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Biometrische Massenüberwachung in Paris 2024: Französisches Parlament bringt automatisierte Verhaltensüberwachung auf den Weg

Allgemein

Gestern hat das französische Parlament (“Assemblée Nationale”) Artikel 7 des Gesetzes über die Olympischen Spiele mit 59 gegen 14 Stimmen angenommen.

Artikel 7 des Gesetzes erlaubt es Polizeibehörden, während Sport-, Freizeit- oder Kulturveranstaltungen Überwachungskameras mit fehleranfälliger künstlicher Intelligenz einzusetzen, um automatisch nach vermeintlich “anormalem” oder “verdächtigem” Verhalten zu suchen und dieses zu melden. Videoaufnahmen von Drohnen und Tausenden von Überwachungskameras werden in Echtzeit untersucht, angeblich nur, um verlassene Taschen zu finden und die Bewegungen von Menschenmengen zu überwachen – aber der Text überlässt die Definition solcher “Anomalien” einer späteren Regierungsverordnung, und die Regierung selbst drückte sich davor, andere Beispiele zu nennen, als die Abgeordneten dies verlangten. Das Parlament war zum Zeitpunkt der Abstimmung mit 73 von 577 Abgeordneten ungewöhnlich leer, da landesweite Proteste gegen die Rentenreform stattfanden.

Letzte Woche hatten 41 Abgeordnete verschiedener Fraktionen noch einen offenen Brief an das französische Parlament geschickt, in dem sie dazu aufriefen, die beispiellosen Pläne zur automatisierten Massenüberwachung des Verhaltens der Bürger in der Öffentlichkeit durch künstliche Intelligenz zu stoppen. Die Abgeordneten warnten vor den lähmenden Auswirkungen einer solchen Massenüberwachung des öffentlichen Raums, die es in Europa noch nie gegeben hat und die einen Präzedenzfall schafft. Zu den Unterzeichnern des offenen Briefes gehören mehrere Verhandlungsführer des geplanten EU-Gesetzes über künstliche Intelligenz, die sich für ein Verbot biometrischer Massenüberwachung einsetzen, darunter Mitberichterstatter Brando Benifei (Sozialdemokratische Fraktion).

Dr. Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei und Initiator des Briefes, kommentiert:

“Die Entscheidung des französischen Parlaments, eine automatisierte Verhaltensüberwachung im öffentlichen Raum zu genehmigen, um nach ‘anormalem Verhalten’ zu suchen, schafft eine neue Realität der Massenüberwachung, die in Europa beispiellos ist. Ich erwarte, dass die Gerichte diese verdachtslose Maschinenüberwachung des öffentlichen Raums kippen, weil sie unsere Grundrechte verletzt.

Derartige Verdächtigungsmaschinen melden unzählige Bürger zu Unrecht, sind diskriminierend, erziehen zu angepasstem Verhalten und taugen absolut nicht zum Verbrecherfang, wie Studien und Erfahrungen belegen. Schritt für Schritt wird, ähnlich wie in China, die gesellschaftliche Vielfalt abgebaut und unsere offene Gesellschaft durch eine angepasste Konsumgesellschaft ersetzt.

Während Europaabgeordnete in Brüssel derzeit hart für ein Verbot der biometrischen Massenüberwachung des öffentlichen Raums kämpfen, führt das französische Parlament diese erstmals in Europa ein. Bei einem verbindenden Ereignis wie den Olympischen Spielen wird nun eine diskriminierende und fehleranfällige Technologie eingesetzt, um Menschen aus aller Welt ständig zu überwachen und sie bei Auffälligkeiten aufzugreifen. Dies ist ein gefährlicher Präzedenzfall und ein tiefer Eingriff in die private Lebensführung eines jeden Menschen. Das französische Parlament war aufgerufen, unsere Werte der Freiheit und Vielfalt zu verteidigen und unsere offene Gesellschaft zu schützen, aber es hat versagt. Dystopie, wir kommen! Die KI-gestützte Überwachung hat in Frankreich und der EU zum ersten Mal Einzug gehalten, und wir können davon ausgehen, dass autoritäre Staaten gerne auf diesen Präzedenzfall verweisen werden.”

Es handelt sich um eine klassische Strategie bei großen Sportereignissen, analysiert von Jules Boykoff in dem Werk „Power Games: A Political History of the Olympics (2016)“. „Seit 2001 haben alle Olympischen Spiele als Vorwand für den Einsatz neuer Sicherheitstechnologien gedient“, so der Wissenschaftler. Im Jahr 2012 beispielsweise führten die Spiele in London zur allgemeinen Einführung der Videoüberwachung in den Straßen der britischen Hauptstadt. Auch während der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland wurde die Gesichtserkennung versuchsweise eingesetzt und wird auch heute noch zur Überwachung der gesamten Moskauer Bevölkerung verwendet.