Sind Bundestagsabgeordnete käuflich? Neues zu Nebeneinkünften von Abgeordneten
Es gibt Neuigkeiten zu vermelden in Bezug auf den “politisch-industriellen Komplex” in Deutschland. Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung hat die bezahlten Nebentätigkeiten der Bundestagsabgeordneten untersucht – mit interessanten Ergebnissen:
- Die große Mehrheit der Abgeordneten geht Nebentätigkeiten nach, manche Abgeordnete üben zehn und mehr Nebentätigkeiten aus.
- Knapp 30% der Bundestagsabgeordneten üben bezahlte Nebentätigkeiten aus, und zwar jeder Fünfte der Bundestagsabgeordneten der Linken (21%) und der SPD (22%), jeder Vierte der Grünen-Abgeordneten (26%), mehr als jeder zweite Abgeordnete von CDU/CSU (57%) und fast zwei Drittel der FDP-Abgeordneten (63%).
- Bei den entgeltlichen Nebentätigkeiten der Bundestagsabgeordneten handelt es sich etwa um Vorstands-, Aufsichtsrats- oder Beiratsämter von Kapitalgesellschaften, Vereinen, Verbänden oder Stiftungen, um die Ausübung des eigenen Berufs (z.B. als Rechtsanwalt) oder um bezahlte Vorträge.
- Im Schnitt entsprechen die Honorare eines Bundestagsabgeordneten mit bezahlten Nebentätigkeiten über 40% seiner Abgeordnetendiät.
- Im rechnerischen Durchschnitt entfallen auf einen Abgeordneten der Grünen im Jahr 6.000 Euro aus Nebentätigkeiten, bei der Linken 18.000 Euro pro Jahr, bei der SPD 45.000 Euro jährlich, bei CDU/CSU 60.000 Euro und bei der FDP 65.000 Euro jährlich (im Einzelnen schwanken die Nebeneinkünfte natürlich stark zwischen 0 Euro und über 1 Mio. Euro im Fall Peer Steinbrück).
- 70% der Nebeneinkünfte erzielen Bundestagsabgeordneten von CDU, CSU und FDP. Betrachtet man nur die von Unternehmen bezogenen Nebeneinkünfte, so entfallen auf die schwarz-gelben Bundestagsabgeordneten sogar 80%.
Die Autoren der Studie kommentieren, nicht bezahlte Nebentätigkeiten könnten die Verwurzelung der Abgeordneten im Leben stärken. Bezahlte Funktionen begründeten dagegen “dezidierte Ansprüche und massive Erwartungen an die Gegenleistung der Honorierten”. Die Verfasser bezweifeln in Anbetracht des Ausmaßes der Nebentätigkeiten, ob das Mandat der Bundestagsabgeordneten immer im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit steht, wie es das Abgeordnetengesetz verlangt. Bundestagsabgeordnete seien auch ohne Nebentätigkeiten voll ausgelastet, so dass Nebentätigkeiten zulasten des Mandats gingen. Nebentätigkeiten eröffneten einzelnen Unternehmen usw. außerdem einen “exklusiven Zugang zur Politik durch eigene Funktionsträger im Parlament”, den andere Unternehmen und Verbände nicht hätten. Honorare für Nebentätigkeiten schüfen bei den Zuverdienern “ein eigenes Interesse an der Aufrechterhaltung dieses Status quo, quasi ein politisches Programm in eigenem Interesse”. Dabei sei etwa das Halten von Reden und Vorträgen vor Publikum mit der Abgeordnetendiät bereits abgegolten.
Die Bezahlung durch einzelne Unternehmen und Verbände ist ein starkes Indiz, dass sich die betreffenden Abgeordneten in einer Weise auf besondere und auf Einzelinteressen fokussieren, die zu Lasten des Verfassungsauftrages gehen kann. Sie benachteiligt die Wähler gegenüber den Wählern anderer Abgeordneter, die keine Verpflichtungen gegenüber Einzelinteressen eingegangen sind und keine Zeit dafür aufwenden.
Zwar heben die Autoren hervor, dass der Bundestag nicht gekauft sei. Er begünstige aber diesen Eindruck, indem er Nebentätigkeiten unzureichend reguliere. Die Verfasser fordern vom neu gewählten Bundestag Nachbesserungen:
Fatal wäre, wenn sich der Eindruck verstetigen würde, dass viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages nur ‘Diener fremder Herren’ sind oder sich vor allem um ihre eigenen Belange kümmern.
Die Wähler haben es in der Hand, ob sich dieser Eindruck verstetigen wird. Weder von einer schwarz-gelben noch von einer rot-schwarzen Koalition sind bessere Transparenz- und Ethikregeln zu erwarten. Auch bei SPD und Grünen wurden Transparenzvorschläge aus den eigenen Reihen ausgebremst.
Eine Umfrage von Abgeordnetenwatch unter allen Bundestagskandidaten zeigt: Die Forderungen nach einer Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung, nach einer vollständigen Veröffentlichung von Nebeneinkünften und von Parteispenden finden bei den Piraten die stärkste Unterstützung (über 70%) – siehe auch unser Transparenz- und Antikorruptionsprogramm für den Bundestag.
Übrigens: Bundeskanzlerin Merkel war nebenher Mitglied im Kuratorium der “Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft”. Unter Rationalisierung versteht man unter anderem die “Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen”.
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