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Unabhängigkeit überbewertet? Angriff auf Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein [ergänzt]

Landtag Wirtschaft und Verkehr

Verkehrsminister Meyer CC BY 2.0 SPD Schleswig-HolsteinDas schleswig-holsteinische Wirtschaftsministerium und eine von diesem beauftragte Unternehmensberatung rütteln am Grundverständnis der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein: ihre Präsenz in der Fläche mit fünf Beratungsstellen wird ebenso in Frage gestellt wie ihre Unabhängigkeit.
Das hier erstmals veröffentlichte Gutachten der Unternehmensberatung, das vom Wirtschaftsministerium so abgenommen wurde, hält zunächst korrekt fest:

  • Während die institutionelle Förderung des Landes bisher 719.400,00 Euro beträgt (ab 2016: 870.000 Euro), liege “der institutionelle Bedarf zur Personalkosten-Deckung 2014 real bei ca. 1.350.000,00 Euro” (S. 6).
  • “Sensor- bzw. Seismografen-Funktion, Anbieterunabhängigkeit, Präsenz bzw. niedrigschwelliger und persönlicher Zugang in der Fläche sind wesentliche Qualitätsmerkmale der VZ SH. Sie implizieren (zugleich) das dauerhafte Vorhandensein eines zumindest basalen bzw. rudimentären Beratungsstellennetzes, wie es gegenwärtig gegeben ist.” (S. 7)
  • Auftrag an die Unternehmensberatung war daher u.a.: “Der organisatorische, personelle und finanzielle Grundbedarf für eine nachhaltige VZ SH mit einer Geschäftsstelle und Außenstellen ist zu ermitteln.” (S. 8)

Unterschiedliches Grundverständnis

Zum Streit zwischen Verbraucherzentrale und Wirtschaftsministerium kommt es dann aber schon beim Grundverständnis (S. 9):

  • Die Verbraucherzentrale erfüllt nach eigenem Verständnis “unverzichtbare Kernaufgaben im Verbraucherschutz und ist konstitutiver Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft”. Sie “vertritt im Unterschied zu anderen Verbraucherorganisationen keine Partikularinteressen”. Ihr Ziel: “Verbraucher stärken und schützen”.
  • Das Wirtschaftsministerium teilt dies nicht. Es fordert vielmehr, die Verbraucherzentrale solle sich “zurückziehen, wo andere verbrauchernahe Akteure aktiv sind” – egal ob diese unabhängig sind oder nicht. Zuletzt hat es zu großen Protesten geführt, dass die Unabhängige Patientenberatung künftig von einem Callcenter durchgeführt werden soll, das auch für Krankenkassen tätig ist. Das Wirtschaftsministerium will solche Interessenkonflikte offensichtlich hinnehmen.
  • Weitere Forderung des Wirtschaftsministeriums: “Die VZ SH sollte Motor für verbraucherfreundliche Innovationen und für mehr Wettbewerb in den Märkten sein.” Der Verbraucherzentrale soll also ein wirtschaftspolitischer Auftrag erteilt werden. Mit unabhängigem Verbraucherschutz hat das nur noch wenig zu tun.

Die Verbraucherzentrale hat ehrgeizige Wünsche zur Verbesserung des Verbraucherschutzes in Schleswig-Holstein und wünscht sich (S. 19)

  • eine vollständige Finanzierung aller institutionellen Personalstellen durch das Land
  • eine Ausweitung der Öffnungszeiten ihrer Beratungsstellen (mussten aus Finanznot 2014 eingeschränkt werden)
  • Erhöhung der telefonischen Erreichbarkeit (viele Anrufe können zurzeit nicht angenommen werden)
  • kostenfreie Beratungen von Transfergeldempfängern
  • Eröffnung weiterer Beratungsstellen im Kreis Pinneberg und in Neumünster
  • Beratung durch Festangestellte statt Honorarkräfte

Berater wollen einsparen

Die Unternehmensberatung verfolgt jedoch einen gegenteiligen Ansatz: Eine “nachhaltige Sicherung der Arbeit” sei nur zu erreichen, “wenn die Gesamtkosten der VZ SH gesenkt” würden (S. 23). Die Vorschläge dazu:

  • Das Land solle sich aus der Finanzierung der fünf Verbraucherberatungsstellen zurückziehen. “Betrieb und Unterhaltung der Beratungsstellen werden durch die Verbraucherzentrale mittels eigenständig generierter Zusatz- bzw. Eigeneinnahmen finanziert” (S. 37). Laut Verbraucherzentrale ist eine Eigenfinanzierung von Beratungsstellen illusorisch und führt zur Schließung.
  • Die Berater finden: “Die Präsenz in der Fläche wird ebenso überschätzt (ob 3, 5 oder 7 Beratungsstellen, ist vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklungen infolge der Digitalisierung von abnehmender bzw. nachrangiger Bedeutung) wie der Faktor ‘Unabhängigkeit’.” (S. 49) Die Schließung von Beratungsstellen ist für sie also ebenso wenig ein Problem wie die Annahme von Geldern derjenigen Unternehmen, über die die Verbraucherzentrale unabhängig aufklären soll.
  • Die Unternehmensberatung unterbreitet sodann einen Finanzierungsvorschlag, bei dem sie selbst auf die dadurch “drohende Unterdeckung des Haushaltes der VZ SH in den Jahren 2017 und 2020″ hinweist. Eine Finanzierung der Beratungsstellen ist darin nicht mehr vorgesehen, und auch für die Zentrale in Kiel wird nicht mit den tatsächlichen Personalkosten für die oft langjährigen und erfahrenen Mitarbeiter kalkuliert.

Abbau des Verbraucherschutzes geht weiter

Seit Vorlage des Gutachtens konnte erreicht werden, dass das Land einen etwas höheren Zuschuss zahlen will als im Gutachten kalkuliert (870.000 Euro). Auch bezüglich der Beratungsstellen wird die Zielvereinbarung für die nächsten fünf Jahre wohl anders lauten als im Gutachten vorgeschlagen. Doch auch mit der nun geplanten Finanzierung bleiben die Kernprobleme bestehen:

  • 2016 kann voraussichtlich zumindest vorübergehend kein Pressesprecher mehr beschäftigt werden, weil 40.000 Euro fehlen.
  • Ab 2017 sind die Beratungsstellen in Gefahr, weil die Landesfinanzierung trotz steigender Personalkosten auf 870.000 Euro festgeschrieben werden soll und dies zu Einsparungen zwingt. Die Landesregierung hat in den aktuellen Haushaltsberatungen eine “Verpflichtungsermächtigung” beantragt, die auch für die Jahre 2017-2020 nur einen Zuschuss von 870.000 Euro umfassen soll.

Mein Fazit: Schon heute hat die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein so wenige Beratungsstellen wie kein anderes vergleichbar großes Bundesland. Bei einer Landesfinanzierung von 870.000 Euro jährlich finanziert kaum ein Bundesland seine Verbraucherzentrale pro Einwohner noch schlechter als Schleswig-Holstein. Diese Politik führt zu einem Sterben des Verbraucherschutzes auf Raten. Im letzten Jahr mussten wegen der unzureichenden Finanzierung schon die Öffnungszeiten der Beratungsstellen zusammengekürzt werden. Im nächsten Jahr kann kein Pressesprecher mehr bezahlt werden, ab 2017 ist gar die Existenz der Beratungsstellen ungesichert.
Rot-grün-blau hat im Koalitionsvertrag mehr Verbraucherberatung versprochen, doch die Koalition schafft es nicht einmal, das Bestehende abzusichern. Der Grund: Wirtschaftsminister Meyer sind Unternehmenssubventionen wichtiger als eine starke und unabhängige Verbraucherzentrale. Da besteht eindeutig ein Interessenkonflikt. Es ist an der Zeit, dem Wirtschaftsministerium die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz zu entziehen und sie der Justizministerin oder dem Umweltminister zu übertragen.
In der Sache ist zu fordern:

  1. Das Land muss seine Verantwortung für das Netz an Verbraucherberatungsstellen im Land (“Präsenz in der Fläche”) anerkennen.
  2. Der Landeszuschuss pro Einwohner sollte zumindest auf den Durchschnitt der Bundesländer angehoben werden (laut Unternehmensberatung zahlen bislang nur drei
    Bundesländer einen noch geringeren Landeszuschuss pro Einwohner als Schleswig-Holstein)
  3. Der Landeszuschuss sollte jährlich den steigenden Kosten (zB Personalkosten) angepasst (dynamisiert) werden, um der ständigen Existenzbedrohung der
    Beratungsstellen ein Ende zu setzen.

Wir Piraten werden in den Haushaltsberatungen einen Antrag dazu stellen.
Foto: Verkehrsminister Meyer, CC BY 2.0 SPD Schleswig-Holstein
Ergänzung vom 18.08.2016:
Mit Schreiben vom 05.02.2016 bekräftigt der Vorstandsvorsitzende der Verbraucherzentrale, dass die nunmehr auf 870.000 Euro eingefrorene jährliche Grundförderung nicht ausreicht, um das Personal aus institutionellen Mitteln dauerhaft zu finanzieren, und dass auch weiterhin jährlich um ein Ausgleich gestiegener Kosten wird gekämpft werden müssen.

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