Kommentar zum Initiativantrag des SPD-Bundesvorstands zur Vorratsdatenspeicherung
Anmerkungen zum Initiativantrag des SPD-Bundesvorstands zur Vorratsdatenspeicherung, der heute auf dem Konvent zur Abstimmung steht:
Initiativantrag (Originaltext) | Kommentar |
Vom Parteitagsbeschluss bis zum Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten | |
Im Folgenden werden die verschiedenen Anforderungen aus dem Bundesparteitagsbeschluss und den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs dargestellt und der Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten erläutert. In der Gesamtschau ist es gelungen, mit dem Gesetzentwurf und der darin festgeschriebenen (daten-)differenzierten Herangehensweise, den äußerst kurzen Höchstspeicherpflichten, den vorgeschriebenen Restriktionen und Verpflichtungen für Ermittlungsbehörden und Justiz und den klaren Vorgaben für verpflichtende Maßnahmen zur Gewährleistung höchster Datensicherheit bei den Telekommunikationsunternehmen, das legitime Sicherheitsinteresse der Bürgerinnen und Bürger mit den gewichtigen Anforderungen eines modernen Datenschutzes in Einklang zu bringen. | Wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags bestätigt, ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Privatsphäre unvereinbar. Insbesondere trägt die anlasslose und die gesamte Bevölkerung erfassende Vorratsdatenspeicherung der Kritik des Europäischen Gerichtshofs keine Rechnung. Anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist das Ende des Datenschutzes, weil mit dem Argument der potenziellen Nützlichkeit alle Daten unbegrenzt gesammelt werden könnten. |
1. Der Parteitagsbeschluss 2011 | |
Der Parteitag hat sich am 6. Dezember 2011 für die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung unter engen rechtsstaatlichen Voraussetzungen ausgesprochen. Vorausgegangen war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der das Gericht das alte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt hatte. | Falsch. Der Parteitag hatte sich lediglich für eine Umsetzung der zwingenden EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen, die der Europäische Gerichtshof aber 2014 wegen Unvereinbarkeit mit der EU-Grundrechtecharta für nichtig erklärt hat. Zitat aus dem – nur mit knapper Mehrheit gefassten – Beschluss:
|
Nach Beschlusslage sind bei der Einführung einer Speicherpflicht für Provider der Datenschutz und die Grundrechte zu achten, d.h.: | |
|
Die schädliche Wirkung einer verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung besteht unabhängig von der Speicherdauer (zumal die meisten Datenabrufe in den ersten Tagen erfolgen). Entscheidend ist, dass jede Vorratsdatenspeicherung Berufsgeheimnisse aushöhlt, das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich bringt und Bürger von freier Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze abschreckt. Geregelt ist in dem Gesetzentwurf abschließend, welche Daten wie lange gespeichert werden dürfen. Hierzu zählen die Rufnummern, der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer des Anrufs, bei Mobilfunk auch die Standortdaten. Zudem wird die sogenannte IP-Adresse gespeichert, also quasi das Nummernschild, mit dem ein Internetnutzer zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Datenautobahn unterwegs ist. |
|
Der Richtervorbehalt gewährleistet in der Praxis keinen ausreichenden Schutz, wie unter anderem das Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht sowie die Universität Bielefeld festgestellt haben. Im Übrigen: Am häufigsten ist die Verwendung von Vorratsdaten zur Identifizierung von Internetnutzern („Bestandsdatenauskunft“). Diese soll nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ohne richterliche Anordnung zugelassen werden. |
|
Am häufigsten ist die Verwendung von Vorratsdaten zur Identifizierung von Internetnutzern („Bestandsdatenauskunft“). Diese soll nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung schon zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Bagatelldelikten wie Filesharing zugelassen werden. |
|
Bewegungsprofile sind nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht ausgeschlossen. Anhand der auf Vorrat gespeicherten Standortdaten jedes Bürgers könnten unsere Bewegungen wochenlang nachvollzogen werden. Wer zur falschen Zeit ab falschen Ort war, kann zu Unrecht in Verdacht kommen. |
|
Wegen zahlreicher Ausnahmen erfolgt in der Praxis fast nie eine Benachrichtigung Betroffener. |
|
Auch Kontakte von und zu Berufsgeheimnisträgern (z.B. von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Rechtsanwältinnen und -anwälten, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern, Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten) sowie deren Handy-Positionsdaten sollen nach dem Gesetzentwurf auf Vorrat gespeichert werden. Das Zugriffsverbot ist weitgehend wirkungslos, weil die Polizei bei der Abfrage von Verbindungs- oder Bewegungsdaten oftmals nicht weiß, ob der Betroffene oder seine Gesprächspartner Berufsgeheimnisträger ist. Nach einer Forsa-Umfrage würden die meisten Bürger im Fall einer Vorratsdatenspeicherung davon absehen, per Telefon, E-Mail oder Handy Kontakt etwa zu einem Psychotherapeuten aufzunehmen, wenn sie dessen Rat benötigten. Das Risiko von Verlust oder Missbrauch derart sensibler Daten besteht unabhängig davon, ob es zu einem staatlichen Zugriff auf die Daten kommt. |
|
Ungeachtet aller Vorkehrungen ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Missbrauch und Verkauf von Telekommunikationsdaten gekommen. Nur nicht gespeicherte Daten sind sichere Daten. |
|
|
Darüber hinaus hat sich der Parteitag dafür ausgesprochen, klare Rahmen zu setzen für Datensammlungen, die die Provider ohne gesetzliche Verpflichtungen speichern. | Der Gesetzentwurf der Bundesregierung begrenzt die freiwilligen Datensammlungen (nach § 100 TKG) nicht, sondern schreibt nur zusätzlich die Einrichtung einer zweiten Datenbank vor. Weil sie für die freiwilligen Datensammlungen zur “Störungserkennung” nicht gelten, laufen die Beschränkungen des Gesetzentwurfs zur Vorratsdatenspeicherung leer und verbessert dieser den Datenschutz nicht – im Gegenteil droht mit einer anlasslosen, massenhaften Vorratsdatenspeicherung das Ende des Datenschutzes. |
2. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs | |
Im März 2010 hat das Bundesverfassungsgericht das damalige deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt, die Vorratsdatenspeicherung als solche unter bestimmten Voraussetzungen aber weiter für zulässig erachtet. Erforderlich seien hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes, Richtervorbehalt und Schutz der Berufsgeheimnisträger. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten seien nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen. | Das Bundesverfassungsgericht hat nur über die Vereinbarkeit einer Vorratsdatenspeicherung mit dem Grundgesetz entschieden, nicht über ihre Vereinbarkeit mit der EU-Grundrechtecharta. |
Im April 2014 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die bis dahin geltende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen die EU-Grundrechtscharta für nichtig erklärt. Festgestellt wurden Verstöße gegen die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten. Auch der EuGH hat die Vorratsdatenspeicherung nicht generell für unzulässig erachtet, sondern rechtsstaatliche Vorgaben gefordert, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinreichend Rechnung tragen. So darf die elektronische Kommunikation nicht umfassend einer anlasslosen Speicherpflicht unterworfen werden. Wie dieses Ziel erreicht wird, bleibt dem Gesetzgeber überlassen. Auch der EuGH legt Wert auf den Schutz von Berufsgeheimnisträgern. Die Daten dürfen nur zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten gespeichert werden und müssen vor unberechtigter Nutzung geschützt werden. Speicherung und Abruf der Daten sind klar und präzise zu regeln. | Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil zur EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung kritisiert, die Maßnahme führe „zu einem Eingriff in die Grundrechte fast der gesamten europäischen Bevölkerung, … ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen.“ Die Vorratsdatenspeicherung gelte „auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte.“ Die Vorratsdatenspeicherung sei weder beschränkt „auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten“. Daraus schließen viele Rechtsexperten, dass der Europäische Gerichtshof eine Vorratsdatenspeicherung insgesamt für grundrechtswidrig erklärt hat. |
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung haben sich u.a. die SPD-Europaabgeordneten und Bundesjustizminister Heiko Maas einer Wiedereinführung eine Absage erteilt. Maas schrieb vor einigen Monaten wörtlich:
|
|
3. Der Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten | |
Mit dem Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten hat die Bundesregierung am 27. Mai 2015 einen Gesetzentwurf beschlossen, der deutlich restriktiver ist als das, was früher als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet wurde. Die strengen Maßstäbe des Parteitagsbeschlusses vom Dezember 2011 sind umgesetzt und zum Teil sogar übertroffen. Zudem sind die verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs eingehalten. | Der Gesetzentwurf sieht wie die für nichtig erklärten Regelungen wieder eine anlasslose und massenhafte Vorratsspeicherung der Kontakte und Bewegungen der gesamten Bevölkerung vor. Er setzt den (inzwischen obsoleten) SPD-Parteitagsbeschluss nicht um und widerspricht laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestags den Urteilen von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof. |
Der Gesetzentwurf sieht Folgendes vor: | |
|
Nach dem Gesetzentwurf sollen ohne jeden Verdacht einer Straftat sensible Informationen über die sozialen Beziehungen (einschließlich Geschäftsbeziehungen), die Bewegungen und die individuelle Lebenssituation (z.B. Kontakte mit Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Psychologen, Beratungsstellen usw.) von 80 Millionen Menschen in Deutschland gesammelt werden. Damit höhlt eine Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten das Berufsgeheimnis aus, bringt das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich und schreckt Bürger von vertraulicher Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze ab. |
|
Unsere Kontakte und Bewegungen lassen mindestens so viele Schlüsse über unser Privatleben zu wie Gesprächsinhalte, sie lassen vielfach auch auf Gesprächsinhalte schließen (z.B. Anrufe bei Psychotherapeuten). Die Vorratsspeicherung aller Internet-Verbindungsdaten ermöglicht es in Verbindung mit den bei Internetunternehmen gespeicherten Daten (Weblogs), zu rekonstruieren, wer wann was gelesen, geschrieben oder geklickt hat. Auch die anonyme Kommunikation per E-Mail wird für Normalnutzer weitgehend unmöglich, weil in E-Mails normalerweise die IP-Adresse des Absenders angegeben ist, die mit der Vorratsdatenspeicherung wochenlang zu identifizieren wäre. |
|
Die schädliche Wirkung einer verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung besteht unabhängig von der Speicherdauer (zumal die meisten Datenabrufe in den ersten Tagen erfolgen). Entscheidend ist, dass jede Vorratsdatenspeicherung Berufsgeheimnisse aushöhlt, das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich bringt und Bürger von freier Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze abschreckt. |
|
Der Richtervorbehalt gewährleistet in der Praxis keinen ausreichenden Schutz, wie unter anderem das Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht sowie die Universität Bielefeld festgestellt haben. Im Übrigen: Nach dem Gesetzentwurf können die Vorratsdaten über die “Bestandsdatenauskunft” (§ 113 TKG) von Strafverfolgern, Polizei und Nachrichtendiensten zur Identifizierung von Internetnutzern genutzt werden, ohne dass ein Richter zustimmen muss. |
|
Nach dem Gesetzentwurf können die Vorratsdaten über die “Bestandsdatenauskunft” (§ 113 TKG) von Strafverfolgern, Polizei und Nachrichtendiensten zur Identifizierung von Internetnutzern genutzt werden, selbst zur Verfolgung von Bagatellstraftaten oder Ordnungswidrigkeiten. Auch sonst kann das Ergebnis strafrechtlicher Ermittlungen zivilrechtlich weiterverwertet werden, z.B. von Medienkonzernen zur Abmahnung von Filesharern. |
|
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schließt die Erstellung von Bewegungsprofilen nicht aus, sondern würde es umgekehrt ermöglichen, unsere Bewegungen wochenlang nachzuverfolgen. |
|
Wegen zahlreicher Ausnahmen erfolgt in der Praxis fast nie eine Benachrichtigung Betroffener. |
|
Auch Kontakte von und zu Berufsgeheimnisträgern (z.B. von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Rechtsanwältinnen und -anwälten, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern, Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten) sowie deren Handy-Positionsdaten sollen nach dem Gesetzentwurf auf Vorrat gespeichert werden. Das Zugriffsverbot ist weitgehend wirkungslos, weil die Polizei bei der Abfrage von Verbindungs- oder Bewegungsdaten oftmals nicht weiß, ob der Betroffene oder seine Gesprächspartner Berufsgeheimnisträger ist. Nach einer Forsa-Umfrage würden die meisten Bürger im Fall einer Vorratsdatenspeicherung davon absehen, per Telefon, E-Mail oder Handy Kontakt etwa zu einem Psychotherapeuten aufzunehmen, wenn sie dessen Rat benötigten. Das Risiko von Verlust oder Missbrauch derart sensibler Daten besteht unabhängig davon, ob es zu einem staatlichen Zugriff auf die Daten kommt. |
|
Ungeachtet aller Vorkehrungen ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Missbrauch und Verkauf von Telekommunikationsdaten gekommen. Nur nicht gespeicherte Daten sind sichere Daten. |
|
Keine Strafe kann den Schaden wieder gutmachen, der durch Verlust oder Verkauf von Informationen über unsere sozialen Beziehungen, unsere Bewegungen und unsere Internetnutzung entstehen kann. |
Dieser Gesetzentwurf ist deutlich restriktiver als das, was früher als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet wurde, denn: | Der Gesetzentwurf sieht genau das vor, was als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet wird, nämlich eine anlasslose und massenhafte Protokollierung der Telefon-, Handy- und Internetverbindungen der gesamten Bevölkerung mitsamt des Aufenthaltsorts. |
|
Die schädliche Wirkung einer verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung besteht unabhängig von der Speicherdauer (zumal die meisten Datenabrufe in den ersten Tagen erfolgen). Entscheidend ist, dass jede Vorratsdatenspeicherung Berufsgeheimnisse aushöhlt, das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich bringt und Bürger von freier Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze abschreckt. |
|
E-Mails sind nicht ausgenommen: E-Mails enthalten normalerweise die IP-Adresse des Absenders. Mit Vorratsdatenspeicherung wird es dem Normalnutzer nicht mehr möglich sein, anonyme E-Mails zu versenden. Da viele Informationen nur im Schutz der Anonymität preisgegeben werden (z.B. Whistleblowing), drohen der Gesellschaft Nachteile. |
|
Am häufigsten ist die Verwendung von Vorratsdaten zur Identifizierung von Internetnutzern („Bestandsdatenauskunft“). Diese soll ohne richterliche Anordnung und selbst zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Bagatelldelikten wie Filesharing sowie für sonstige Zwecke von Polizeibehörden und der Nachrichtendienste zugelassen werden (§ 113 TKG). |
|
Nur für Strafverfolgungsbehörden soll der Abruf von Standortdaten beschränkt werden, der präventive Abruf betrieblich gespeicherter Standortdaten zur Gefahrenabwehr und der Abruf solcher Standortdaten durch Nachrichtendienste bleibt uneingeschränkt möglich. |
|
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schließt die Erstellung von Bewegungsprofilen nicht aus, sondern würde es umgekehrt ermöglichen, unsere Bewegungen wochenlang nachzuverfolgen. |
|
Auch Kontakte von und zu Berufsgeheimnisträgern (z.B. von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Rechtsanwältinnen und -anwälten, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern, Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten) sowie deren Handy-Positionsdaten sollen nach dem Gesetzentwurf auf Vorrat gespeichert werden. Das Zugriffsverbot ist weitgehend wirkungslos, weil die Polizei bei der Abfrage von Verbindungs- oder Bewegungsdaten oftmals nicht weiß, ob der Betroffene oder seine Gesprächspartner Berufsgeheimnisträger ist. Nach einer Forsa-Umfrage würden die meisten Bürger im Fall einer Vorratsdatenspeicherung davon absehen, per Telefon, E-Mail oder Handy Kontakt etwa zu einem Psychotherapeuten aufzunehmen, wenn sie dessen Rat benötigten. Das Risiko von Verlust oder Missbrauch derart sensibler Daten besteht unabhängig davon, ob es zu einem staatlichen Zugriff auf die Daten kommt.Die Argumente gegen eine Ausnahme von Vertrauensberufen verfangen nicht: Eine Liste aller Berufsgeheimnisträger wäre nicht nötig. Es würde genügen, Berufsgeheimnisträgern das Recht zu geben, ihre Telekommunikationskennungen freiwillig auf eine No-Retention-Liste setzen zu lassen. Bei Rufnummern von Beratungsstellen gibt es dieses Verfahren schon heute. Wenn sich der Staat nicht einmal zum Schutz einer Liste geschützter Telefonnummern in der Lage sieht, wie will er dann die Vertraulichkeit von Informationen über die Verbindungen und Bewegungen der gesamten Bevölkerung gewährleisten? |
Eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft gibt es nicht. Nur ein Gericht darf den Zugriff der Ermittlungsbehörden auf die Kundendaten bei den Unternehmen erlauben – ausdrücklich ohne die sonst vielfach übliche Eilkompetenz des Staatsanwalts, die letztendlich dem Richter nur noch nachträglich die Entscheidung überlässt, ob er eine bereits erfolgte Abfrage genehmigt oder andernfalls für rechtswidrig erklärt. | Der Richtervorbehalt gewährleistet in der Praxis keinen ausreichenden Schutz, wie unter anderem das Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht sowie die Universität Bielefeld festgestellt haben. Am häufigsten ist im Übrigen die Verwendung von Vorratsdaten zur Identifizierung von Internetnutzern („Bestandsdatenauskunft“). Diese soll ohne richterliche Anordnung und selbst zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Bagatelldelikten wie Filesharing sowie für sonstige Zwecke von Polizeibehörden und der Nachrichtendienste zugelassen werden (§ 113 TKG). |
Erstmals werden enorm hohe Datenschutzstandards bei den Providern gesetzlich verpflichtend vorgeschrieben. Bisher gibt es hier keine einheitlichen Schutzstandards. Das Gesetz wird zum ersten Mal bestimmen, welche Anonymisierungs-, Kryptorisierungs-Standards, etc. von den Telekommunikationsunternehmen verpflichtend eingehalten werden müssen – mit massiven Geldbußandrohungen, falls ein Unternehmen dem nicht nachkommt. | Falsch. Die Datenschutzanforderungen sollen nur für die neuen Vorratsdatenbanken gelten. Die bisher schon zu betrieblichen Zwecken gespeicherten Verbindungs- und Standortdaten bleiben so unsicher wie bisher. |
Der Gesetzentwurf sieht zugleich vor, den neuen Straftatbestand der „Datenhehlerei“ zu schaffen. Damit wird sichergestellt, dass Daten nicht nur vor Ausspähung geschützt sind, sondern auch der Handel mit ausgespähten Daten unter Strafe steht. | Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar dazu:
|
4. Bewertung | |
Der vorgelegte Gesetzentwurf greift die allermeisten Argumente der Kritiker einer Höchstspeicherpflicht auf. | Der Gesetzentwurf ignoriert den Kern der Kritik an einer anlasslosen und massenhaften Vorratsdatenspeicherung, nämlich dass das Ziel der Strafverfolgung außer Verhältnis steht zu der Methode einer unterschiedslosen Sammlung höchstsensibler Informationen über das Privatleben vollkommen unbescholtener Bürger, die in keinerlei Zusammenhang mit einer Straftat stehen. |
Er erfüllt die Vorgaben aus den Urteilen des BVerfG und des EuGH. | Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags bestätigt, ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Privatsphäre unvereinbar. |
Vor allem hat er aber noch einmal die Anforderungen in erheblichem Maße verschärft, die wir auf dem Parteitag 2011 an ein solches Ermittlungsinstrument geknüpft haben: | Der Parteitagsbeschluss aus dem Jahr 2011 betraf die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und ist obsolet. |
|
Die schädliche Wirkung einer verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung besteht unabhängig von der Speicherdauer (zumal die meisten Datenabrufe in den ersten Tagen erfolgen). Entscheidend ist, dass jede Vorratsdatenspeicherung Berufsgeheimnisse aushöhlt, das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich bringt und Bürger von freier Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze abschreckt. |
|
Falsch. Die Löschungsfrist soll nur für die zusätzliche Vorratsdatensammlung gelten. Die vom Bundesparteitag 2011 geforderte Eindämmung der betrieblichen Datensammlung zur “Störungserkennung” (§ 100 TKG) erfolgt durch den Gesetzentwurf nicht. |
|
Falsch, E-Mails sind nicht ausgenommen: E-Mails enthalten normalerweise die IP-Adresse des Absenders. Mit Vorratsdatenspeicherung wird es dem Normalnutzer nicht mehr möglich sein, anonyme E-Mails zu versenden. Da viele Informationen nur im Schutz der Anonymität preisgegeben werden (z.B. Whistleblowing), drohen der Gesellschaft Nachteile. |
|
Nur für Strafverfolgungsbehörden soll der Abruf von Standortdaten beschränkt werden, der präventive Abruf betrieblich gespeicherter Standortdaten zur Gefahrenabwehr und der Abruf solcher Standortdaten durch Nachrichtendienste bleibt uneingeschränkt möglich.Eine Vorratsdatenspeicherung wäre keine “Verbesserung zum Status Quo”, sondern ein Abschied vom Recht auf vertrauliche Kommunikation. |
5. Speicherung, Verknüpfung und Auswertung von Daten durch private Anbieter | |
Unabhängig von dem staatlichen Zugriff auf Verkehrsdaten, speichern private Anbieter in umfangreichster Weise Daten von Kunden und Nutzern. | Die ausufernde Datensammlung von Telekommunikationsanbietern zur “Störungserkennung” (§ 100 TKG) wurde unter Mitwirkung der SPD-Bundestagsfraktion immer wieder ausgeweitet, zuletzt durch das IT-Sicherheitsgesetz. Eine Verfassungsbeschwerde ist anhängig. Bei grundrechts- und europafreundlicher Auslegung ist die “freiwillige Vorratsdatenspeicherung” nach § 100 TKG schon heute rechtswidrig. |
Die technologische Entwicklung erlaubt heute erstmals eine umfassende Verknüpfung von Informationen aus verschiedenen Quellen sowie deren detaillierte Auswertung (Big Data). In der Verarbeitung, Aggregierung und Verknüpfung unterschiedlichster Datenarten und Datenmengen in Echtzeit liegt großes gesellschaftliches und wirtschaftliches Potenzial. So können z.B. mittelständige Unternehmen durch individualisierte Kundenlösungen Wettbewerbsvorteile erlangen. In diesen Entwicklungen liegt aber auch ein erhebliches Risiko für die informationelle Selbstbestimmung. | |
Der SPD-Parteikonvent fordert, dass für die Speicherung, Weitergabe und Verkauf sowie für einen Zugriff durch Dritte auf die von privaten Anbietern gespeicherten Daten ein klarer gesetzlicher Rahmen gesetzt wird. Da unterschiedliche Datenarten verschiedene Gefährdungspotentiale aufweisen, ist dabei nach Datenarten zu differenzieren. | Der gesetzliche Rahmen verbietet Telekommunikationsanbietern bei grundrechts- und europarechtskonformer Auslegung bereits heute eine anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten zur “Störungserkennung” – richtigerweise ohne nach Datenarten zu unterscheiden. Mit Verbindungsende ist zu löschen. |
Unternehmen, die eine marktbeherrschende Position innehaben, können sich dem Wunsch der Nutzer nach mehr Datenschutz durch ihre Monopolstellung entziehen. Je mehr Mitglieder sich in sozialen Netzwerken vernetzen, desto attraktiver wird die Plattform für neue Mitglieder. Denn die meisten Nutzer werden dorthin gehen, wo die größte Anzahl von Freunden angemeldet ist. Auch Suchmaschinen werden immer besser, je mehr Nutzer ihre Suchanfragen stellen. Insofern ist ein Abmelden der Nutzer von diesen Anbietern nur mit hohen Kosten, wie eine schlechtere Vernetzung mit Gleichgesinnten, ein Vorbehalten von Informationen oder ungenaueren Suchergebnissen verbunden. Im Alltag nehmen Menschen aufgrund der gefühlten Alternativlosigkeit zur angebotenen Dienstleistung mit den gegebenen Geschäftsbedingungen daher häufig Einschränkungen ihres Datenschutzes notgedrungen in Kauf. Deswegen unterstützen wir die Bemühungen zum Abschluss einer Datenschutzgrundverordnung in der EU. Mit einer Datenschutzgrundverordnung würden erstmals klare und einheitliche Regelungen in der EU gelten. Dadurch kann auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeit des Staates, Datenschutz gegenüber privaten Anbietern durchzusetzen, verbessert werden. | Mit der EU-Datenschutzverordnung droht der Datenschutz in verschiedener Hinsicht weiter aufgeweicht und verwässert zu werden. Um das im Einzelnen auseinanderzusetzen, fehlt hier der Raum. |
Staat, Wirtschaft und Wissenschaft sind zur Beachtung des Datenschutzes und der Datensicherheit nicht allein rechtlich passiv verpflichtet. Vielmehr fordern wir, dass diese Vorgaben bei der Planung von betrieblichen und organisatorischen Prozessen und Geschäftsmodellen aktiv beachtet, proaktiv implementiert und auf Organisationsebene weiter entwickelt werden. Datenschutz und Datensicherheit müssen von vornherein in die Prozesse und Abläufe integriert sein (privacy by design und privacy by default). | Wohlklingende Forderungen legitimieren die geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation nicht. |
Anhang
Aufruf an die Mitglieder und Bundestagsabgeordneten der SPD
Generalverdacht ohne Nutzen
Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet nichts anderes, als einen weiteren Schritt in die vollständige digitale Überwachung. Sie verkehrt die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil. Alle Bürgerinnen und Bürger stehen unter Verdacht, weil ihre Verbindungs- und Standortdaten umfassend gespeichert werden, ohne dass sie hierfür einen Anlass gegeben haben. In den letzten Jahren ist die Bedeutung digitaler Kommunikation immer weiter gewachsen und wird es auch weiter tun. Mit der Speicherung der hierdurch vermehrt erzeugten Daten würden immer größere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens flächendeckend überwacht.
Dabei gibt es für die Vorratsdatenspeicherung keine überzeugenden Gründe. Weder können durch sie Straftaten vermieden, noch in nennenswertem Umfang mehr Straftaten aufgeklärt werden. Gegenteilige Äußerungen von Befürwortern sind Behauptungen ins Blaue hinein und empirisch nicht belegt. Die bloße Wiederholung der Behauptung, die Vorratsdatenspeicherung sei notwendig, rechtfertigt aber die mit ihr verbundenen tiefgreifenden Grundrechtseinschränkungen nicht. Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig.
Gefahr massiver Grundrechtsverletzungen
Real sind demgegenüber die Gefahren, die von dem geplanten Gesetz ausgehen. Einen wirksamen Schutz vor einer missbräuchlichen Verwendung kann es nicht geben. Die Speicherung von Daten in einem derartigen Umfang birgt immer das Risiko, dass sie entgegen der gesetzlichen Bestimmungen verwendet werden. Entgegen aller Beteuerungen von Minister Maas im Vorfeld wird es nur einen löchrigen Richtervorbehalt geben. “Bestandsdaten” sollen von den Ermittlungsbehörden abgerufen werden können, ohne dass es eines gerichtlichen Beschlusses bedarf. Darüber hinaus könnten die zu speichernden Standortdaten genutzt werden, um detaillierte Bewegungsprofile zu erstellen. Berufsträger wie Ärzte oder Anwälte sind von der Speicherung nicht ausgenommen.
Politisch ist die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ein Dammbruch. Die Begehrlichkeiten, weitere Daten zu speichern oder sie in umfassenderem Maße zu nutzen, werden nicht kleiner werden. Forderungen aus der Union, etwa eine Ausweitung des Straftatenkatalogs oder ein Datenzugriff für die Geheimdienste, werden nicht verstummen, bis sie in Gesetzesform umgesetzt werden.
Ein “Anti-Whistleblower-Gesetz”
Im Windschatten der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung soll das Strafrecht verschärft werden. Mit einem neuen § 202d StGB soll “Datenhehlerei” bestraft werden. Eine Strafbarkeit soll dann ausgeschlossen sein, wenn das sich Verschaffen nicht zugänglicher Daten “ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten” dient. Damit sollen Journalisten straffrei sein, durch den explizit beruflichen Bezug sind jedoch Whistleblower und investigative Freizeit-Blogger gefährdet. Es handelt sich damit um ein “Anti-Whistleblower-Gesetz”.
Überwachungsstaat im Schnellverfahren
Die “Leitlinien” zur Vorratsdatenspeicherung wurden Mitte April von Bundesjustizminister Maas vorgestellt, bereits Anfang Juli soll der Gesetzesentwurf im Bundestag verabschiedet werden. Für diese Hektik gibt es keinen Grund – außer dem gesellschaftlichen Gegenwind zuvor kommen zu wollen, um nicht für die eigene Position werben zu müssen. Dabei brauchen wir dringend eine Diskussion darüber, wie viele Sicherheitsgesetze eine freiheitliche Demokratie vertragen kann. Grund- und Freiheitsrechte dürfen nicht zugunsten einer gefühlten Sicherheit aufgegeben werden.
Wir rufen Sie daher dazu auf:
Bereiten Sie diesem Überwachungswahnsinn ein Ende! Stimmen Sie auf dem Parteikonvent am 20.06.2015 und im Deutschen Bundestag gegen die Vorratsdatenspeicherung!
Weiterlesen:
Kommentare