Chatkontrolle: Politiker und Industrie schlagen Alarm wegen der beispiellosen Pläne der EU zur Messenger-Massenüberwachung
Morgen (Donnerstag) sollen die EU-Regierungen über einen Gesetzentwurf abstimmen (offiziell „Verordnung gegen sexuellen Missbrauch von Kindern“, aber bekannt als „Chatkontrolle“), der die automatisierte Durchsuchung und gegebenenfalls Ausleitung privater Chats vorsieht, darunter auch Ende-zu-Ende-verschlüsselte Chats, die verdächtige Fotos oder Videos enthalten sollen.[1] Lehnt ein Nutzer diese „Upload-Moderation“ seiner Chats ab, wird kann er keinerlei Bilder, Videos oder URLs mehr senden oder empfangen. 48 Abgeordnete aus Deutschland, Österreich, Luxemburg, der Tschechischen Republik und den Niederlanden haben einen Brief an ihre Regierungen veröffentlicht, in dem sie die Ablehnung der neuesten Version der Chatkontrolle fordern mit der Begründung, dass Massenüberwachung Grundrechte verletze und vor Gericht scheitern würde.[2] Signal und Threema haben angekündigt, dass sie ihre Dienste in der EU einstellen würden, wenn sie gezwungen würden, die vorgeschlagene automatisierte Überwachung (sogenanntes „Client-Side Scanning“) umzusetzen. Whatsapp-Chef Will Cathcart warnt: „Das Scannen von Nachrichten, wie es die EU vorschlägt, bricht die Verschlüsselung.“[3] Gestern Abend äußerte sich auch der NSA-Whistleblower Edward Snowden auf X und nannte den Vorschlag „eine erschreckende Massenüberwachungsmaßnahme“.[4]
Es ist noch nicht klar, ob die Befürworter genügend EU-Regierungen überzeugen können, um eine qualifizierte Mehrheit zu bilden, weshalb der Tagesordnungspunkt für morgen als „möglich“ gekennzeichnet ist.[1]
Vor diesem Hintergrund hat der Europaabgeordnete der Piratenpartei, Patrick Breyer, der die Position des Europaparlaments zu dem Vorschlag mitverhandelt hat[5], einen Aufruf an alle Bürger veröffentlicht, sich an die EU-Regierungen zu wenden. Breyer nennt die EU-Länder, deren Regierungen noch unentschlossen sein könnten.[6]
„Wenn die Chatkontrolle kommt, werden wir gängige sichere Messenger ganz einfach nicht mehr nutzen können – das bedeutet wir verlieren den Kontakt zu unseren Freunden und Kollegen in der ganzen Welt“, warnt Breyer. „Wollen wir wirklich, dass Europa weltweit führend beim Abhören unserer Smartphones und der flächendeckenden Überwachung der Chats von Millionen gesetzestreuer Bürger wird? Wir im Europäischen Parlament sind überzeugt, dass diese orwellsche Chatkontrolle das dringliche Anliegen eines besseren Kinder- und Opferschutzes verrät, weil sie unweigerlich vor Gericht scheitern wird. Wir fordern deshalb einen wirklich wirksamen Kinderschutz durch sicherere Apps, proaktive Säuberung des Internets und eine Pflicht zur Löschung illegaler Inhalte – nichts davon ist in dem dem belgischen Vorschlag vorgesehen, über den die Regierungen morgen abstimmen werden.“
[1] Tagesordnung für die morgige Sitzung: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11316-2024-INIT/de/pdf
[2] Offener Brief von Abgeordneten: https://www.patrick-breyer.de/abgeordnete-in-der-gesamten-eu-fordern-den-eu-rat-auf-den-vorschlag-zur-chatkontrolle-abzulehnen/
[3] Statement des Chefs von Whatsapp: https://twitter.com/wcathcart/status/1803178653389623742
[4] Statement von Edward Snowden: https://twitter.com/Snowden/status/1803127597158760735
[5] Zusammenfassung der Position des Europäischen Parlaments: https://www.patrick-breyer.de/beitraege/chatkontrolle/#epmandat
[6] Breyers Aufruf zum Handeln: https://www.patrick-breyer.de/rat-soll-chatkontrolle-durchwinken-werde-jetzt-aktiv/
Internationale Fassung: https://www.patrick-breyer.de/en/council-to-greenlight-chat-control-take-action-now/
Breyers Infoportal zur Chatkontrolle: chatkontrolle.de