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Bestandsdatenauskunft: Surfspionage-Befugnis zum Scheitern verurteilt

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Ausgerechnet am heutigen Datenschutztag hat der Bundestag ein Gesetz zur Reform der Bestandsdatenauskunft beschlossen, das Polizei, Geheimdiensten und weiteren Behörden weitreichend die Nachverfolgung der privaten Internetnutzung (Surfverhalten) und die Anforderung von Passwörtern zu Internetdiensten ermöglichen soll. Bei der Gesetzgebung hat die Große Koalition verfassungsrechtliche Grenzen und die Meinung von Experten ignoriert und stattdessen auf eine Ausweitung der Befugnisse gesetzt.

Im Vorfeld hatte das Bundesverfassungsgericht auf Beschwerde des Europaabgeordneten Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), der Autorin Katharina Nocun und 6.000 weiterer Bürgerinnen und Bürgern das bislang geltende Gesetz für verfassungswidrig erklärt; auch das Gesetz zur “Hasskriminalität” liegt seither auf Eis.

„Brandgefährlich am aktuellen Gesetzestext ist vor allem die neue Surfspionage, also etwa der Zugriff auf die von uns betrachteten Internetseiten,“ erklärt Patrick Breyer. „Beim Bundesverfassungsgericht bereits eingereicht haben wir eine Beschwerde gegen ein schleswig-holsteinisches Landesgesetz, das ebenfalls Zugriff auf Telemediendaten unter viel zu geringen Voraussetzungen ermöglicht.

Mein Bruder Jonas Breyer, der uns am Bundesverfassungsgericht vertreten hat, hat in seiner Sachverständigenstellungnahme diese Woche deutlich gemacht, dass das Bundesgesetz am selben Mangel leidet. Auch andere Sachverständige sahen das so. Falls nötig, ziehen wir gegen das noch datengierigere Nachfolgegesetz wieder nach Karlsruhe. Dort geht es darum, dem Bundesverfassungsgericht die unglaublich weitreichenden Nutzungs- und Verwendungsmöglichkeiten von Internetspuren zu vermitteln.

Bis dahin ist mein dringender Rat an alle Internetnutzer*innen, sich im Netz möglichst mit falschen Angaben und Wegwerf-Mailadressen zu registrieren und sich außerdem mit einem Anonymisierungsdienst vor Nachverfolgung, Spionage und falschem Verdacht zu schützen.“

Hintergrund:

Internet-Nutzungsdaten (Metadaten) sind: Welche Internetseiten oder Videos wir ansehen, was wir geschrieben haben, wonach wir suchen. Mithilfe der IP-Adresse kann unsere Internetnutzung auch dann zurückverfolgt werden, wenn wir nicht namentlich angemeldet sind.

Internet-Bestandsdaten sind: Name, Adresse, Kontodaten, Geburtsdatum und im Klartext gespeicherte Passwörter zu unseren Online-Konten und Datenspeichern.

Die Gesetze zur “Hasskriminalität” und “Bestandsdatenauskunft” sehen vor, dass Polizei, Geheimdienste und viele weitere Behörden diese Daten leichter und in größerem Umfang einsehen können.

Die Koalition war zu der Reform durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 gezwungen worden. Mit dem Urteil erklärte das Gericht Teile der Regelungen zur Bestandsdatenauskunft für verfassungswidrig. Das Urteil folgte einer Sammel-Verfassungsbeschwerde gegen den staatlichen Zugriff auf Passwörter und die Identität von Internetnutzerinnen und -nutzern (sogenannte Bestandsdatenauskunft, Az. 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13). Diese wurde 2013 von den Bürgerrechtlern Katharina Nocun und Patrick Breyer als Erstbeschwerdeführer neben 6.373 weiteren Bürgerinnen und Bürgern erhoben. Das Bundesverfassungsgericht begründete das Urteil damit, dass die manuelle Bestandsdatenauskunft das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf die Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses der Inhaber von Telefon- und Internetanschlüssen verletze.

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