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Sperrklausel beschlossen – Kleine Parteien werden aus EU-Parlament ferngehalten | abgeordnetenwatch.de [extern]

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Nach längerem hin und her hat der EU-Rat für Europawahlen am 7. Juni eine verpflichtende Sperrklausel beschlossen, die spätestens ab 2024 gelten soll. Sie soll aus Sicht der Bundesregierung einer Zersplitterung des EU-Parlaments vorbeugen. Das aber ist, zumindest was Deutschland angeht, wenig überzeugend: Von den sieben Abgeordneten kleinerer Parteien haben sich fünf einer Fraktion angeschlossen. So bildet etwa Julia Reda, die für die Piratenpartei im Europaparlament sitzt, eine Fraktionsgemeinschaft mit den Grünen, Ulrike Müller von den Freien Wählern ist Fraktionskollegin der FDP-Parlamentarier.

Das tatsächliche Interesse der Großen Koalition an einer Wiedereinführung der Sperrklausel dürfte ein anderes sein. Profitieren würden von ihr die großen Parteien: Wenn weniger Parteien aus Deutschland ins EU-Parlament einziehen, entfallen mehr Mandate auf die im Parlament vertretenen Parteien. Insgesamt verfügt Deutschland über 96 Sitze.

Eigentlich war eine kurzfristige Wahlrechtsänderung auf EU-Ebene vor kurzem schon als unrealistisch abgeschrieben worden. Die dpa etwa berichtete, dass eine solche Regelung nach einer Leitlinie der Venedig-Kommission nur bis zu einem Jahr vor einer Wahl möglich sei. Diese Frist hatte die EU verpasst, weil ihr Mitglied Italien aufgrund der schleppenden Regierungsbildung nicht abstimmen konnte. Tatsächlich ist die Regelung der Kommission aber rechtlich nicht bindend. Deutschland hatte sich in den vergangenen Monaten bei anderen Mitgliedsstaaten massiv dafür eingesetzt, eine Sperrklausel einzuführen.

Verfassungsgericht könnte Sperrklausel kippen – zum wiederholten Mal

7 Parteien wären an Hürde gescheitert

Bei der EU-Wahl 2014 gingen insgesamt sieben Sitze an Parteien, die bei einer 2 Prozent-Hürde nicht im EU-Parlament vertreten gewesen wären (Die Partei, Familienpartei, Freie Wähler, NPD, ödp, Piratenpartei, Tierschutzpartei, für die mehr als 2 Mio. Wählerinnen und Wähler gestimmt hatten). In einem solchen Fall wären die Mandate nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel auf CDU, SPD, Grüne, Linke, AfD, CSU oder FDP verteilt worden.

Nach einer überraschenden Vertagung der Entscheidung im April (abgeordnetenwatch.de berichtete) ging nun alles ganz schnell: Der EU-Rat stimmte mit der deutschen Bundesregierung für ein neues Wahlrecht. Dies würde der Großen Koalition in Deutschland die Möglichkeit geben, noch vor der Europawahl 2019 das Wahlgesetz zu ändern, um die EU-Vorgaben umzusetzen – für die es zuvor selbst lobbyiert hatte.

Ob eine solche Änderung allerdings einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würde, ist stark zu bezweifeln. Zum einen soll die EU-Regelung erst ab der nächsten Wahl 2024 verpflichtend gelten und effektiv auch nur für Spanien und Deutschland. Alle anderen Länder müssen keine Anpassungen in ihrem nationalen Wahlrecht umsetzen. Zum anderen ist auch die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit einer Sperrklausel stark umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hatte in den vergangenen Jahren bereits zweimal eine Sperrklausel zur Europawahl als verfassungswidrig eingestuft.

Gegen ein mögliches neues Wahlgesetz wollen verschiedene kleinere Parteien klagen, darunter die Piratenpartei. Nach einem Gutachten von EU-Juristen, das wir auf Basis einer Informationsfreiheitsanfrage des Piratenpolitikers Patrick Breyer veröffentlichen, ist die geplante Regelung auf EU-Ebene zwar rechtlich zulässig, das Bundesverfassungsgericht könnte dies jedoch anders sehen.

Eine Veröffentlichung des Rechtsgutachtens war vom EU-Rat übrigens lange Zeit verweigert worden. Begründung: Bei Bekanntwerden hätte die Wahlrechtsreform scheitern können.

Arne Semsrott

Anmerkung vom 7. Juni 2018: Der Artikel wurde nach dem Beschluss der Sperrklausel durch den EU-Rat entsprechend angepasst.

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  • Patrick Breyer

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