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Wissenschaftlicher Dienst: Justizminister ist für rechtmäßige Richterwahl verantwortlich

Anträge Freiheit, Demokratie und Transparenz Juristisches Landtag

Der Wissenschaftliche Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landtags bestätigt, was die Abgeordneten anderer Fraktionen nicht wahrhaben wollten: Der hauptsächlich mit Abgeordneten besetzte schleswig-holsteinische Richterwahlausschuss wirkt an der Richterwahl zwar mit. Der Justizminister ist an die Ausschusswahl aber nicht gebunden, sondern hat eine “selbständige Auswahlentscheidung” zu treffen. Der parlamentarisch verantwortliche Minister bleibt “gegenüber dem Parlament und den Bewerberinnen und Bewerbern nicht nur für das ordnungsgemäße Verfahren, sondern auch für eine rechtmäßige Auswahlentscheidung verantwortlich”, insbesondere “für die materielle Vereinbarkeit der Auswahlentscheidung mit Art. 33 Abs. 2 GG” (Pflicht zur Bestenauslese).
Justizministerin Spoorendonk CC BY 2.0 MontyPythonHintergrund des Gutachtens ist mein Antrag, die schleswig-holsteinische Justizministerin möge ihre Gründe für die Auswahl des neuen Vizepräsidenten am Oberverwaltungsgericht aus dem Bewerberfeld darstellen. Der Antrag wird in der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses heute nachmittag (ab 14 Uhr) erneut aufgerufen (Livestream). Mir stellt sich erstens die Frage, ob die Justizministerin überhaupt eine “selbständige Auswahlentscheidung” und Bestenauslese vorgenommen hat, ohne bloß das (nicht begründungspflichtige) Votum des Richterwahlausschusses zu übernehmen. Wenn ja, frage ich mich zweitens, warum die Justizministerin den ernannten Bewerber für am besten geeignet hält, insbesondere ob dies den vorliegenden dienstlichen Beurteilungen entspricht.
Diese Fragen parlamentarisch zu klären, ist erforderlich, um kontrollieren zu können, ob die Justizministerin dem Grundgesetz durch Auswahl der am besten geeigneten Person Rechnung trägt. Falls (hypothetisch) die Wahl des Richterwahlausschuss einmal – etwa wegen Vorabsprachen von Mitgliedern zur “Postenverteilung” – nicht auf den besten Bewerber fallen sollte, läge die politische Verantwortung für eine Bestätigung dieser Entscheidung alleine bei der Justizministerin. Der Wissenschaftliche Dienst weist die Auffassung anderer Fraktionen zurück, für Fragen der Richterwahl sei allein der Richterwahlausschuss zuständig. Dass Auswahlentscheidungen im Justizbereich trotz des an sich guten Auswahlverfahrens in Schleswig-Holstein im Einzelfall rechtswidrig sein können, zeigen Gerichtsentscheidungen zu solchen Fällen. Aus den verschiedensten Gründen kommt es meist aber nicht zu einer gerichtlichen Kontrolle.
Warum ich einen Bericht der Justizministerin gerade zu dieser Stellenbesetzung anfordere, darf ich weder der Öffentlichkeit noch dem Parlament sagen (auch nicht in geschlossener Sitzung). Als Mitglied des Richterwahlausschusses bin ich zum Stillschweigen über dessen Sitzungen verpflichtet – auch das ist Ergebnis der Prüfung des Wissenschaftlichen Dienstes. Wenn ich auch nicht aus dem Richterwahlausschuss berichten darf: Fragen darf ich stellen. Und das tue ich nicht ohne Grund. Übrigens zum ersten Mal seit meiner Mitgliedschaft im Richterwahlausschuss. Bisher gab es nie einen Grund dafür, Auswahlentscheidungen zu hinterfragen, diesmal schon.
Abseits der Fragen der Richterwahl: Dass es in Deutschland allgemein ein Problem der politisch motivierten Postenverteilung (Ämterpatronage) gibt, wird immer wieder beklagt. Transparency International schreibt:

Ämterpatronage im 21. Jahrhundert bedeutet die ungerechtfertigte Bevorzugung von Bewerbern bei der Besetzung von Ämtern und Führungspositionen wegen ihrer Parteizugehörigkeit, bestimmter Weltanschauungen oder persönlicher Verbindungen. … Die Problematik der Ämterpatronage liegt aus Sicht von Transparency International Deutschland in ihren strukturellen Wirkungen bei der Schaffung und Stabilisierung von Seilschaften und Geber-Nehmer-Netzwerken, in denen Entscheidungen intransparent getroffen werden und die erfahrungsgemäß besonders anfällig für Korruption sind. Daneben steht weiterhin die ungerechtfertigte Benachteiligung von qualifizierten Bewerbern zugunsten von weniger qualifizierten.

Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker schreibt:

Sie [die Parteien und ihre Fraktionen] sichern durch Ämterpatronage ihren Einfluß bis tief hinein in die gesamte Gesellschaft. Treue Dienste werden mit Positionen aller Art belohnt.

Wir Piraten setzen uns aktiv gegen Korruption und Ämterpatronage ein. Entsprechend unseres Wahlprogramms fordern wir in Schleswig-Holstein immer wieder eine öffentliche Ausschreibung von Spitzenämtern und eine öffentliche Anhörung der Bewerber. Die Piratenfraktion nimmt vor Stellenbesetzungen und Gremienentsendungen auch selbst eine öffentliche Ausschreibung vor, zuletzt vor der Ernennung eines Mitglieds im Kuratorium für politische Bildung. Auf Landesebene haben wir Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Wahl von Rechnungshofpräsident, Verfassungsrichtern und Datenschutzbeauftragtem eingereicht. Sie sehen eine öffentliche Ausschreibung und Anhörung vor, werden von den übrigen Fraktionen (CDU, SPD, Bündnis 90/Grüne, FDP, SSW) aber nicht unterstützt. Verhindern konnten wir immerhin, dass der Landesdatenschutzbeauftragte (Mitglied von Bündnis 90/Grüne) aufgrund einer Aufhebung der gesetzlichen Amtszeitbegrenzung ohne öffentliche Ausschreibung wieder ernannt wird. Geplant ist nun ein öffentlicher Aufruf zur Interessenbekundung – gut so! Wir Piraten wollen die Besten für Staatsämter, nicht die mit den besten politischen Verbindungen.
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Wortlaut

Kommentare

1 Kommentar
  • Anonym

    Meiner Meinung nach ist es ein merkwürdiges Verständnis der Gewaltenteilung, dass die Exekutive die Richter aussucht (die sie später kontrollieren sollen).

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