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Chatkontrolle stoppen, fordern 500 Forschende – Breyer verlangt SPD‑Veto und klares Nein der Bundesregierung

Freiheit, Demokratie und Transparenz Pressemitteilung Pressemitteilungen

Drei Tage vor der nichtöffentlichen Beratung am 12. September warnen über 500 führende Wissenschaftler aus 34 Ländern die EU-Regierungen davor, mit der geplanten Chatkontrolle das digitale Briefgeheimnis zu beerdigen. Ihr heute veröffentlichter offener Brief bezeichnet das geplante Verfahren zur Chatkontrolle als „technisch untauglich“ und grundrechtswidrig. Die Warnung kommt kurz vor der geplanten Absegnung des Vorhabens durch die EU-Innenminister am 14. Oktober und erhöht den Druck auf die zögernde Bundesregierung, eine klare Position zu beziehen. Der ehemalige EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) fordert die Bundesregierung auf, die Chatkontrolle insgesamt abzulehnen – nicht nur Ausnahmen für verschlüsselte Dienste zu verlangen. Die SPD solle ihr Veto einlegen, um mindestens eine deutsche Enthaltung zu erzwingen. Deutschlands Stimme im Rat ist entscheidend.

Offener Brief: https://csa-scientist-open-letter.org/Sep2025_de

Die Kritik der 500+ Forschenden zielt auf das Grundprinzip der geplanten anlasslosen Massen-Scans privater Chats und Fotos:

  • Technisch unmöglich in diesem Maßstab: Die Forschenden betonen, dass es „einfach nicht machbar“ sei, die Kommunikation von Hunderten Millionen Nutzern mit einer „akzeptablen Genauigkeit“ zu scannen – egal ob auf dem Smartphone (Client‑side) oder beim Anbieter (Server‑side). Es droht eine Flut von Falschmeldungen an Behörden, die unschuldige Familien, Jugendliche oder sogar Ärzte verdächtigen. Das Bundeskriminalamt hat jüngst mitgeteilt, dass 2024 jeder zweite im Rahmen der bisher freiwilligen Chatkontrolle gemeldete Chat strafrechtlich irrelevant war.
  • Leichte Umgehung durch Täter: Kriminelle können Detektionsalgorithmen durch minimale Änderungen an Bilddateien oder durch einfache URL-Verschleierung mühelos umgehen. Die Überwachung trifft somit vor allem Unbescholtene, während die Täter unsichtbar bleiben.
  • Gefährdung der Demokratie: Die Chatkontrolle schafft eine ausweitbare Infrastruktur („Function Creep“) für Kontrolle und Zensur – die Forschenden warnen ausdrücklich vor Missbrauch und Nachahmung in weniger demokratischen Regimes. Auch in Europa sind illiberale Regierungen teilweise bereits an der Macht. Bisher existieren verdachtslose Chatkontrollen weltweit nur in China und werden dort zur Suche nach politischen Gegnern missbraucht.
  • Zerstörung des digitalen Briefgeheimnisses: Jede Form der automatisierten Massenüberwachung privater Kommunikation stellt einen massiven Eingriff in Grundrechte dar, der nach Ansicht des Juristischen Dienstes des Rates und vieler Experten vor den Gerichten keinen Bestand hätte.

Deutschlands Schlüsselrolle für eine Sperrminorität

Die Zukunft der privaten Kommunikation in Europa hängt von Deutschland ab. Eine deutsche Enthaltung oder ein Nein im Rat würde eine Sperrminorität gegen das Vorhaben ermöglichen und die Chatkontrolle stoppen. Dafür (14 Staaten) sind bisher u.a. Frankreich, Spanien, Italien, nicht zustimmen (6 Staaten) wollen bisher u.a. Niederlande, Österreich, Polen, unentschlossen (7 Staaten) ist allen voran noch Deutschland.

Der ehemalige Europaabgeordnete der Piratenpartei, Patrick Breyer, warnt die Koalition vor faulen Kompromissen: „Die Bundesregierung darf nicht dem Trugschluss aufsitzen, eine Ausnahme für verschlüsselte Messengerapps löse das Problem. Der toxische Kern der Chatkontrolle ist die verdachtslose Massenüberwachung selbst – egal ob sie auf unseren Handys oder auf den Servern der Konzerne stattfindet. Die wissenschaftlichen Fakten sind eindeutig: Auch die serverseitige Durchleuchtung unverschlüsselter Nachrichten ist extrem fehleranfällig, wird von Kriminellen leicht umgangen und kriminalisiert tagtäglich unzählige unschuldige Bürgerinnen und Bürger. Eine grundrechtskonforme Lösung kann nur lauten: Gezielte Überwachung bei Tatverdacht, nicht flächendeckendes Scannen von allen. Für wirksamen Kinderschutz brauchen wir Prävention vor Ort, Aufklärung, traumasensible Hilfe, schnelle Löschung und verdeckte Ermittlungen gegen Missbrauchstäter und Drahtzieher – statt flächendeckender Scans und Alterszwangskontrollen.“

Breyer schließt mit einer klaren Forderung: „Innenminister Dobrindt und Justizministerin Hubig müssen jetzt Haltung zeigen und diesem Generalangriff auf das digitale Briefgeheimnis eine Absage erteilen. Jeder ‚Kompromiss‘, der auf verdachtslose Überwachung hinausläuft, wäre ein Verrat an unserem Grundrecht auf private und sichere Kommunikation, auf das auch Missbrauchsopfer selbst angewiesen sind. Falls es in der Koalition keinen Konsens gibt, fordere ich die SPD auf, ihr Veto einzulegen und eine deutsche Enthaltung zu erzwingen. Die SPD darf nicht zulassen, dass Deutschland den Weg für die in einer Demokratie nie dagewesene Chatkontrolle frei macht!“

Weiterführende Informationen:

Offener Brief der Forschenden (9.9.2025): https://csa-scientist-open-letter.org/Sep2025_de

Hintergrundinformationen zur Chatkontrolle: https://chatkontrolle.de

Terminhinweis:
– 12. September 2025: Nächstes nichtöffentliches Arbeitsgruppentreffen des Rates zum Gesetzesvorhaben
– 14. Oktober 2025: Geplante Zustimmung der EU-Innenminister