Warum eine “ständige Mitgliederversammlung” ein Problem und keine Lösung ist
Kurzzusammenfassung
Eine “ständige Mitgliederversammlung” (besser: “ständige Internet-Beschlussfassung”) geht an den oft beklagten Problemen von Bundesparteitagen (Ausschluss armer oder zeitlich verhinderter Piraten, Behandlung nur weniger Anträge, keine zeitnahe Positionierung zu Aktuellem) vorbei. Stattdessen schafft sie neue Probleme, die weit schwerer wiegen (z.B. viel weniger Partizipation, qualitativ minderwertige Beschlussflut, verfälschte Mehrheiten, Manipulationsrisiko, Verstoß gegen das Parteiengesetz), erst recht der in Bochum eingereichte Antrag (z.B. durch Klarnamenszwang, Dauerspeicherung des Abstimmungsverhaltens und demotivierende Super-Delegationen).
Zum Glück gibt es ausreichende andere, tatsächlich funktionierende Lösungsmöglichkeiten für die genannten Probleme (z.B. frühzeitige Tagesordnung, Antragsänderungen vor Ort, Mitgliederentscheide oder Briefwahl, dezentrale Parteitage, Reisekostentopf). Auf diese sollten wir uns konzentrieren, damit die Piratenpartei so basisdemokratisch bleibt wie keine der etablierten Parteien.
Inhalt
A. Die Unzufriedenheit mit unserem letzten Bundesparteitag
B. Der Vorschlag einer ständigen Internet-Beschlussfassung
- Die Bezeichnung „ständige Mitgliederversammlung“ ist falsch
- Eine ständige Internet-Beschlussfassung schließt weit mehr Piraten aus als ein Parteitag
- Eine zeitnahe Positionierung braucht keine Internet-Beschlussfassung
- Eine ständige Internet-Beschlussfassung hätte den Bundesparteitag nicht entlastet
- Eine ständige Internet-Beschlussfassung produziert eine qualitativ minderwertige Beschlussflut
- Eine offene Internet-Beschlussfassung verfälscht den Basiswillen
- Eine Internet-Beschlussfassung ist manipulierbar
- Mangelnde Akzeptanz wegen illegalem Klarnamenszwang
- Mangelnde Akzeptanz wegen personenbezogener Dauerspeicherung der politischen Meinung
- Internet-Delegationen können demotivieren
- Eine ständige Internet-Beschlussfassung ist rechtlich nicht machbar
- Eine ständige Internet-Beschlussfassung findet keine Mehrheit
C. Basisdemokratie geht anders: Alternativen
- Wie lassen sich Parteitage effektiver gestalten?
- Niemanden ausschließen!
- Eine basisdemokratische Positionierung zwischen Parteitagen ist möglich
D. Ergebnis
E. Weiterlesen
A. Die Unzufriedenheit mit unserem letzten Bundesparteitag
Viele Piraten scheinen mit dem Verlauf unseres letzten Bundesparteitags in Bochum unzufrieden zu sein. Kritisiert wird vor allem, dass zu wenige der vielen eingereichten Anträge behandelt worden seien und dass zuviel Zeit auf überflüssige Debatten verwandt worden sei.
Ich teile diese Kritik nicht und sehe den Bundesparteitag als Erfolg an, der unser Programm um wichtige Themenfelder ergänzt hat. Es wurden 32 Anträge behandelt und 20 davon angenommen. Wenn man sich ansieht, wieviele Anträge andere Parteien auf einem Bundesparteitag annehmen (z.B. 23 die CDU, 26 die Grünen), kann sich diese Bilanz sehen lassen.
Die etablierten Parteien stehen auch nicht mehr vor der Herausforderung, sich erstmals auf wirtschafts- oder außenpolitische Grundsätze zu einigen. Deswegen verwundert es nicht, dass wir auf früheren Parteitagen mehr Beschlüsse gefasst haben. Neue Themenfelder müssen natürlich eingehender diskutiert werden als unstreitige, kernthemennahe Anträge. Aus diesem Grund halte ich die langen Debatten auf dem Bundesparteitag in Bochum auch nicht für überflüssig.
Auch dass ein großer Teil der eingereichten Anträge nicht behandelt werden konnte, ist bei allen Parteien so (z.B. auch bei der CDU oder bei den Grünen). Bei uns kommt hinzu, dass jedes Mitglied Anträge einreichen kann, so dass zwangsläufig mehr Anträge eingereicht werden als im Fall von Delegiertensystemen.
Die von oben verordneten “Vollprogramme” der etablierten Parteien erwecken ohnehin nur die Illusion der Vollständigkeit. Aus den darin enthaltenen Allgemeinplätzen lässt sich nichts konkretes ableiten, sie werden auch kaum gelesen. Eine solche Programmattrappe sollten wir nicht anstreben.
B. Der Vorschlag einer ständigen Internet-Beschlussfassung
Nach Vorstellung einiger Piraten soll eine ständige Beschlussfassung über das Internet Abhilfe schaffen, genannt “ständige Mitgliederversammlung” (SMV). Auf dem Bundesparteitag in Bochum stand ein entsprechender Antrag von Katja Dathe aus Berlin auf der Tagesordnung, der Satzungsänderungsantrag SÄA041. Die Versammlung entschied am Sonntag jedoch, programmatisch weiter zu arbeiten anstatt diesen Antrag zu diskutieren.
Der Antrag sollte es ermöglichen, Positionen der Piratenpartei künftig alleine über das Internet zu beschließen (Programmanträge, Satzungsänderungen und Wahlen sollten ausgenommen sein). Dazu sollte LiquidFeedback zum Einsatz kommen. Zur Registrierung sollte man einen Ausweis vorlegen müssen. Der Klarname zu jedem Benutzernamen sollte für jeden teilnehmenden Piraten einsehbar sein.
1. Die Bezeichnung „ständige Mitgliederversammlung“ ist falsch
“Ständige Mitgliederversammlung” ist in meinen Augen die falsche Bezeichnung für den Vorschlag. Laut Duden bedeutet “Versammlung” ein “Beisammensein mehrerer […] zu einem bestimmten Zweck”. Beschlüsse zeitversetzt über das Internet zu fassen, begünstigt Vereinzelung und ist das Gegenteil des Beisammenseins, das echte Mitgliederversammlungen (Parteitage) ausmacht.
Ich nenne den Vorschlag “ständige Internet-Beschlussfassung“, weil es das ist, worum es bei dem Vorschlag geht. LiquidFeedback gibt es schon heute und kann zur Ausarbeitung von Anträgen und Einholung von Meinungsbildern genutzt werden (dafür halte ich es auch für sinnvoll, wenn es datensparsam ausgestaltet wird). Was der Vorschlag ändern würde, ist (vereinfacht gesagt), dass LiquidFeedback-Meinungsbilder als Beschlusslage der Piratenpartei anerkannt würden. Es geht also um eine ständige Internet-Beschlussfassung.
2. Eine ständige Internet-Beschlussfassung schließt weit mehr Piraten aus als ein Parteitag
Wichtigstes Argument der Befürworter einer ständigen Internet-Beschlussfassung ist, dass im Netz Piraten mitentscheiden könnten, die an Bundesparteitagen aus finanziellen und zeitlichen Gründen nicht teilnehmen könnten.
Bei den wichtigsten Beschlüssen, nämlich denen zum Grundsatzprogramm und zum Wahlprogramm, könnte eine Internet-Beschlussfassung die Partizipation von vornherein nicht erhöhen. Denn die Programmgestaltung soll weiterhin den Parteitagen vorbehalten sein. Schon dies zeigt, dass eine Internet-Beschlussfassung nicht die Lösung für Teilnahmehindernisse sein kann.
Die Erfahrung zeigt sogar, dass LiquidFeedback weit höhere Partizipationshürden aufbaut als Parteitage: Die Registrierung ist schwierig. Und kaum jemand hat die Zeit, das System ständig zu verfolgen. Im Ergebnis stehen regelmäßig nur 1,5% der Bundes-Basis hinter den Ergebnissen von LiquidFeedback (durchschnittlich 300 Pro-Stimmen bei Annahme). Auf dem Bundesparteitag benötigte man ein Vielfaches für eine Mehrheit (zuletzt ca. 900 Stimmen). Die Hoffnung, an einem verbindlichen LiquidFeedback würden dauerhaft mehr Piraten teilnehmen, sehe ich in den Landesverbänden, die sich dafür entschieden haben, bisher nicht erfüllt.
Um es plastisch auszudrücken: Eine “ständige Mitgliederversammlung” wäre ziemlich leer, ähnlich wie der Bundestag bei Verabschiedung des katastrophalen Meldegesetzes. Parteitagsbeschlüsse sind trotz des Aufwands der Anreise weit repräsentativer. Dies gilt auch in geografischer Hinsicht: Eine grobe Aufschlüsselung der LiquidFeedback-Teilnehmer nach Landesverband zeigt, dass die anreisebedingte geografische Verzerrung auf Parteitagen bei weitem geringer ist als die geografische Verzerrung von LiquidFeedback.
Eine Internet-Beschlussfassung würde neue Zugangshürden aufbauen: Nur wenige Zeitprivilegierte könnten die inhaltliche Positionierung der Partei noch ebenso vollständig mitbestimmen wie auf Bundesparteitagen. Kaum jemand könnte die Antragsflut noch überschauen. Eine Internet-Beschlussfassung würde die bewährte Schwarmintelligenz der Partei durch eine abstimmende Zeitelite ersetzen. Und Offline-Piraten ohne Internetanschluss würden ganz ausgeschlossen.
Es zeigt sich, dass eine ständige Internet-Beschlussfassung nicht die Lösung für Teilnahmehindernisse an Parteitagen darstellt, sondern umgekehrt noch höhere Hinternisse errichtet. (Auf funktionierende Möglichkeiten zur Überwindung von Teilnahmehürden an Parteitagen werde ich unten noch eingehen.)
3. Eine zeitnahe Positionierung braucht keine Internet-Beschlussfassung
Weiteres Ziel der Befürworter einer Internet-Beschlussfassung ist es, eine zeitnahe Positionierung zu aktuellen Themen zu ermöglichen. Eine zeitnahe Positionierung ist aber auch ohne verbindliche Internetbeschlüsse möglich. Schon heute können Piraten (z.B. Vorstände, Kandidaten, Abgeordnete) auf die Meinungsbilder in LiquidFeedback zurückgreifen, wenn sie sich öffentlich positionieren. Wir sollten allen Piraten zugestehen, in der Öffentlichkeit ihre Meinung zu äußern, wenn sie diese als persönliche Meinung kennzeichnen.
4. Eine ständige Internet-Beschlussfassung hätte den Bundesparteitag nicht entlastet
Der Satzungsänderungsantrag zur ständigen Internet-Beschlussfassung nennt als Hauptziel die Entlastung des Bundesparteitags, auf dem stets nur eine kleine Auswahl der eingereichten Anträge zur Sprache kommt. Den Bundesparteitag in Bochum hätte eine ständige Internet-Beschlussfassung aber nicht entlastet. Behandelt wurden nämlich ausschließlich Anträge auf Programm- und Satzungsänderung, die auch künftig nicht Gegenstand der Internet-Beschlussfassung werden sollen. (Aus einem Programmantrag musste ein Positionspapier gemacht werden, darauf gehe ich noch ein.) Auch die weiteren Anträge auf der Tagesordnung, die nicht mehr behandelt werden konnten, waren fast alle Programmanträge. Wer beklagt, ein ausreichendes Programm ließe sich auf Parteitagen aus Zeitgründen nicht erarbeiten, muss deshalb nach anderen Wegen suchen (Lösungsansätze unten).
5. Eine ständige Internet-Beschlussfassung produziert eine qualitativ minderwertige Beschlussflut
Eine ständige Internet-Beschlussfassung geht nicht nur an den Problemen vorbei, die sie lösen soll, sondern schafft selbst massive Probleme. Das vielleicht wichtigste ist die mangelnde Qualität vieler angenommener LiquidFeedback-Initiativen. An die Qualität von Parteitagsbeschlüssen reichen LiquidFeedback-Initiativen oft nicht ansatzweise heran. Der Grund sind die fehlenden Qualitätsfilter:
Schon die Tagesordnung des Bundesparteitags ist ein äußerst effektiver Qualitätsfilter. Nur Anträge, die sehr viele Piraten behandelt sehen wollen, kommen überhaupt aussichtsreich auf die Tagesordnung. (Übrigens ist die nach LiquidFeedback-Zustimmungsrate sortierte Tagesordnung von praktisch allen Piraten abgelehnt worden.) In Bochum bekamen nur 40 Anträge eine mehrheitliche Zustimmung in der Tagesordnungsumfrage, obwohl hunderte zuvor in LiquidFeedback eine Mehrheit bekommen hatten.
Dies setzt sich bei der Abstimmung fort: Auf Bundesparteitagen werden immer wieder Anträge mit deutlicher Mehrheit abgelehnt, welche in LiquidFeedback eine große Mehrheit der Teilnehmer hinter sich hatte. Dies verdeutlicht die mangelnde Repräsentativität von LiquidFeedback. Es zeigt aber auch, wie wichtig für die Qualitätssicherung die persönliche Debatte auf Parteitagen ist, der alle zuhören müssen. In der mündlichen Diskussion durch rund 2.000 Mitglieder fallen wichtige Aspekte auf, die in LiquidFeedback nicht auffallen.
Ein Beispiel: Der “Grundsatzprogrammantrag Inklusion” war in LiquidFeedback mit 92% Zustimmung angenommen worden. Erst auf dem Bundesparteitag wurde die unerwünsche Konnotation des Begriffs der “nationalen Identitäten” erkannt mit dem Ergebnis, dass dieser Antrag so schließlich nicht angenommen wurde. Prominente Piraten hatten schon ihren Austritt erwogen. Gut, dass wir keine Internet-Beschlussfassung hatten!
6. Eine offene Internet-Beschlussfassung verfälscht den Basiswillen
Ich habe schon gezeigt, dass LiquidFeedback – gemessen an Parteitagsbeschlüssen – den Willen der Basis immer wieder verfälscht und zu gegenteiligen Internet-Beschlüssen führen würde. Besonders groß ist diese Gefahr bei geheimen Abstimmungen, die über LiquidFeedback nicht möglich sind. Kann über heikle Fragen nicht geheim abgestimmt werden, kann der Konformitätsdruck das Ergebnis verfälschen.
Ein Beispiel: Als es auf dem Bundesparteitag in Offenbach um die Ablehnung nationalistischer Positionen ging, gab es in einem offenen Meinungsbild eine “deutliche Mehrheit” für eine Verankerung unserer Ablehnung der Holocaustleugnung in § 1 der Bundessatzung. Wegen des Drucks in Richtung eines “politisch korrekten” Abstimmungsverhaltens wurde geheime Abstimmung beantragt. In dieser war die “deutliche Mehrheit” dann weg und es blieb bei der Formulierung: “Totalitäre, diktatorische und faschistische Bestrebungen jeder Art lehnt die Piratenpartei Deutschland entschieden ab.”
7. Eine Internet-Beschlussfassung ist manipulierbar
Ein grundsätzlicher Einwand gegen eine Internet-Beschlussfassung ist deren mangelnde Manipulationssicherheit. Die Erfassung, Speicherung und Auszählung von Internet-Stimmen ist technisch bedingt intransparent und nicht überprüfbar. Ein Eindringling oder ein Administrator können Internet-Beschlusssysteme potenziell nach Belieben manipulieren. Möglich kann es beispielsweise sein, unbemerkt mit den Accounts inaktiver Piraten abzustimmen oder sich Delegationen zuzuweisen.
Den Klarnamen aller Abstimmungsteilnehmer zu kennen, ändert daran entgegen verbreiteter Ansicht nichts. Dem Berliner Datenschutzbeauftragten zufolge bietet ein Klarnamenszwang “keine vollständige Sicherheit, da auch hierbei darauf vertraut werden müsste, dass Administratoren etwa die Stimmabgaben der mit Klarnamen registrierten Benutzer nicht manipulativ umleiten”. Auch Streetdogg schreibt:
Es gibt über 30.000 Klarnamen in der Piratenpartei. Die kennt nicht nur nicht jeder alle, die meisten von denen kennt sogar überhaupt niemand. Es nützt nichts zu erfahren, ob ein Account einem “Olaf Olafsson” gehört. Mit dieser Information weiß man trotzdem nicht, ob der den Account selbst angelegt hat, selbst betreibt, oder ob seine Abstimmungen frei von Manipulationen sind. Wir machen uns mit der Satzungsänderung einen Wahlcomputer zum Organ.
In der Tat: Auch Klarnamens-Wahlcomputer sind Wahlcomputer.
Zwar ist bei Bundesparteitagen eine Manipulation ebenfalls nie ganz auszuschließen. Hier sind Manipulationen aber kaum – oder jedenfalls nur mit erheblichem Einsatz und einem sehr hohen Entdeckungsrisiko – möglich. Vor allem kann durch Eingriffe in Internet-Beschlusssysteme im Prinzip mit relativ geringem Aufwand eine große Wirkung erzielt werden. Eine einzige Manipulation kann nicht nur einzelne Wählerstimmen, sondern sehr viele Stimmen beeinflussen.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Einsatz von Computern bei Wahlen im Ergebnis mit der Begründung abgelehnt, dass eine Wahl auch von Menschen ohne technischen Sachverstand nachvollzogen werden können muss und jedem zu jeder Zeit es möglich sein muss, den Wahlvorgang zu beobachten. Dies kann das Internet systembedingt nicht leisten.
8. Mangelnde Akzeptanz wegen illegalem Klarnamenszwang
Die konkrete Ausgestaltung des Bochumer Antrags zur ständigen Internet-Beschlussfassung schafft noch größere als die unvermeidbar mit Internet-Beschlusssystemen verbundenen Probleme.
Insbesondere wird der in dem Antrag vorgesehene Klarnamenszwang die Zahl der teilnehmenden Piraten weiter reduzieren. In einer Datenschutzpartei liegt es auf der Hand, dass ein beträchtlicher Teil der Piraten nicht bereit sein wird, unter einem für tausende einsehbaren Klarnamen seine politische Meinung selbst in heiklen Fragen zu äußern.
Der in dem Antrag vorgesehene Klarnamenszwang ist sogar rechtswidrig, wie der Berliner Datenschutzbeauftragte für LiquidFeedback ausdrücklich festgestellt hat. Es ist sehr schade, dass Katja Dathe den Satzungsänderungsantrag vom letzten Bundesparteitag übernommen hat, ohne die zwischenzeitlich vorliegende Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten zu beachten.
Bei dem bestehenden LiquidFeedback würde ich mir wünschen, dass jeder Teilnehmer die Möglichkeit erhält, nach außen anonym aufzutreten, also die Anzeige seines Pseudonyms unterdrücken kann. Wenn auf Bundesparteitagen anonym abgestimmt werden kann, dann muss dies für unverbindliche Meinungsbilder erst recht möglich sein. (Volks-)Abstimmungen sind schließlich auch anonym möglich.
9. Mangelnde Akzeptanz wegen personenbezogener Dauerspeicherung der politischen Meinung
Noch in einem zweiten Punkt droht die konkrete Ausgestaltung des Satzungsänderungsantrags Teilnehmer von der Nutzung abzuhalten: LiquidFeedback speichert das Abstimmungsverhalten jedes Teilnehmers personenbeziehbar zwei Jahre lang und bietet sie sogar zum Download an. Dabei steht das Abstimmungsergebnis längst fest und ist auch nach kurzer Zeit nicht mehr anfechtbar. Durch die Datenspeicherung entsteht eine heikle Ansammlung unserer politischen Ansichten zu allen möglichen, auch sensiblen Fragen. Datenschutzbewusste Piraten wird auch dies von einer Nutzung abhalten.
Ob diese Datenspeicherung überhaupt zulässig ist, zieht der Berliner Datenschutzbeauftragte in Zweifel, ohne die Frage zu entscheiden. Der Bundesvorstand hatte sich vergeblich schon einmal dagegen ausgesprochen. Ich meine, dass das Abstimmungsverhalten mit Ende der Abstimmung zu löschen ist.
10. Internet-Delegationen können demotivieren
Der Bochumer Satzungsänderungantrag würde das umstrittene Delegationssystem von LiquidFeedback auf offizielle Beschlüsse ausweiten. Soll man sich künftig auch auf Bundesparteitagen vertreten lassen können? Die unterschiedliche Delegationsmöglichkeit bei der Entscheidung über Positionspapiere innerhalb und außerhalb des Internets will mir nicht einleuchten, egal was man von Delegationen generell hält.
Gegen Delegationen wird eingewandt, dass sie demotivierend wirkten, weil Nicht-Delegierte keine Möglichkeit mehr hätten, gegen das überragende Stimmgewicht der Delegierten “anzustimmen”. Im Fall einer ständigen Internet-Beschlussfassung hätten wenige Personen die Position der Piratenpartei in der Hand. Insoweit würde sich unsere Meinungsbildung nicht mehr sehr von derjenigen etablierter Parteien unterscheiden.
11. Eine ständige Internet-Beschlussfassung ist rechtlich nicht machbar
Unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung ist eine LiquidFeedback-basierte Internet-Beschlussfassung durch Parteien nach dem geltenden Recht unzulässig. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags schreibt:
Einer Beschlussfassung muss ferner stets eine Aussprache vorausgehen. Folglich ist für den virtuellen Parteitag ein Verfahren zu entwickeln, welches die Wahrnehmung von Rede- und Antragsrechten durch die Mitglieder sowie eine eingehende Diskussion unter ihnen ermöglicht. Für eine gültige Stimmabgabe gelten die zur geheimen Wahl gemachten Ausführungen entsprechend: Auch im Zusammenhang mit Beschlüssen, ist sicherzustellen, dass nicht nachverfolgt werden kann, welches Mitglied wie abgestimmt hat
Diese aus dem Parteiengesetz abgeleiteten Anforderungen kann eine LiquidFeedback-basierte Internet-Beschlussfassung nicht erfüllen: Insbesondere ist eine geheime Wahl nicht möglich. Bei LiquidFeedback kann nachverfolgt werden, welches Mitglied wie abgestimmt hat.
12. Eine ständige Internet-Beschlussfassung findet keine Mehrheit
Nach meinem Eindruck auf dem Bundesparteitag und auch ausweislich dieser (nicht repräsentativen) Umfrage wird der Satzungsänderungsantrag ohnehin mehrheitlich abgelehnt und hätte die nötige Zustimmung von zwei Dritteln der Piraten damit weit verfehlt. Die lange Debatte darüber hätte den Bundesparteitag nicht ent- sondern weiter belastet. Deswegen haben sich die Teilnehmer zurecht gegen die Behandlung des Antrags entschieden.
C. Basisdemokratie geht anders: Alternativen
Wir sollten uns daher alternativen, tatsächlich funktionierenden Lösungsmöglichkeiten für die beklagten Probleme von Bundesparteitagen zuwenden.
1. Wie lassen sich Parteitage effektiver gestalten?
Eine effektiviere Gestaltung der Parteitage fängt mit einer guten Vorbereitung an. Leider lässt sich die Flut von 700 Anträgen nicht vorbereiten, solange man nicht die Tagesordnung ungefähr einschätzen kann. Die Tagesordnungsentwürfe der Antragskommission waren dabei schon eine deutliche Hilfe, und die Zeit für eine basisdemokratische Ermittlung der Antragsreihenfolge müssen wir uns nehmen. Vielleicht könnte sich die Antragskommission das nächste Mal auf einen einzigen Tagesordnungsvorschlag nach dem Muster des in Bochum beschlossenen (TO6) beschränken und diesen möglichst frühzeitig bekannt geben? Man könnte dann ziemlich sicher sein, mit welchen Anträgen es sich intensiv zu beschäftigen gilt.
Außerdem sollte die Diskussionsseite der Anträge im Wiki genutzt werden, um wichtige Argumente schon im Vorfeld zu sammeln und zu diskutieren.
Das unbefriedigende Hin und Her um den Inklusionsantrag hat einen Mangel der Geschäftsordnung Satzung aufgezeigt: Es muss möglich werden, eingereichte Anträge auch nach Ablauf der Einreichungsfrist noch zu ändern. Die Zeit auf dem Bundesparteitag ist zu wertvoll als dass gute Anträge wegen einzelner Mängel ganz abgelehnt werden müssten.
Wem vor Endlosdebatten graut, der sollte nicht aufschreien, wenn der Parteitag ein Ende der Debatte beschließt. Es ist keine Zensur, die Aussprache auf eine ausreichendes Maß zu beschränken. Wer hingegen jeden zu Wort kommen lassen möchte, darf sich nicht gleichzeitig über Ineffektivität beschweren.
Wer eine mündliche Diskussion über Anträge trotz der oben gezeigten Argumente für verzichtbar hält, sollte sich den Satzungsänderungsantrag “Abstimmung nach Parteitagen” ansehen. Dieser soll es dem Bundesparteitag ermöglichen, bestimmte nicht behandelte Anträge vier Wochen später dezentral abstimmen zu lassen, und zwar in einer ordentlichen Urnenabstimmung ohne Wahlcomputer. Die Satzungsänderungsanträge für Mitgliederentscheide kann ich dagegen nicht befürworten, weil sie wieder das Internet zur Beschlussfassung einsetzen wollen.
2. Niemanden ausschließen!
Es gibt Piraten, die aus Zeitgründen nicht zum Bundesparteitag anreisen können. Für diese Gruppe könnte man an die Möglichkeit einer Briefabstimmung im Vorfeld des Parteitags oder eines (nicht-elektronischen) Mitgliederentscheids denken. Denkbar wäre es auch, eine Vertretung auf Parteitagen zuzulassen.
Um finanziell klammen Piraten die Teilnahme an Bundesparteitagen zu ermöglichen, gibt es viele Möglichkeiten: Bereits möglich ist es, sich eine günstige oder kostenlose Mitfahrgelegenheit und Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Dies sollte es schon heute jedem Piraten ermöglichen, zum Bundesparteitag zu kommen. (Mich würde interessieren, wie viele Piraten tatsächlich aus finanziellen Gründen nicht zum Bundesparteitag anreisen können. Vielleicht könnte eine Umfrage dazu Klarheit schaffen.)
Bei Bedarf könnte man das Angebot für finanzschwache Piraten durch Einrichtung spezieller Mitfahrbörsen oder durch Anbieten einer kostenlosen Hallenübernachtung erweitern. Für Fälle, in denen all dies ausscheidet, wäre die Einrichtung eines Reisekostentopfes sinnvoll, zu dem auch ich gerne beitragen würde.
Auf jeden Fall wäre es klasse, wenn es eine Kontaktstelle gäbe, an die sich jeder Pirat wenden könnte, der sich die Anreise nicht leisten kann. Die Kontaktstelle könnte helfen, Fahrgelegenheiten und Übernachtungsmöglichkeiten zu vermitteln.
Die Teilnehmerzahl erhöhen würden sicherlich auch dezentrale Bundesparteitage in mehreren Städten gleichzeitig.
3. Eine basisdemokratische Positionierung zwischen Parteitagen ist möglich
Um sich zeitnah und basisdemokratisch zu aktuellen Fragen positionieren zu können, können sich Piraten schon heute an Meinungsbildern in LiquidFeedback orientieren. Auch (nicht-elektronische) Mitgliederentscheide könnten eine Positionierung zwischen Parteitagen zulassen.
D. Ergebnis
Es zeigt sich, dass eine ständige Internet-Beschlussfassung an den Nachteilen von Bundesparteitagen vorbei geht. LiquidFeedback-Meinungsbilder kurzerhand zu Positionspapieren zu machen, löst keines der beklagten Probleme. Stattdessen schafft es neue Probleme, die weit schwerer wiegen.
Zum Glück gibt es ausreichende andere Lösungsmöglichkeiten, die wir noch nicht ausgeschöpft haben. Auf diese sollten wir uns konzentrieren, damit die Piraten auch weiterhin so basisdemokratisch entscheiden wie keine der etablierten Parteien. Auf unsere basisdemokratischen Parteitage können wir stolz sein. Wir Piraten nicken kein Programm aus der Retorte ab, sondern wir streiten um den richtigen Weg. Ich bin überzeugt davon, dass wir durch diese breite Beteiligung zu inhaltlich besseren Ergebnissen kommen. Auf Dauer wird sich diese Qualität durchsetzen.
Wer Basisdemokratie als “ineffizient” abtut, sollte sich die Ergebnisse der etablierten Politik ansehen und den Scherbenhaufen an Misstrauen, den sie hinterlassen hat. Ein französisches Sprichwort sagt, was auch für unsere Bundesparteitage gilt:
Der Preis wird vergessen, die Qualität bleibt.
Kommentare
Hallo Patrick,
eine schöne Zusammenfassung. Eigentlich ist damit fast alles gesagt. Ein paar Ergänzungen und Korrekturen hätte ich noch:
* B.11. in gibt es noch weitere Mängel: das Problem der Stimmrechtsübertragung §38,40,§164ff,§242 BGB und §10(2)PartG
und die Organeigenschaft der SMV §8(2),9(4),12 PartG ohne gewählte Mitglieder, die mE zusammen mit der Bezeichnung “Mitgliederversammlung” gewählt wurde um zu versuchen den Parteitagsvorbehalt §9(3) zu umgehen.
* C.1 das Ändern der Anträge wäre kein Mangel der GO sondern der Satzung, in der es extra für Fristen gibt um die Rechte der Mitglieder zu schützen. Es ist mE eher ein Mangel, dass nach Beschluss der TO und GO sämtliche GO-Anträge zur TO/GO-Änderung und Wiederholung der Abstimmung behandelt werden mussten. Das sollte lieber im Ermessen der VL liegen und die Versammlung getroffene Beschlüsse akzeptieren.
* C.1 Alternativen: der genannte SÄA002 zu Mitgliederentscheiden lässt zwar Abstimmungen per Urne,Brief oder online prinzipiell zu, die letztendliche Entscheidung, welche Formen genutzt werden, wird aber separat in einer Mitgliederentscheidsordnung getroffen. Damit wird diese kontroverse Frage in einen separaten Beschluss verlagert (sie Antrag X020). Dieser Antrag ist der auch einzige, der vor der Abstimmung eine Aussprache (in z.B. dezentralen Informationsveranstaltungen) fordert. mehr dazu https://feedback.piratenpartei-bayern.de/initiative/show/290.html
Hallo entropy,
eine Umgehung des Parteitagsvorbehalts nach § 9 Abs. 3 PartG sehe ich eher nicht, denn die dort genannten Beschlüsse sollten wohl von der Internet-Beschlussfassung ausgenommen sein. Positionspapiere fallen nicht unter § 9 Abs. 3 PartG.
Bei der Unmöglichkeit von Bugfixes handelt es sich in der Tat um ein Satzungsproblem, danke für den Hinweis. Ich habe das korrigiert.
Die Möglichkeit von TO-Änderungen sehe ich nicht als Problem an, die abzulehnen dauert nämlich nicht lange. In das Ermessen der Leitung würde ich es nicht stellen wollen.
SÄA002 wäre interessant, wenn die Möglichkeit einer Internet-Beschlussfassung gestrichen würde. Wenn der nochmal eingereicht werden soll, sollte zumindest eine Alternative ohne Internet zur Abstimmung gestellt werden.
Hallo Patrick,
mit der Umgehung des Parteitagsvorbehalts meine ich, dass der SMV-Antrag der erste Schritt wäre und später man wohl versuchen würde die Beschrönkung auf Positionspapiere aufzuheben (siehe LV MV)…
Wie gesagt, kann die Online-Abstimmung in SÄA002 durch die Mitgliederentscheidsordnung verboten werden. Es gilt aber zunächst für das grundlegende Konzept in der Satzung erst mal eine 2/3 Mehrheit zu finden. Welche Abstimmungsformen im Detail praktikabel sind, ist dann die nächste Frage. Wtr betreten hier Neuland.
Was wir brauchen ist nicht mehr Technik, sondern längere Treffen. Nur Piraten, die sich treffen können etwas beschließen.
Sorry, aber eine mir gehen diese “SMV” ist böse, “SMV” ist superduper, langsam auf den Sack. Statt sich produktiv zusammenzusetzen, einfach weiter Gräbenkämpfe ausfechten. Die SMV ist sicher an vielen Stellen nicht so schlecht, wie die du sie kritisiert hast.
Bsp.: Dezentrale Parteitage als eine Form der Lösung ist zwar toll, aber auf Probleme gehst du nirgends ein, insbesondere, wie mehrere Orte koordiniert werden könnten (GO-Anträge, Abstimmungen, Gewährleistung der Kommunikation miteinander etc.).
Schade.
Hallo NeoXtrim,
dezentrale Parteitage müssten sicherlich über eine Liveschaltung miteinander vernetzt sein. Ob das praktikabel und finanzierbar ist, ist eine andere Frage.
Im großen und ganzen eine sehr gute Zusammenfassung. Ich bin aus eben diesen Gründen auch kein Fan von SMVs.
Richtig ist aber, wir müssen ein paar Kleinigkeiten verändern. Der Antrag “Inklusion” ist wirklich etwas schräg gelaufen. So muss das ganze GO–Antrags-Getöse auf ein vernünftiges Maß eingeschränkt werden bzw. das übernehmen von Anträgen, die der Ersteller zurückgezogen hat, darf kein anderer mehr übernehmen können. Letztlich ist es das geistige Eigentum eines anderen und der entscheidet darüber, warum der Antrag (heute) eben doch nicht so gut ist wie gedacht.
Unmöglich finde ich jedoch das du darauf eingehst weil irgend welche (Pseudo-) “Prominente” Mitglieder wegen einer Wortkombination hätten austreten wollen. Wenn sie meinen dass dies richtig wäre, nun dann sollen sie doch. Ich nenne solches Verhalten schlicht und einfach Erpressung! Denn anders ausgedrückt: “Bekomme ich nicht meinen Willen dann füge ich Euch (der Gruppe) Schaden zu.”. Ganz ehrlich, das ist wenig Demokratisches Verhalten, das ist Kindisch und hat so nichts mit gesundem Menschenverstand zu tun und weine solchen Personen keine Träne nach.
Hallo,
die Austrittsdrohung prominenter Piraten kann in der Tat kein Ausschlag gebendes Argument sein. Mir geht es darum, zu zeigen, welche weit reichenden Wirkungen eine verfängliche Formulierung haben kann, die bei der Beschlussfassung “durchrutscht”. Dieses Risiko ist bei Internet-Beschlüssen (zumal mit deutlich weniger Teilnehmern) höher.
Ich muss hier widersprechen. Parteitagsanträge sind KEIN geistiges Eigentum; Denn dann bräuchte man eine Lizenz, um dem Standpunkt eines anderen zuzustimmen. Das wäre schön blöd, denn dann könnten wir als Partei keine Standpunkte mehr vertreten, die jemand anders für sich reklamiert. Das heißt: Die Grünen beanspruchen den Atomkraftausstieg für sich -> Wir dürfen diese Ansicht nicht mehr teilen. Jemand schreibt ein Positionspapier gegen die Bestandsdatenauskunft und gibt uns keine Lizenz -> Wir dürfen den selben Standpunkt nicht übernehmen, auch wenn wir zu 100% übereinstimmen.
Insgesamt würde damit das Recht auf Meinungsfreiheit ausgehebelt, denn der einzelne und die Parteien könnten nicht mehr die Standpunkte anderer übernehmen, ohne eine Lizenz zu erwerben. Kurz: Urheberrecht für Parteitagsanträge ist Unfug!
Außerdem gibt es hier noch ein anderes Problem: Jemand könnte den Parteitag sabotieren, indem er erst grandiose Anträge einbringt, die jeder unterstützt – um diese dann zurückzuziehen. Das ERgebnis wäre, dass andere Piraten zunächst auf sinngemäß vergleichbare Anträge verzichten würden (weil es ja schon einen gibt) und es am Ende garkeinen Beschluss gäbe (weil der Antrag zurückgezogen wurde). Derartige Sabotage wird durch die Übernahmemöglichkeit unterbunden.
Ich stimme vielem zu, aber dem hier
“Das unbefriedigende Hin und Her um den Inklusionsantrag hat einen Mangel der Geschäftsordnung aufgezeigt: Es muss möglich werden, eingereichte Anträge auch nach Ablauf der Einreichungsfrist noch zu ändern. Die Zeit auf dem Bundesparteitag ist zu wertvoll als dass gute Anträge wegen einzelner Mängel ganz abgelehnt werden müssten.”
nicht. Es muss überhaupt nicht möglich sein, eingereichte Anträge noch zu ändern.
Wenn ein Antrag Mängel hat, kann man ihn mit entsprechenden Mängeln und Auffirderung der Wiedervorlage ablehnen.
Formal muss jedem Piraten klar sein, worüber entschieden wird (steht z.B. im Sauter) und das wird spätestens durch die Veröffentlichungsfrist 2 Wochen vor dem Parteitag gewährleistet.
Diese Fristen sind somit ein Schutz für alle Piraten, die sich entscheiden nicht anzureisen, weil sie die Themen z.b. für ungefährlich genug halten, dass man damit keinen Blödsinn ins Programm schreiben kann. Ohne Antragsfrist könnte der BPT aber problemlos stets das Gegenteil beschließen.
Ich halte das für äußerst gefährlich (u.a. weil wir gar nicht die Möglichkeiten haben allen Piraten auf dem BPT die Änderungen nachvollziehbar mitzuteilen), der bessere Weg ist Anträge mit Mängeln einfach abzulehnen.
Hallo Sylvia,
Positionspapiere können ohnehin kurzfristig eingereicht und beschlossen werden, womit auch kein ferngebliebener Pirat rechnen kann. Einen prinzipiellen Unterschied zu Programmanträgen sehe ich nicht.
Wenn man trotzdem verhindern will, dass das Gegenteil des eingereichten Antrags beschlossen wird, könnte man das Änderungsrecht auf “kleinere Änderungen” oder “Streichungen” beschränken o.ä.
In vielen Landesverbänden sind Änderungen in der Versammlung zulässig. Das hat meines Wissens noch nicht zu Problemen geführt.
Und wenn du argumentierst, man könne schlecht formulierte Anträge ja später nochmal einreichen, kann man ebenso gut argumentieren, Anträge können ebenso gut geändert beschlossen und erforderlichenfalls später wieder aufgehoben werden.
Wenn du dir konkret den Inklusionsantrag ansiehst: Was bringt es uns, dass wir den nur als Positionspapier beschließen konnten und erst auf dem nächsten BPT als Programmpunkt? (Auf dem nächsten BPT wird eine solche Verschiebung hinsichtlich des Wahlprogramms nicht mehr möglich sein.)
@Patrick
Es gibt da das “Grundsatzurteil” vom Bundesschiedsgericht zum Thema Positionspapiere, das ungefähr aussagt, dass solange Positionspapiere keine Bedeutung haben und eine klare Trennung zwischen PP und Programm eingehalten wird alles ok ist.
Positionspapiere sind aktuell in der Satzung überhaupt nicht geregelt.
D.h. es gibt zumindest formell sehr wohl einen Unterschied zwischen PP und Programm. Darum können wir ja ganz problemlos das Positionspapier Schutzfristen auf 10 Jahre “ignorieren” und mit PA147 irgendwas mit 10 Jahre nach dem Tod o.ä. ins Wahlprogramm schreiben.
Darum hatten ja unter anderem die AntiAtomPiraten das Problem mit der Nuklearia – deren Position widerspricht nämlich gar nicht aktuell beschlossenem Programm. Und den Positionspapieren widersprechen sie auch nicht wörtlich, sondern höchstens mit Interpretation.
Zitat: “Und wenn du argumentierst, man könne schlecht formulierte Anträge ja später nochmal einreichen, kann man ebenso gut argumentieren, Anträge können ebenso gut geändert beschlossen und erforderlichenfalls später wieder aufgehoben werden.”
Oder man kann genausogut argumentieren den schlechten Antrag zu beschließen und auf dem nächsten BPT entsprechend auszubessern.
Wir haben aktuell ein Positionspapier beschlossen, dessen konkrete Fassung ungefähr 5-10 Menschen tatsächlich kannten. Ich möchte diesen Umstand nicht auch noch auf Programmanträge ausweiten.
Was uns das bringt? Lernen durch Schmerz.
Ich durfte ja als Mitglied der Antragskommission die ganzen Anträge bearbeiten und genau das ist der Nutzen. Das möglichst wenige mit schlecht oder unbedacht formulierten Anträgen durchkommen.
Die Qualität der Anträge ist jetzt schon eher meh (obwohl es genug Hilfestellungen gibt) und da ein “laissez-faire kann man auf dem BPT noch ändern” hinzuzufügen wird eher zu weniger als zu mehr qualitativ guten Anträgen führen.
Hallo Patrick, hallo Sylvia!
“Es muss möglich werden, eingereichte Anträge auch nach Ablauf der Einreichungsfrist noch zu ändern.”
Diese Möglichkeit besteht AFAIK bereits. Und zwar durch *fristgerecht* eingereichte Änderungs- und/oder Ersetzungsanträge zu den jeweiligen “Haupt”-Anträgen.
Natürlich spielt auch hier die “Masse” an eingereichten (“Haupt”-)Anträgen eine große Rolle. Wer kann schon den Überblick über mehrere hundert Anträge behalten?!
Nichts desto trotz bin ich der festen Überzeugung, dass die Piraten aus den “Fehlern” der Vergangenheit und denen anderer Parteien lernen.
Mit der Fußballer-Weisheit “nach dem Spiel ist vor dem Spiel” fordere ich uns alle dazu auf, JETZT die Arbeit an den bereits vorhandenen (abglehnten und/oder nicht behandelten) Anträgen aufzunehmen und Ersetzungs- bzw. Änderungsanträge zu formulieren und öffentlich zu machen.
Gruß Fidel
Saubere Arbeit, danke!
Ich verstehe den #SMV als einen Versuch der Demokratisierung im Netz und nicht als eine fertige Lösung. Lasst uns an der Idee arbeiten und sie nach und nach verbessern. Es ist nicht Frage, ob wir uns treffen sondern wo.
Ich sehe bei beidem Vorteile. Von mir aus die Delegationen weg lassen, dafür das ganze Jahr über einen Teil der Dinge beschließen können. Aber ich würde keine Reallifetreffen, welcher Art auch immer, dafür weg lassen. Ich sehe nicht, wa der Nachteil an einer ergänzenden Abstimmung im Netz ist. Und dass nicht immer so viele Leute teilnehmen: Ja normal, wir zwingen niemanden dazu. Also kann jeder selber entscheiden wo er mitmachen mag.
Hallo,
wie soll der Lösungsvorschlag des Satzungsänderungsantrag “Abstimmung nach Parteitagen” denn genau aussehen ?
Ganz konkret folgende Fragen:
– Wie hoch schätzt du die Kosten ein ?
– Wie viele Piraten und wie viel Zeit braucht es für die Durchführung ?
– Sollen alle 700 Anträge – egal wie schlecht vorbereitet oder formuliert abgestimmt werden ? Wenn nein, wer entscheidet darüber welche abgestimmt werden ?
– Über Anträge sollte auch diskutiert werden. Wie willst du diese Diskussion organisieren ?
Gruß
Semon
Hallo Semon,
das sind gute Fragen, die man diskutieren muss. Eine Diskussion könnte z.B. über die Antragsseite im Wiki erfolgen. Nachträglich abgestimmt werden sollen nach meinem Verständnis des Antrags nur Tagesordnungspunkte, bei denen der BPT das beschließt.
Ich weiß nicht, ob ich diesen Antrag unterstützen würde, aber die bessere Alternative gegenüber einer ständigen Internet-Beschlussfassung ist er allemal.
Ich habe lokale Programm-MV vorgeschlagen. Damit würde auch die Arbeit der Piraten vor Ort aufgewertet werden. http://www.sudelbuch.de/2012/lokale-programm-mvs-statt-smv
@HuWutze schrieb: “das übernehmen von Anträgen, die der Ersteller zurückgezogen hat, darf kein anderer mehr übernehmen können. Letztlich ist es das geistige Eigentum eines anderen und der entscheidet darüber, warum der Antrag (heute) eben doch nicht so gut ist wie gedacht.”
Ooooooooooh… Schmerz, lass’ nach m( …
Ich halte dezentrale Parteitage für die reale Möglichkeit mehr Teilhabe zu organisieren. Als Netz mit z.B.: landesbezogenen Komandobrücken als Sammelpunke. Die Größe einzelner Treffen sollte sich nach regionalem Bedarf richten und mit “Bordmittel” realisieren lassen.(Bezirks oder Gebietsgröße)
Diskussions- und Abstimmungsphasen sollten zu Gunsten der Effektivität getrennt werden.
Die Diskussion sollte bis zu den Wahltagen abgeschlossen sein, die abzustimmenden Anträge rechtzeitig eingefroren werden und die TO feststehen.
Dann folgen regelmäßige, lokale Wahlevents über 2-3 Tage, auf denen die Antragssteller und Kritiker, mit vorheriger zeitlichen Ankündigung auf einem Veranstaltungsblatt, noch einmal umfangreiche Anträge darstellen können. Per Live-Stream, den alle auf allen Wahlevents bundesweit mit verfolgen können.
GO-Anträge zeitlich begrenzen, wenn es rechtlich zulässig ist. Etwa auf die ersten beiden Stunden eines jeden Wahltages, TO ist ja hinreichend früh bekannt.
Abstimmungen in Tagesblöcken festglegter Anträge, am Besten per Urne, damit Fehler beim Auszählen von Handzeichen vermieden werden und keine Zeit verloren geht. Jeden Tag bis 18:00Uhr z.B.: Stimmenabgabe für den entsprechenden Antragsblock mit anschließender Verkündung der ersten Abstimmungsergebnisse als Spannungs- und Erlebniselement, als Höhepunkt eines jeden Tages.
Der technische und räumliche Aufwand ist denkbar gering und damir realisierbar.
Beamer, Mikrofon, Internet Wahlleiter und 2-3 Helfer pro Ort würden wahrscheinblich ausreichen.
Damit wären zumindest die schweren rechlichen Probleme und Unvereinbarkeiten die eine SMV beinhaltet und die Probleme zentraler Versammlungen erst einmal überwunden.
Mir leuchtet nicht ein, warum die Piraten sofort die Super-Bundes-Lösung suchen. Warum macht ihr euch nicht das bestehende föderale System zu Nutze und etabliert in den Landesverbänden für die Landespolitik das jeweils präferierte Modell, z. B.
Berlin = SMV,
NRW = lokale MV,
SH = ein drittes Modell?
Es bestünde die Möglichkeit, die Modelle im Laufe der Jahre zu optimieren und nach zwei, drei Jahren damit zu beginnen, eine Lösung für den Bund zu erarbeiten.
Das setzt natürlich die Fähigkeit voraus, sich später einzugestehen, dass ein bevorzugtes Modell in der Praxis nicht den Erwartungen entsprochen hat.
Wir haben bereits verschiedene Lösungen in den Landesverbänden…
Die SMV hat als erstes der LV M-V in Stralsund beschlossen. Andere sind nachgezogen
In Hessen haben wir schon länger die virtuellen Meinungsbilder, die allerdings nur Positionen bestimmen können und keine Programm-, Satzungsänderungen oder Personenwahlen durchführen können.
Die SMV wurde nur von Anfang an als Möglichkeit für den Bund gesehen. Ich finde allerdings, das sollte noch länger in M-V, etc. getestet werden, bevor wir das bundesweit auch nur andenken…
Ich persönlich bin aber nicht gegen eine bundesweite Lösung… Bundespolitik ist – ob man es glaubt oder nicht – auch sehr wichtig.
Allerdings bin ich eher ein Fan von dezentralen Parteitagen…
Der KV Trier hat den afaik bisher einzigen dezentralen Parteitag mit technischer Unterstützung von Piraten-Streaming durchgeführt.
Es gab nur 2 teilnehmende Realversammlungen, und die technische Hürde war sehr hoch, und trotz vieler technischer Schwierigkeiten ist es gelungen, bei diesem Parteitag zu Ergebnissen zu kommen.
Hierzu gehörte aber auch, dass jede Abstimmung ausgezählt werden musste, da ein rein optisches Vergleichen durch mehrere Versammlungen nicht mehr möglich ist.
Dezentrale Versammlungen müssen sehr deutlich technisch weiterentwickelt werden, und erst auf kleinerer Ebene mehrfach getestet werden. Nach aktuellem technischem Stand ist ein dezentraler Bundesparteitag zum Scheitern verurteilt.
Ich denke, dass man die ABstimmungen nciht zwangsläufig auszählen muss. Klar, man muss die Hürden für die Nicht-Auszählung höher hängen. Aber meiner Meinung nach würde es genügen, wenn man etwa einen Antrag, der 50%+1 erfordert, ohne Auszählung für beschlossen erklärt, sobald alle teilnehmenden Veranstaltungsorte die Quote eindeutig erreicht haben. Man könnte auch höhere Quoten festsetzen, etwa dass die Abstimmung erst ab 2/3 entbehrlich ist, wenn 50% erforderlich sind. Die Möglichkeit eines GO-Antrags auf Auszählung bliebe unbenommen.
Ich bin verwirrt. Ohne mich detailiert mit der Technik auseinander gesetzt zu haben, fand ich die Idee einer Partei die die neuen Möglichkeiten nutzt, sehr ansprechend. Nun beobachte ich eine schleichende Angleichung an bestehende Systeme.
Ist es denn nicht wirklich möglich die von Dir beschriebenen Nachteile bei LQFB, Klarnamen etc. zu beseitigen und der Versuchung, es wie die anderen zu machen, zu entgehen. Das macht mir etwas Angst.
Hallo,
falls ein anderer Eindruck aufgekommen sein sollte: Ich bin ausdrücklich gegen das von den anderen Parteien praktizierte Delegiertensystem.
Die von mir aufgeführten Nachteile sind mit einer zeitversetzten Internet-Beschlussfassung notwendig verbunden, deswegen eignen sich Computer nicht für Wahlen und Abstimmungen. Anders ist es bei unverbindlichen Meinungsbilder.
Ich finde die Bedenken gegen die SMV nachvollziehbar. Dennoch bin ich dafür, die Möglichkeit zu nutzen. Im LV Sachsen ist die Einführung der SMV ab 2013 beschlossen; schauen wir mal und lernen wir daraus.
Hallo!
Ich kann den Argumenten hier größtenteils nicht folgen. Ich habe sie unter http://blog.nlohmann.me/20130130/smv mal ausführlich betrachtet.
Beste Grüße,
Niels
Lieber Patrick,
1. Vielen Dank für die recht umfangreiche GeistesArbeit.
2. Mir wurde ne Menge klar – am wichtigsten vielleicht, daß es 2 Arten Piraten gibt:
a. die Daten-negativen Piraten (DatenSchutz/…) wie Du
b. die Internet-positiven Piraten (SMV-ler)
3. Insgesamt hast Du weder Internet noch Piraten kapiert, finde ich.. und übernimmst (wie praktisch jeder andere) absolut falsche GrundAussagen, wie zB daß es ein allgemeines RedeRecht auf PräsenzVersammlungen gäbe – zB AVB13 ist (bitte Y/T ansehen) bestes Beispiel: die absolut krasse Art, Redende wegen (“noch 7 sekunden”) am MITeinander reden zu hindern, ist unmenschlich. So entsteht kein Reden – und also auch kein RedeRecht.
4. Deine Kritik an SMV – und auch LQFB – ist meist richtig und vor allem deutlich untertrieben, da die Organisatoren (zB Tarzun-PogromPolemik gegen Sandale) unheimlich einflußreich ist.
5. Ne Lösung ist ein echtes web2.0, was auch dank völligem Mißverständnis von GG5 praktisch niemand hat:
a. es fordert mehr Verantwortung der Aussagenden oder Repräsentierenden;
b. es fordert auch die Verpflichtung zur Beteiligung auf gemeinsame und nicht gemein boshafte Weise (GG5,2 iVm GG18).
6. Dir habe ich 3 Erkenntnisse zu verdanken:
a. monatlich oder zumindest vierteljährlich müssen auf weiterem Wege (zB Brief) eigene Entscheidungen bestätigt werden – zur Kontrolle,..
b. REDERECHT hat man nur, wenn man innerhalb der GrundGesamtheit (zB Paßwort-geschütztem Wiki) ein PODCAST (oder auch Y/T) machen kann.
Andersrum: die Ansammlung anonymer Texte ist einfach unmenschlich und hat zu wenig WahrnehmungsWärme durch mangelnde StimmMelodie, damit Menschen nahe MITeinander sprechen.
Distanziertes Anklicken ist keine natürliche KommunikationsForm und kann es selbst mit GenMais nicht werden. 😉 😀
c. Die SuperDelegation darf nicht automatisch ablaufen, aber eine “AbstimmungsZustimmung” (man stimmt dem zu, wie der andere abstimmt) kann und mußu es geben.
7. ne Antwort vorläufig ist schon auf http://www.BundesBox.de – wird aber auch dank Deiner DenkHilfe hier verbessert.
PS: das Wort Freiheit amerikanisch buchstabiliert anzuhören macht echt Laune!
Ich bin unschlüssig bzgl. SMV, gebe aber zu Bedenken, dass Meinungsbilder grundsätzlich keine Mitbestimmung sein können. Erich Fromm hat das mal sehr schön ausgedrückt, dass zu einer echten Mitbestimmung die Wirkmächtigkeit der Entscheidung gehört. Wenn man eine Meinung abgibt, erwartet man keine Auswirkung. Es geschieht aus einer Laune heraus, ohne dass man sich ausreichend mit der Materie beschäftigt, ist quasi flüchtig. Erst wenn die “Meinung” der Gefahr ausgesetzt wird, tatsächlich umgesetzt zu werden, also wirkmächtig zu sein, wird man sich der Verantwortung klar, und sich hinreichend Gedanken machen. Insofern besteht bei der SMV das Henne und Ei Problem: Erst wenn die SMV wirkmächtig wäre, wird man sich an ihr hinreichend beteiligen. Solange sich nicht genug und repräsentativ an der SMV beteiligt wird, darf sie nicht wirkmächtig sein.
Hallo Patrick,
ich habe den Punkt 11 nicht verstanden: Warum erfordert es eine LiquidFeedback-basierte Internet-Beschlussfassung, das sichergestellt wird, dass nicht nachverfolgt werden kann, welches Mitglied wie abgestimmt hat? Warum ist das beim Bundesparteitag anders. Hier könnte ich dir gegenübersitzen und feststellen, wie du deine Stimmkarte hebst. Ist die Konsequenz dann nicht, dass immer nur geheim abgestimmt werden darf?
Auf Bundesparteitagen wird das Abstimmungsverhalten nicht systematisch und auf unbestimmte Zeit aufgezeichnet und veröffentlicht.