Die Tracing-App-Illusion
Am kommenden Donnerstag debattiert das Europäische Parlament über die geplanten Kontaktverfolgungs-Apps, mit denen Infektionsketten zurückverfolgt werden sollen. In Deutschland halten CDU- und CSU-Politiker wie Axel Voss dies “wichtig für die Wirtschaft” (so Voss im Europamagazin gestern) und fordern einen Benutzungszwang, etwa für Reisende oder Restaurantbesucher.
Als digitaler Freiheitskämpfer sehe ich die geplanten Corona-Tracing-Systeme als Gesellschaftsexperiment zur digitalen Verhaltenserfassung an und warne:
- Der Nutzen freiwilliger Tracing-Apps zur Eindämmung von Infektionen ist bestenfalls gering, der Schaden aber beträchtlich. Auf 60% Nutzerdichte zu setzen, ist naiv, da selbst in Singapur mit der längsten Erfahrung nur 20% die App heruntergeladen haben; in Österreich sind es 5%. Eine menschliche Rückverfolgung der Kontakte Infizierter ist nachgewiesenermaßen weitaus wirksamer.
- Ein Tracing-Zwang ist nur eine Frage der Zeit, weil dadurch Personal eingespart und die Aufhebung wirtschaftlich unerwünschter Schutzbestimmungen gerechtfertigt werden kann. Die Tracing-Systeme können lange nach der Corona-Krise bestehen bleiben und zu ganz anderen Zwecken genutzt werden.
- Durch breit genutzte Corona-Tracing-Systeme sind massenhaft Falschmeldungen und damit unnötige Isolierungen zu erwarten. Die vielen Warnmeldungen könnten die Testkapazitäten überfordern und so unnötige Sorgen oder Panik auslösen. Umgekehrt werden die meisten Infektionen nicht zu einer Warnmeldung führen (Falsch-Negative).
- Die Apps knüpfen an Betriebssystemänderungen von Google und Apple an, denen erfahrungsgemäß mit persönlichen Daten nicht zu trauen ist. Auch der Code der Apps wird nicht offen gelegt. Hier könnten Daten missbraucht werden, wie es bei Benutzung von Smartphones schon allgemein der Fall ist.
- Die flächendeckende Nutzung der Apps könnte kommerzielles Bluetooth-Offlinetracking in Geschäften usw. möglich machen.
- Der technozentrische Lösungsansatz bindet Ressourcen, die stattdessen dringend zur Erhöhung von Testkapazitäten, Beschaffung von Schutzausrüstungen usw. benötigt würden.
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