Landesregierung will Piratenvorstoß für Neuregelung der Zwangsbehandlung psychisch kranker Menschen aufgreifen [aktualisiert]
Vor Monaten haben wir einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Rechte psychisch kranker Menschen vorgelegt (Pressemitteilung). Die Landesregierung hat nun einen Referentenentwurf erarbeitet, der einige unserer Anregungen aufgreift: Wer eine Patientenverfügung verfasst hat, soll künftig eine Zwangsbehandlung in der Psychiatrie (z.B. mit nebenwirkungsreichen Psychopharmaka) ablehnen können. Ist eine freie Entscheidung durch den Kranken nicht möglich, soll künftig ein Richter über die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung entscheiden, nicht mehr die Ärzte allein. Andere Forderungen hat inzwischen der Bundesgesetzgeber aufgegriffen, namentlich die zwingende Bestellung eines Verfahrenspflegers (§ 312 FamFG).
Viele Punkte an dem Referentenentwurf sehe ich allerdings kritisch:
- Die geplante Videoüberwachung psychisch kranker Menschen in Kliniken für Straftäter ist abzulehnen; sie ist auch bisher nie erforderlich gewesen.
- Die Landesregierung will auch künftig “gefährliche oder gefährdete” geistig behinderte Menschen geschlossen unterbringen können. Darin sehe ich eine unzulässige Diskriminierung und einen Verstoß gegen die Behindertenrechtskonvention.
- Nicht aufgegriffen wird unsere Forderung, die Unterbringung psychisch kranker und suchtabhängiger Menschen auf schwere Fälle zu beschränken (siehe demgegenüber etwa das Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums).
- Wir fordern eine richterliche Prüfung immer dann, wenn eine Person am Verlassen einer psychiatrischen Abteilung gehindert werden soll. Der Referentenentwurf der Landesregierung übernimmt das nicht.
- Die Regierung will weiterhin zulassen, dass psychisch kranke Menschen zum Schutz vor sich selbst weggeschlossen werden, selbst wenn sie in vollem Bewusstsein ihre Gefährdung in Kauf nehmen und in Freiheit leben möchten. Das ist verfassungswidrig.
- Die Landesregierung will die ärztliche Untersuchung von Menschen auch gegen ihren freien Willen ermöglichen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann aber jede psychisch kranke Person in freier Entscheidung bestimmen, dass sie fortdauernden Freiheitsentzug einer ärztlichen Untersuchung und Behandlung (z.B. mit Psychopharmaka, welche folgenreiche Nebenwirkungen haben können) vorzieht.
- Laut Referentenentwurf sollen Behandlungsmaßnahmen keiner richterlichen Anordnung bedürfen, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen dazu zu äußern (dagegen das Bundesverfassungsgericht: “Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten, die ihrer Art nach das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit berührt, greift in dieses Grundrecht allenfalls dann nicht ein, wenn sie von der frei, auf der Grundlage der gebotenen ärztlichen Aufklärung, erteilten Einwilligung des Untergebrachten gedeckt ist.”). Dasselbe soll für Zwangsbehandlungen mit einem anderen Ziel als der Wiederherstellung der Entlassungsfähigkeit gelten (Das Bundesverfassungsgericht fordert dagegen eine “[abschließende] Bestimmung des Zwecks oder der Zwecke, die den Eingriff [die medizinische Zwangsbehandlung] rechtfertigen sollen”. Und: “Bereits der Umstand, dass eine Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen nur für operative Eingriffe und für Maßnahmen, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Untergebrachten verbunden sind, verlangt wird…, spricht dafür, dass Eingriffe unterhalb der genannten Schwelle unabhängig von der Frage einer krankheitsbedingten Selbstbestimmungsunfähigkeit zugelassen sein sollen.”). Aus meiner Sicht bietet das keinen ausreichenden Schutz vor Zwangsbehandlungen. In Hamburg und Baden-Württemberg ist eine andere Regelung beabsichtigt.
- Anders als nach unserem Entwurf soll der Richter über die Zwangsbehandlung nicht unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Betroffenen entscheiden. Auch soll dem Richter kein ärztlicher Behandlungsplan vorgelegt werden.
- Zwangsbehandlungen, die mit mehr als einem vernachlässigbaren Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden verbunden sind, will die Landesregierung nicht ausdrücklich ausschließen.
- Die Landesregierung will Maßnahmen der Zwangsbehandlung nur unzureichend dokumentieren lassen. Das Bundesverfassungsgericht fordert eine Dokumentation der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung.
- Anders als nach unserem Entwurf soll keine Information Untergebrachter über eine bestellte Anliegenvertretung und deren Kontaktdaten sowie über ihre Kommunikationsmöglichkeiten in der Einrichtung erfolgen. Diese Möglichkeiten würden das Gefühl Betroffener mindern, der Gewalt der Einrichtung „ausgeliefert“ zu sein.
Ich werde mich für massive Nachbesserungen an den Regierungsplänen einsetzen.
Ergänzung vom 08.11.2013:
Ich habe den Artikel überarbeitet.
Kommentare