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Diskussion über Gefahren für die Kommunikationsfreiheit im Netz

Allgemein

Am 26.06.2012 hat mich die Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin zu einem Gespräch über “Kommunikationsfreiheit im Netz” eingeladen. Mit Rechtsanwalt Prof. Niko Härting habe ich vor etwa 20-30 Zuhörern diskutiert, ob das Datenschutzrecht oder das Urheberrecht die Kommunikationsfreiheit im Netz gefährden.
Meine These war, dass der Mangel an Datenschutz sowie Maßnahmen zur Verhinderung von Urheberrechtsverstößem die Kommunikationsfreiheit im Netz gefährden. Rechtsanwalt Prof. Härting, dessen Kanzlei Internetunternehmen vertritt, meinte dagegen, das Datenschutzrecht gefährde die Kommunikationsfreiheit (gemeint: die freie Weitergabe von Daten) im Netz. Die Verwendung persönlicher Daten ohne Einwilligung des Betroffenen müsse grundsätzlich erlaubt werden, statt sie (wie bisher) grundsätzlich zu verbieten. Ich habe dem natürlich widersprochen.
Jörn Lübben, Mitarbeiter von Prof. Härting, hat einen Bericht der Diskussion verfasst (Änderungen durch mich sind gekennzeichnet):

HWR Rechtsgespräch
Für das diesjährige HWR-Rechtsgespräch konnten die beiden Referenten RA Prof. Niko Härting und Dr. Patrick Breyer, Fraktionsvorsitzender der Piratenpartei im Schleswig-Holsteinischen Landtag gewonnen werden.
Wer es in den 5. Stock der HWR geschafft hatte, bekam von den bekannten Referenten interessante Vorträge zum Thema „Kommunikation im Netz – Durch Datenschutz und Urheberrecht in Gefahr“ zu hören.
Den Anfang machte Prof. Niko Härting. Er hob zuerst beeindruckend die Bedeutung der Netzkommunikation am Beispiel von Syrien, China und Ägypten für unsere Welt hervor. Er stellte gleich zu Beginn des Beitrags die These auf, dass das starre Verbotsprinzip abgeschafft oder zumindest abgespeckt werden muss, da ansonsten der Datenschutz nicht zukunftsfähig sei. Dies gelte allerdings nur für den nicht öffentlichen Bereich. Das Verbotsprinzip sei abwägungsfeindlich und liefe in letzter Konsequenz auf eine staatliche Kontrolle hinaus. Ausdrücklich wurde auf den Anfang der Entwicklung des Internets durch Facebook hingewiesen, es sei nicht im Ansatz voraussehbar, wie sich das Internet in der Zukunft entwickeln wird. Ferner dürften die Maßstäbe einer Regulierung nicht an Zeiterscheinungen wie Facebook angelegt werden. Auch wurde die widersprüchliche[n] Regelungen zum Eingriff in Persönlichkeitsrechte gerügt, im § 4 I BDSG wird dieser grundsätzlich verboten und in dem § 823 I BGB grundsätzlich erlaubt, denn der Eingriff in Persönlichkeitsrechte indiziert die Rechtswidrigkeit nicht.
Anhand verschiedener Fälle in der Rechtsprechung stellte Prof. Härting die Kollision von Persönlichkeitsrechten und Kommunikationsfreiheit vor.
1. Fall: Eine bekannte Schauspielerin stellt der Presse ihren neuen Freund vor. Eine Zeitschrift veröffentlicht unter voller Namensnennung dessen Namen und enthüllt dessen Vergangenheit als Pornodarsteller. Der bis dato unbekannte Freund der Schauspielerin sieht sich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und klagt auf Unterlassung der Berichterstattung. (BGH vom 25.10.2011, Az. VI ZR 332/09)
BGH: Dem Kläger steht kein Anspruch auf Unterlassung der Behauptung zu, der Kläger habe in pornografischen Filmen mitgewirkt und hierbei kein Kondom verwendet. Die angegriffene Textpassage beeinträchtigt weder die Intims- noch die Privatsphäre. Tatsachenbehauptungen aus dem Bereich der Sozialsphäre müssen in der Regel hingenommen werden, wenn sie keinen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht.
2. Fall: Zwei der Öffentlichkeit bekannte Söhne des Schauspielers O. waren nachts in München unterwegs. Ihre Gruppe wurde dabei beobachtet, wie sie Fahrräder traktierte, Blumen aus einem Beet riss sowie den Telefonhörer einer Telefonzelle abriss. Mit markigen Worten berichtet eine Onlineausgabe einer sächsischen Zeitung über die Vorfälle. Die Brüder verklagen die Zeitung auf Unterlassung der Äußerungen über ihr nächtliches Verhalten. Nach dem erfolgreichen Instanzenzug erhob die Zeitung Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG und rügte darin die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG.(BVerfG vom 25.1.2012, Az. 1 BvR 2499/09, Az. 1 BvR 2503/09)
BVerfG: Die Urteile der Gerichte verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Tatsachenbehauptungen sind von diesem Schutzbereich erfasst, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen. Dies ist hier der Fall, der beanstandete Bericht betrifft das Verhalten zweier „Jungstars“ , die für nicht wenige jugendliche Anhänger ein Idol darstelle. Der Bericht verletzt nur die Sozialsphäre der jungen Männer, sodass an Art. 5 bei der Abwägung mit dem APR geringe Anforderungen zu stellen sind.
3. Fall: Nach bereits mehreren Zeitungsartikeln und Presseberichten (u.a. dem der Staatsanwaltschaft) veröffentlichte nun auch A einen Artikel auf seiner Internetseite, in dem er über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Sohn der Politikerin P wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz berichtet. Der Sohn der P fühlte sich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und klagte gegen A auf Unterlassung. (BVerfG vom 9.3.2010, Az. 1 BvR 1891/05)
BVerfG: Es ist dem Selbstbestimmungsrecht der Presse oder dem journalistischen Laien als Träger der Meinungsfreiheit selbst überlassen, den Gegenstand der Berichterstattung frei zu wählen, und nicht Sache des Gerichts zu bewerten, ob ein Sachverhalt berichtenswert ist, oder nicht. Das Medieninteresse ist ein Indiz für das Interesse der Öffentlichkeit.
Dr. Patrick Breyer, Pirat der 1. Stunde und ausgewiesener Überwachungsgegner, ging zunächst auf den Vortrag Prof. Härtings ein. Die Forderung nach der Abschaffung des Verbotsprinzips sei eine interessante „Provokation“, er würde jedoch nicht so weit gehen am Verbotsprinzip zu rütteln. Der Datenschutz sollte differenziert betrachtet werden und der Staat die Kontrollposition in Form eines „Schiedsrichters“ übernehmen. Zustimmend zu Prof. Härtings aufgeworfener Frage, stellte er noch heraus, dass zurzeit die Debatte läuft, dass sich der Ältestenrat weiter im nichtöffentlichen Bereich bewegen möchte und bei seinen Sitzungen nicht gefilmt werden möchte.
Nun ging Dr. Breyer auf die Gefahren für die Freiheit im Netz ein, beginnend mit dem Beispiel langer Speicherfristen. Durch die Vorratsdatenspeicherung würde jeder Klick auf Dauer protokolliert, wodurch jedwede anonyme Kommunikation im Netz unmöglich gemacht wird. So habe das FBI von Twitter alle Daten von Wikileaks-Aktivisten erhalten können und mit Hilfe deutscher Unternehmen sei die Überwachung des Internets in Ländern wie dem Iran weit fortgeschritten. Die Überwachung gehe sogar so weit, dass die Polizei Fahndungsseiten einrichtet und in der Folge darauf schaut, von welchen Anschlüssen am meisten Interesse für diese Seite aufkommt. In [Großbritannien] sei ein Wissenschaftler festgenommen worden auf Grund der [Betrachtung] eines Buches über Al-Kaida über das Netz.
Besondere Gefahren sieht Dr. Breyer für Selbsthilfeforen: Menschen, die sich öffentlich nicht trauten, ihre Probleme offenzulegen, benutzten durch die Speicherung der IP-Adressen diese Plattformen nicht mehr. Ähnlich liege dies bei der Meldung von Kinderpornografie, die aus Angst vor Offenlegung der Identität seltener genutzt werde. Die Aussage, gewisse [Daten] „könnten mal nützlich [werden]“, sieht Dr. Breyer als größte Gefahr für die Kommunikationsfreiheit und vergleicht es mit dem Fall, in jedes Schlafzimmer eine Kamera einzurichten, denn dort könnten schließlich auch irgendwann mal Straftaten verübt werden.
Dr. Breyer berichtet davon, dass es im letzten Jahr über 1 Mio. Providerauskünfte zum Zweck der Abmahnungen wegen Verletzungen des Urheberrechts gegeben habe. Problematisch seien vor allem die vielen Fälle der Fehlauskünfte und die Folge, dass die Befürchtung vor Abmahnungen die Menschen kein gemeinsames WLAN mehr benutzen [lassen] wird.
Im Bereich der Störerhaftung hat der BGH entschieden, dass einen unter Umständen die volle Verantwortung treffen kann, für alles, was in einem Netzwerk geschieht. Immerhin habe das LG München die Identizierungspflicht für alle Nutzer eines Netzwerkes abgelehnt.
Das französische Modell „Three strikes and you’re out“ lehnt Dr. Breyer strikt ab, hält es für unangemessen und vergleicht es mit einer Gefängnisstrafe.
Internetzugangsanbieter, auch private, sollen nicht verantwortlich sein für Urheberrechtsverletzungen.
Bei der Identifizierungspflicht für Filehoster sieht Dr. Breyer das gleiche Problem wie bei den Selbsthilfeforen: Sensible Veröffentlichungen könnten unterbleiben.
Als Lösung für die Probleme des Urheberrechts schlägt Dr. Breyer die Einführung einer Kulturflatrate vor: So könne auf jeden Internetzugang ein bestimmter Betrag aufgeschlagen werden, den dann eine Verwertungsgesellschaft an die Urheber ausschüttet.
Im Anschluss folgte noch eine angeregte Diskussion. Aus dem Auditorium wurden Sorgen laut, dass die von Prof. Härting geforderte Abschaffung des Verbotsprinzips zu weit ginge und Monopolisten wie Facebook und Google weitere Türen öffne. Prof. Härting reagierte darauf mit einem Hinweis auf seine Homepage www.schneider-haerting.de, auf der die Vorschläge besser nachvollzogen werden können als nach einer zu kurzen Veranstaltung zu dem Thema. Im Bereich des Urheberrechts kamen vor allem Zweifel auf, wie eine „Kulturflatrate“ funktionieren kann und wie die Verteilung gerecht gestaltet werden kann. Dr. Breyer schloss sich [der Forderung nach einer Reformierung der Verteilungsmechanismen der Verwertungsgesellschaften an.]
Vielen Dank an die Referenten, das interessierte Auditorium und den Gastgeber, die HWR vertreten von der Moderatorin Prof. Stefanie Lorenzen.

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