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Best-Practices-Studie: Wirtschaft fordert mehr Bürgerbeteiligung an Verkehrsprojekten

Landtag Wirtschaft und Verkehr

Im Auftrag der Industrie ist eine interessante “Best-Practices-Studie zur Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung in der EU” erstellt worden (Kurzfassung, Langfassung).
Wesentliche Ergebnisse:

Mangelnde Priorisierung

1. Die bisherige Verkehrswegeplanung wird kritisiert, weil keine strategische Priorisierung der einzelnen Projekte erfolgt. Überhaupt ist der Anteil von Schienenverkehrsprojekten am Etat in Deutschland vergleichsweise gering.

Fehlende Bürgerbeteiligung

2. Die Gutachter fordern, Bürgerbeteiligung effektiver zu gestalten.
Bürgerbeteiligung zu konkreten Projekten finde bisher zu spät im Verfahren statt, wenn über Ob und Alternativen nicht mehr ergebnisoffen diskutiert werden kann. So ist die Öffentlichkeit an der Aufstellung der Listen zur Projektanmeldung beim Bund vor der Beschlussfassung durch die jeweilige Landesregierung nur in “einigen Bundesländern” beteiligt worden – in Schleswig-Holstein nicht. Deshalb “erfolgt eine intensivere Befassungsmöglichkeit erstmalig nach Einreichung aller Planungsunterlagen im Raumordnungsverfahren und damit in einer Phase, in der das Projekt bereits im Bundesverkehrswegeplan bzw. im Ausbaugesetz festgeschrieben ist.”
Das vorherrschende Format der Bürgerbeteiligung (schriftliche Stellungnahmen) erschwere eine breite, proaktive Einbindung aller Betroffenen. “Denn der erste Prozessschritt, der eine tatsächliche persönliche Interaktion zwischen Vorhabenträger und betroffenen Bürgern im Rahmen von Treffen gesetzlich verbindlich vorsieht, ist der Erörterungstermin im Zuge des Planfeststellungsverfahrens unmittelbar vor Abschluss des Genehmigungsverfahrens. Zu diesem Zeitpunkt hat der Vorhabenträger den Streckenverlauf jedoch bereits parzellengenau geplant, so dass die technische Planung und die Linienführung faktisch bereits weitgehend feststehen. Eine Anpassung von Linienführung oder Bautechnik wäre in diesem Stadium mit erheblichen Mehrkosten und großem Zeitaufwand verbunden. Substanzielle Änderungen an der Ausgestaltung des Projekts sind damit realistischerweise kaum noch möglich und damit die Ernsthaftigkeit des “Zuhörens” fraglich. Hierdurch steigt die Gefahr von Konfrontationen und eskalierenden Konflikten, die nach Verfahrensabschluss zu Klagen führen können.”
Komplexe Fachgutachten seien als Informationsgrundlage ungeeignet.
In Frankreich sei eine frühe Bürgerbeteiligung im Rahmen einer “öffentlichen Debatte” dagegen vorgeschrieben, es gebe dafür eine eigene Behörde. Auch in den Niederlanden sind Konsultationen bereits in der Untersuchungsphase, die der Analyse verschiedener Lösungsalternativen und der schrittweisen Konkretisierung des Projektvorhabens dient, verbindlich vorgesehen. In Österreich können über die Institution des Umweltanwalts, der auf Landesebene ernannt wird, Bürgeranliegen aggregiert werden und in die vorbereitenden Planungen mit einfließen. In Dänemark sind die zu verfassenden Gutachten, wie beispielsweise die Umweltverträglichkeitsstudie, in aller Regel zielgruppengerecht, kompakt und allgemeinverständlich aufbereitet.
Das Gutachten empfiehlt daher, eine Öffentlichkeitsbeteiligung frühzeitig durchzuführen und Bürger umfassend, verständlich und proaktiv zu informieren. Die Bürgerbeteiligung müsse über rechtliche Mindestanforderungen hinaus maßgeschneidert, flexibel und optional ausgestaltet werden. Außerdem schlagen sie vor, ein bundesweites, öffentlich finanziertes Kompetenzzentrum für Bürgerbeteiligung zu schaffen und dadurch Bürgerbeteiligung zu professionalisieren.

Unzureichende Legitimität

3. Die politische Legitimation großer Projekte solle gestärkt werden. Im deutschen Planungs- und Genehmigungsprozess spielten die Parlamente als Volksvertretungen (auf Bundes- und Landesebene) insgesamt eine zu geringe Rolle.
Die Gutachter fordern eine Parlamentsbefassung zu konkreten Infrastrukturvorhaben. Erforderlich sei eine politische Willensäußerung in Form einer Abstimmung durch die Parlamente, um klare politische Verantwortung für Projektvorhaben zu übernehmen und politische Grundsatzkonflikte nicht in Verwaltungsverfahren zu verlagern.

Fazit

Es sind auch noch diverse weitere Empfehlungen vorhanden, die ich so nicht unterstützen würde (z.B. pro ÖPP und Pkw-Maut), aber die o.g. Aspekte gehen in die richtige Richtung. Speziell zur verstärkten Bürgerbeteiligung an Großprojekten haben wir Piraten bereits entsprechende Vorschläge vorgelegt, die bisher aber nicht auf fruchtbaren Boden gefallen sind.
Ich werde bei den Autoren der Studie anfragen, ob sie zu einer Vorstellung im Wirtschaftsausschuss bereit wären.

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