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Digitale-Dienste-Gesetz: Nicht gehaltene Versprechen beim Schutz der Bürgerrechte

Europaparlament Freiheit, Demokratie und Transparenz Pressemitteilungen

Heute hat der federführende Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des Europäischen Parlaments seinen Bericht zum geplanten Digitale-Dienste-Gesetz (engl. Digital Services Act) der EU angenommen. Gestern Abend wurden drei Änderungsanträge des Innenausschusses zu Datenschutz, Verbraucherschutz und Rechtsschutz abgelehnt und eine Identifizierungspflicht für Veröffentlichungen auf Pornoplattformen neu aufgenommen.

Der Europaabgeordnete und Bürgerrechtler Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), der die Verhandlungen als Berichterstatter des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres verfolgt hat, kommentiert das Ergebnis:

„Aus Sicht der Bürgerrechte ist der Bericht weitgehend enttäuschend. Das Europäische Parlament ist letztes Jahr mit wegweisenden Forderungen als Tiger gesprungen, droht jetzt aber vielfach als Bettvorleger zu landen. Wer sich von Europa ein Ende des überwachungskapitalistischen Geschäftsmodells im Internet, ein Ende der Monopolstellung weniger Internetkonzerne oder der fehleranfälligen Uploadfilter erhofft hat, wird enttäuscht. Mehr Transparenz reicht einfach nicht. Nur wenige Empfehlungen des LIBE-Ausschusses wurden aufgegriffen.[1] Das kann nicht das letzte Wort sein. Zur Plenarabstimmung im Januar wird mein Ausschuss voraussichtlich eine ganze Reihe von Änderungsanträgen zum Schutz von Privatsphäre und Meinungsfreiheit vorlegen.“

Eine neue Gefahr für Privatsphäre und Sicherheit im Netz sieht Breyer in der Parlamentsforderung, Veröffentlichungen von Bild und Text auf Erwachsenenunterhaltungsportalen von der Hinterlegung einer Handynummer beim Betreiber abhängig machen zu wollen. „Wegen des absehbaren Hacks und Leaks solcher Pornouploaderdatenbanken fordert diese Identifizierungspflicht Stalking und Bedrohung von Sexarbeiter:innen, LGBTQI-Personen, politisch exponierter und gefährdeter Personen geradezu heraus. Opfern ungewollter Intimaufnahmen schadet die Verdrängung solchen Materials auf Nicht-EU-Portale, weil diese Meldungen illegaler Aufnahmen und Anfragen von Strafverfolgern einfach ignorieren. Die Abschaffung anonymer Veröffentlichungen als akzeptables Mittel gegen unzulässige Inhalte anzuerkennen, droht einen Präzedenzfall weit über Erwachsenenunterhaltung hinaus zu schaffen.“

Im Einzelnen bewertet Breyer den Beschluss aus Sicht der Bürgerrechte wie folgt:

Uploadfilter

Zwar hat die EU aus den Art. 13/17-Protesten gegen die Urheberrechtsreform gelernt und schließt neuen Filterpflichten aus. Allerdings wird das Versprechen, den „freiwilligen“ Einsatz der fehleranfälligen Filter durch Internetplattformen zu verbieten, nicht eingelöst. In der Praxis ändert sich also nichts.

Datensicherheit

Das versprochene Recht auf anonyme Internetnutzung, um den ständigen Datenleaks und Datenmissbrauch im Netz ein Ende zu setzen, soll nicht kommen. Staatliche Behörden sollen ohne Richterbeschluss umfassende Surfprotokolle der User:innen anfordern können. Aber immerhin: Das Recht auf sichere Verschlüsselung soll garantiert werden. Und eine flächendeckende Vorratsdatenspeicherung auf Internetportalen soll ausgeschlossen werden.

Überwachungswerbung

Die systematische Überwachung und Erstellung von Persönlichkeitsprofilen der Internetuser:innen für Werbezwecke soll erlaubt bleiben. Erstmals soll aber die Möglichkeit eingeführt werden, sich im Browser generell dagegen entscheiden können („do not track“) und dann auch von störenden Einwilligungsbannern verschont zu bleiben – ein wichtiger Fortschritt!

Informationsfreiheit

Internetveröffentlichungen sollen weiter ohne Richterbeschluss gelöscht werden können – selbst wenn sie im Land der Veröffentlichung völlig legal sind. Das heißt, Orban löscht künftig auch in Deutschland, auf der Grundlage seiner eigenen Gesetze. Das versprochene Verbot von Netzsperren soll nicht kommen. Internetplattformen müssen die User:innen auch nicht fragen, bevor sie löschen. Immerhin: Eine automatische Sperrung von Nutzer:innen, die angeblich wiederholt Urheberrechts- oder andere Rechtsverstöße begangen haben sollen, soll dem Parlament zufolge doch nicht kommen.

Interoperabilität

Die Konzerne dürfen weiter alleine darüber entscheiden, was in den Timelines der Nutzer:innen auftaucht und was nicht.

(Nicht-)Umsetzung der Empfehlungen des LIBE-Ausschusses (grün: umgesetzt, rot: nicht umgesetzt)

Kompromissanträge