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Leak zur Chatkontrolle: EU-Kommission rechnet mit millionenfachen Falschmeldungen

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Ein von der Plattform Netzpolitik veröffentlichter Leak zur Chatkontrolle zeigt, dass die EU-Kommission bei ihrem Gesetzesvorschlag zur maschinellen Suche nach „Anbahnungsversuchen gegenüber Minderjährigen“ in Privatnachrichten damit rechnet, dass jede zehnte maschinelle Meldung eines Chatverlaufs tatsächlich völlig legale Kommunikation offenlegen würde. Die Anbieter seien zu einer Überprüfung der maschinellen Meldungen nicht verpflichtet.

„Da man mit mehr als den bisherigen 29 Mio. Maschinenanzeigen pro Jahr rechnet, würden jährlich fast 3 Mio. teils intime Chats zu Unrecht offenbart“, warnt der Europaabgeordnete der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer. „Tatsächlich ist die nicht überprüfbare Herstellerangabe zur Fehlerquote des Geheimalgorithmus viel zu niedrig gegriffen. In anderen Sprachen als englisch dürfte sie von vornherein nicht funktionieren. Laut Schweizer Bundespolizei sind bis zu 86% der Maschinenanzeigen strafrechtlich irrelevant.

Die EU-Kommission bestätigt mit ihrer Angabe, dass sie mit einer totalen Chatkontrolle unzählige Falschverdächtigungen unbescholtener EU-Bürger:innen in Kauf nimmt. Außerdem würden damit völlig legale Nacktaufnahmen Volljähriger und Minderjähriger die mit dieser Technologie automatisch zu Polizei und NGOs weitergeleitet werden, erst in Umlauf gebracht werden. Dies führt das ganze Vorhaben dieser Überwachungsfanatiker ad absurdum.“

Auf die Frage, wie Dienste eine verpflichtende Chatkontrolle verhindern könnten, nennt die EU-Kommission Altersbegrenzungen und die Verhinderung direkter Kontaktaufnahme durch fremde Nutzer. „Die EU-Bürokraten fordern ernsthaft, 17-jährige Jugendliche entweder total von Nachrichten 18-Jähriger abzuschneiden oder ihnen jede Privatsphäre zu nehmen. Das ist so bevormundend, wie wenn man unter 18-Jährigen nur noch begleiteten Ausgang erlauben würde,“ so Breyer.

Die EU-Kommission behauptet auch, die Dienstanbieter begrüßten ihre Pläne zur Chatkontrolle, obwohl sie in Wahrheit massiven Widerstand etwa gegen die Zerstörung sicherer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung angemeldet haben. „Die Anbieter müssen jetzt öffentlich die Hosen runter lassen: Sind sie Gehilfen der Massenüberwachungspläne oder helfen sie uns, sie zu stoppen?“ erklärt Breyer.

„Dass hier in Geheimverhandlungen die Abschaffung des digitalen Briefgeheimnisses betrieben wird, ist empörend. Und dass der deutsche Vertreter nur in einer Nebensächlichkeit noch ‚offene Fragen‘ sieht und anspricht, bestürzt mich. Wir müssen die Verteidigung des digitalen Briefgeheimnisses dringend in die eigene Hand nehmen!“ so Breyers abschließender Appell.

Hintergrund:

Mit dem Gesetzesvorschlag zur Chatkontrolle will die EU-Kommission Internetanbieter dazu verpflichten, alle Nachrichten, E-Mails, Fotos etc. von EU-Bürger:innen verdachtslos auf mögliche kinderpornografische Inhalte zu untersuchen und diese automatisch an die Polizei weiterzuleiten. Die deutsche Bundesregierung um SPD-Innenministerin Nancy Faeser hatte dieses Vorhaben zuletzt öffentlich kritisiert und einen langen Fragenkatalog an die EU-Kommission geschickt. Die geheimen Antworten auf diese Fragen wurden nun von Netzpolitik.org veröffentlicht.