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Lebhafte Verhandlung über Transparenz von EU-Gerichtsverfahren [ergänzt am 18.01.2015]

Freiheit, Demokratie und Transparenz Juristisches

Das EU-Gericht erster Instanz in Luxemburg hat heute über meine Klage gegen die EU-Kommission auf Herausgabe gerichtlicher Schriftsätze verhandelt (Az. T-188/12). Wie berichtet weigert sich die EU-Kommission, einen Schriftsatz herauszugeben, mit dem sich Österreich gegen eine Vertragsverletzungsklage der Kommission wegen Nichtumsetzung der grundrechtswidrigen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verteidigte.
Von den Richtern mussten sich die Vertreter der EU-Kommission heute kritische Fragen stellen lassen: Der EuGH habe im Fall API (Az. C-528/07 P u.a.) bereits entschieden, dass Schriftsätze der EU-Kommission an den Gerichtshof nach Abschluss eines Verfahrens in der Regel herauszugeben seien. Warum sollte der Schutz der Rechtsprechungstätigkeit für Schriftsätze anderer Parteien weiter reichen als für Schriftsätze der EU-Kommission? Läge darin nicht quasi eine Wiedereinführung der “Autorenregelung”, die bewusst aus der aktuellen Informationszugangsverordnung 1049/2001/EG gestrichen worden sei?
Aber auch bei der Klägerseite wurden von der Richterbank nachgefragt: Sei die API-Entscheidung nicht überholt durch Art. 15 Abs. 3 AEUV, der den EuGH inzwischen ausdrücklich vom Informationszugangsanspruch ausnehme? Welcher Sinn liege in den restriktiven Regelungen des EU-Gerichts über den Zugang zu Gerichtsakten, wenn man über die EU-Kommission einen weiter reichenden Zugang bekommen könne?
Die Vertreter der schwedischen Regierung haben meine Klage engagiert unterstützt. Sie haben auf den Grundsatz der Transparenz verwiesen und hervorgehoben, dass die Transparenzverordnung vor der Herausgabe von Schriftstücken allgemein eine Abwägung vorsehe, was auch Schriftsätze in Gerichtsverfahren angemessen schütze. Dass der Gerichtshof vom Informationszugang generell ausgenommen sei, beruhe möglicherweise darauf, dass seine Tätigkeit nicht durch Anträge auf Informationszugang belastet werden solle. Art. 15 Abs. 3 AEUV lasse die Transparenzverordnung 1049/2001/EG unberührt.
Der Anwalt der EU-Kommission warf mir vor, ich “verabsolutiere” das Recht auf Informationszugang. Außerdem beantragte er, mir die Kosten meiner Klage selbst dann aufzuerlegen, wenn ich Recht bekomme. Ich hätte nämlich die in diesem Rechtsstreit gewechselten Schriftstücke unautorisiert veröffentlicht und dabei das Verhalten der EU-Kommission auch noch als Versuch der Etablierung von Geheimverfahren negativ kommentiert (siehe “EU-Kommission will Internetveröffentlichung von Schriftsätzen zur Vorratsdatenspeicherung unterbinden“).
Mein Rechtsanwalt Meinhard Starostik erwiderte, ein Veröffentlichungsverbot für Schriftsätze sei in vielen Mitgliedsstaaten und auch vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof unbekannt. Ich hätte die Schriftsätze der EU-Kommission vor der Veröffentlichung sorgfältig anonymisiert. Es gehe bei der Veröffentlichung des Schriftwechsels nicht darum, Einfluss auf Gerichtshof oder EU-Kommission zu nehmen, sondern der Öffentlichkeit über das Verfahren zu berichten. Meine Kommentierung des Verhaltens der EU-Kommission sei von meinem Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt.
Nach zwei Stunden war die lebhafte Verhandlung abgeschlossen, das Gericht wird die Sache beraten und seine Entscheidung zu einem noch nicht festgelegten Zeitpunkt verkünden.
Ich hoffe, meine Klage wird für eine zumindest nachträgliche Transparenz des Schriftwechsels in EU-Gerichtsverfahren sorgen. Wir brauchen diese Transparenz insbesondere da, wo die EU-Gerichte über Massenüberwachungsmaßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung entscheiden. Die Gültigkeit solcher Eingriffe in unsere Grundrechte geht uns alle an. Die Argumentation und Anträge der Regierungen in solchen Verfahren müssen der öffentlichen Kontrolle unterworfen werden. In einer Demokratie ist die Staatsgewalt der Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig, auch für ihr Verhalten vor Gericht. In diesem Zusammenhang halte ich auch die Schaffung eines direkten Einsichtsrechts in Akten der EU-Gerichte für erforderlich. Denn Gerechtigkeit braucht Öffentlichkeit.
Ergänzung vom 18.01.2015: Das Gericht will seine Entscheidung am 27. Februar um 9.30 Uhr in Luxemburg verkünden.

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