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Chatkontrolle: Innenministerium will mit Last-Minute-Trick Zustimmung erzwingen – EU-Kommission täuscht Kinderschützer mit Falschinformationen

Freiheit, Demokratie und Transparenz Pressemitteilung Pressemitteilungen

Mit einem dramatischen Last-Minute-Vorstoß versucht das CSU-geführte Bundesinnenministerium, die Zustimmung des Bundesjustizministeriums (SPD) zur umstrittenen EU-Chatkontrolle bis Dienstag (7.10.) zu erzwingen. Mit deutscher Unterstützung wäre im EU-Rat dann erstmals eine Mehrheit für die Chatkontrolle vorhanden und könnte das Vorhaben schon am Mittwoch (8.10.) durchgewunken werden. Der Vorstoß ignoriert explizite Warnungen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), des Messengerdienstes Signal, des Chaos Computer Clubs (CCC), des Max-Planck-Instituts für Sicherheit und Privatsphäre und hunderter führender Wissenschaftler. Gleichzeitig deckt der ehemalige Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) auf, dass die EU-Kommission deutsche Kinderschützer mit Falschinformationen täuscht, und ruft die Bürger zum Protest auf.

Der Druck auf das Bundesjustizministerium zuzustimmen ist enorm: Ein als “Kompromiss” präsentierter Vorschlag der EU-Ratspräsidentschaft vom 3. Oktober (13095/25 – Verschlusssache) sieht vor, bei der anlasslosen Durchleuchtung privater Nachrichten “nur” noch nach bereits bekanntem Missbrauchsmaterial zu suchen. Geplant bleibt damit aber im Kern die massenhafte, verdachtslose Chatkontrolle durch automatisierte Durchsuchung und Ausleitung privater Chats und die Aushebelung der bisher sicheren Ende-zu-Ende-Verschlüsselung privater Nachrichten – ein Schritt, vor dem das BSI am gleichen Tag unmissverständlich warnte: “Jedes Brechen der E2E-Verschlüsselung erhöht die Angriffsfläche und birgt hohe Risiken.” Signal und Threema haben zum Erhalt der Sicherheit ihrer Messengerdienste angekündigt, dass sie ihr Angebot in der EU einstellen würden, um den Vorschlag nicht umsetzen zu müssen. Signal-Präsidentin Meredith Whittaker nannte den möglichen Kurswechsel Deutschlands eine „katastrophale Kehrtwende“. Auch Breyer warnt: „Falls die Chatkontrolle kommt, sterben sichere Messenger in Europa – wir verlieren den Kontakt zur Welt. Es droht ein digitales Exil für uns alle.“

Brisant wird der Vorgang durch bisher unbekannte Informationen über die Methoden der EU-Kommission zur Durchsetzung ihres hochumstrittenen Vorstoßes. Von Breyer veröffentlichte Unterlagen zeigen, dass die Kommission bei einem Treffen mit deutschen Kinderschutzorganisationen am 1. Juli ihren Gesetzentwurf als eine „beschränktere Version der heutigen Möglichkeiten“ verharmlost hat. Breyer dazu:

„Das ist eine glatte Lüge und dreiste Desinformation. Das Gegenteil ist wahr. Der Gesetzentwurf zur Chatkontrolle würde erstmals und weltweit einzigartig eine Pflicht zum Scannen sämtlicher privaterChats einführen und erstmals sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung brechen – ein nie dagewesener Zerstörungsangriff auf unsere Privatsphäre und Internetsicherheit.“

Kritische Organisationen wie der Deutsche Kinderschutzbund nahmen nicht an dem Treffen teil.

Breyer ruft die Bundesregierung jetzt auf, dem Druck standzuhalten:

„Mit der drohenden Chatkontrolle stehen wir am Rande eines Überwachungsregimes, wie es nirgendwo sonst in der freien Welt existiert. Nicht einmal Russland und China haben es geschafft, Wanzen in unsere Smartphones einbauen zu lassen, wie es die EU beabsichtigt. Der Blitz-Vorstoß des CSU-Innenministeriums, die langjährige deutsche Kritik daran aufzugeben, ist ein Frontalangriff auf unsere digitale Sicherheit, der den Rat der eigenen Sicherheitsbehörden und der gesamten Zivilgesellschaft missachtet – ein Verrat an Freiheit und Vernunft!“

Der aktuelle Vorschlag, die Chatkontrolle zur Suche nach vermeintlich „bekannten“ Inhalten einzuführen, ist 2024 schon einmal gescheitert – auch am Widerstand Deutschlands – und wurde schon damals von EU-Juristen als nicht mit den Grundrechten vereinbar eingestuft. Auch Breyer kritisiert den Vorschlag als Augenwischerei:

„Egal mit welchem Ziel – auch die Post darf nicht einfach willkürlich jeden Brief öffnen und einscannen. Den Juristen des EU-Rats zufolge ist auch diese Form der Chatkontrolle vor Gericht zum Scheitern verurteilt – warum sollen wir unsere Freiheit für ein totes Pferd opfern? Nur nach schon bekannten Aufnahmen zu suchen, stoppt keinen laufenden Missbrauch. Umgekehrt wird der Kinderschutz sabotiert: Das BKA ertrinkt schon heute in Falschmeldungen. Die angestrebte Vervielfachung der Meldungen mit einer verpflichtenden Chatkontrolle würde wertvolle Ressourcen von der komplizierten Jagd auf Täterringe abziehen. Das EU-Parlament fordert fraktionsübergreifend – samt Union und SPD – statt Chatkontrolle sicherere Apps, eine proaktive Säuberung des Internets und eine Pflicht zur Löschung illegaler Inhalte – nichts davon ist in dem dem neuesten Vorstoß enthalten. Missbrauchsopfer haben einen effektiven, grundrechtskonformen und gerichtsfesten Schutz verdient – nicht diese Verhöhnung ihrer Anliegen.“

Auch die stellvertretende Vorsitzende des Vereins von Missbrauchsbetroffenen MOGIS, Dorothée Hahne, kritisiert: „Chatkontrolle bedeutet digitaler Überwachungsstaat, keinem einzigen Kind ist damit geholfen.“

Heuchlerische Ausnahme: Sicherheitsapparat nimmt sich selbst aus

Ein besonders perfides Detail im aktuellen Vorschlag: Ausgerechnet die immer wieder problematischen Chatverläufe von Polizisten, Soldaten und Geheimdienstlern sowie der für sie zuständigen Minister sollen von der Chatkontrolle ausgenommen werden (Artikel 7).

„Das öffnet die Augen“, sagt Breyer. „Die Minister wissen genau, wie unzuverlässig und gefährlich die Schnüffelalgorithmen sind, die sie auf uns Bürger loslassen wollen. Wenn die Vertraulichkeit der Regierungskommunikation Schutz verdient, muss dasselbe für den Schutz der Wirtschaft und natürlich der Bürgerinnen und Bürger gelten, einschließlich der Räume, die Missbrauchsopfer für einen geschützten Austausch und Therapie brauchen. Es ist eine Unverschämtheit, dass die EU-Innenminister die Folgen der Zerstörung des digitalen Briefgeheimnisses und sicherer Verschlüsselung, die sie uns zumuten, selbst nicht ausbaden wollen.“

Die Plattform fightchatcontrol.de bietet Bürgern aktuell die Möglichkeit, mit wenigen Klicks bei ihren Bundestagsabgeordneten gegen das Vorhaben zu protestieren.

Zeitleiste:

Weitere Informationen finden Sie auf Patrick Breyers Informationsportal zur Chatkontrolle:
https://www.chatkontrolle.de