinterzimmerpolitik“

Der Kieler Piraten-Fraktionschef Patrick Breyer

Breyer ist mit seinen knapp 40 Jahren ein Veteran der digitalen Bürgerrechtsbewegung. Gegen die Vorratsdatenspeicherung hat er geklagt. Seine Revisionsklage gegen die Speicherung der IP-Adressen von Besuchern bundeseigener Websites liegt gerade beim Europäischen Gerichtshof.

Breyer, der Datenschutz-Nerd. Der Sturkopf. Als er in den Landtag einzog, wollte er nicht einmal öffentlich machen, wo er zuvor Amtsrichter gewesen war – Persönlichkeitsrechte! Inzwischen weiß man: Es war in Meldorf in Dithmarschen.

Das wirkte komisch, weil doch Transparenz Breyers Kernthema ist. Da kann er sehr unbequem werden, speziell die Lobbyisten hat er im Visier. Den „legislative trail“, der die Phase bis zum Gesetzentwurf beschreibt, will er offenlegen lassen. Vorgespräche, Themen und Teilnehmer müssten dokumentiert werden. Nur so könne vermieden werden, dass Machtmissbrauch stattfinde. „Es gibt eine Vertrauenskrise, die Politik ist nicht mehr für die Bürger da, sondern verfolgt Eigen- und Wirtschaftsinteressen“, sagt Breyer. „Es geht um die Arroganz der Macht, um Hinterzimmerpolitik.“

Solche Sätze, die Kubicki wohl meint, wenn er Breyer eine „AfD-Diktion“ unterstellt. Von der AfD grenze man sich klar ab, meint Breyer hingegen. Die Rechtspopulisten definiert er – natürlich – als politischen Gegner, einen „leichten Gegner“ übrigens. Auch wenn der in Umfragen konstant bei sechs bis sieben Prozent liegt. Zahlen, von denen Breyer nur träumen kann. Das Phänomen AfD erklärt er so: „Hin und wieder greifen die Menschen zur radikalen Lösung, wenn sie politisch unzufrieden sind. Deren nationale Ziele sind aber von vorgestern.“

Einen Schluss hat Breyer gezogen: „Im Moment sehen viele Menschen nur die Wahl zwischen einem ,Weiter so!' und einem rechtspopulistischen Staat. Den dritten Weg, den die Piraten vorgeben, sieht in Deutschland niemand.“ Bis zum 7. Mai will Patrick Breyer genau dafür dennoch werben, so sturköpfig und entschlossen wie einst Störtebeker. Es ist ein ziemlich aussichtsloser letzter Beutezug.