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Brauchen wir Geheimdienste, die bei Straftaten bloß zusehen?

Allgemein

Eine von der deutschen Innenministerkonferenz eingesetzte “Kommission Rechtsterrorismus” kommt zu einem verblüffenden Ergebnis: Die Abschaffung der deutschen Geheimdienste sei nicht möglich, weil die Dienste “als Ansprechpartner für ausländische Nachrichtendienste” unersetzlich seien. Doch machen Geheimdienste Deutschland tatsächlich sicherer oder behindern sie umgekehrt die Durchsetzung unserer Gesetze?

Die Piraten im schleswig-holsteinischen Landtag haben dieses Jahr mit ausführlicher Begründung beantragt, den Verfassungsschutz zu “entgeheimdienstlichen” und ihm den Einsatz geheimdienstlicher Mittel zu untersagen. Andere wollen den Verfassungsschutz insgesamt abschaffen und die Auswertung öffentlicher Quellen über demokratiefeindliche Gruppierungen anderen Institutionen übertragen. Die von der deutschen Innenministerkonferenz eingesetzte “Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus” erteilt solchen Forderungen nun mit überraschender Begründung eine Absage: Die deutschen Geheimdienste seien zur Entgegennahme ausländischer Geheimdienstinformationen unersetzlich.
Wissenschaftlichen Dokumentationsstellen fehle es an Strukturen, “um z. B. als Ansprechpartner für ausländische Nachrichtendienste überhaupt in Betracht zu kommen.” Und der polizeiliche Staatsschutz sei verpflichtet, “jedem Hinweis ausländischer Dienststellen auf Straftaten mit strafprozessualen Mitteln nachzugehen. Damit besteht die Gefahr, dass ausländische Nachrichtendienste nur noch dazu bereit sind, den deutschen Sicherheitsbehörden lediglich ausgewählte, gerichtsverwertbare Informationen zur Verfügung zu stellen. Im einen wie im anderen Fall drohen empfindliche Informationsverluste.”
Zusammengefasst geht die Argumentation dahin, wir bräuchten deutsche Geheimdienste, weil es ausländische Geheimdienste gibt. Dass diese Argumentation unlogisch ist, weil die gegen deutsche Geheimdienste sprechenden Gründe natürlich ebenso gegen ausländische Geheimdienste sprechen, geht den Autoren nicht auf. (Im Übrigen könnte die Aufgabe der Entgegennahme ausländischer Geheimdienstinformationen auch ein Bundesministerium wahrnehmen.)
“Ist die Überwachung nutzlos, brauchen wir mehr davon”
Zur richtigen Einschätzung des Berichts, auf dessen Grundlage die Innenminister Konsequenzen aus der NSU-Affäre ziehen wollen, muss man den Auftrag kennen, den die Innenminister der Kommission erteilt haben: Noch bevor die Untersuchung der Kommission überhaupt begonnen hatte, diagnostizierten die Innenminister im Einsetzungsbeschluss Anfang 2012 bereits, die Lösung sei ein “koordiniertes Vorgehen aller Sicherheitsbehörden gegen den gewaltbereiten Rechtsextremismus”. “Erkenntnisse von Polizei und Verfassungsschutz” müssten künftig “frühzeitig zusammengeführt” werden, die Kommission solle “Vorschläge für eine weitere Optimierung ihrer Zusammenarbeit” unterbreiten (was sie auch umfangreich getan hat).
Die Innenminister und die Kommission sind also der Meinung, weil die Geheimdienste die NSU-Morde nicht verhindert haben (umgekehrt deren Verhinderung durch Warnungen vielleicht sogar vereitelt, in jedem Fall aber ihre Strukturen in Form von V-Leuten mitfinanziert haben), müssten die Befugnisse der Dienste erweitert und das Trennungsgebot noch stärker aufgeweicht werden. Die peinliche NSU-Affäre soll dazu genutzt werden, die Geheimdienste noch weiter aufzurüsten. In dieser Denkweise offenbart sich die Sicherheitsideologie, die sich durch die gesamten letzten Jahre zieht: Weil die bisherige ungezielte Überwachung nichts gebracht hat, brauchen wir mehr davon.
Geheimdienste und Strafverfolgung schließen einander aus
Weil die Innenpolitiker gerade von CDU und SPD fest in dieser Logik verhaftet sind, brauchte es wieder einmal das Bundesverfassungsgericht, um die Diskussion vom Kopf auf die Füße zu stellen. In seinem Urteil zur gemeinsamen “Anti-Terror-Datei” aller Eingriffsbehörden machte Karlsruhe deutlich, dass die Verhütung, Verhinderung und Verfolgung von Straftaten Aufgabe von Polizei und Justiz ist, die im Grundsatz offen arbeiten und gegen Einzelne nur bei konkretem Anlass tätig werden. Nur Polizei und Justiz bezeichnet das höchste Gericht als “Sicherheitsbehörden”. Aufgabe der “Nachrichtendienste” sei lediglich die Information der Politik, damit diese Gefahrenlagen frühzeitig erkennen und ihnen politisch begegnen könne. Die weitreichenden Überwachungsbefugnisse der Geheimdienste seien nur damit zu rechtfertigen, dass den Diensten keine operativen Befugnisse gegen Einzelpersonen zustünden. Deswegen dürften ihre Erkenntnisse auch nur ausnahmsweise an Polizei und Justiz weitergegeben und dort operativ gegen Einzelne eingesetzt werden (informationelles Trennungsgebot).
Die Innenministerkommission hatte sich zuvor noch strikt gegen ein informationelles Trennungsgebot ausgesprochen; dieses “widerspräche […] dem Sinn der Verfassungsschutzbehörden”. Da die Kommission die verfassungsrechtlich und demokratisch zwingende Trennung von Geheimdiensten und Polizeibehörden missachtet hat, sind im Grunde ihre sämtlichen Empfehlungen zur Schaffung eines “Informationsverbunds” zwischen Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten für die Tonne. Am Ende des Abschlussberichts räumt die Kommission ein, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben “aus Zeitgründen” nicht berücksichtigt worden seien. Dies hält die Innenministerkonferenz aber leider nicht davon ab, den Bericht als “geeignete Arbeitsgrundlage” anzusehen, um “die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Verfassungsschutz und Justiz nachhaltig zu verbessern”, und bis zum Herbst “zu den im Bericht enthaltenen Handlungsempfehlungen erste […] Vorschläge zur Umsetzung” erarbeiten zu lassen. Die Innenminister wollen also allen Ernstes Handlungsempfehlungen umsetzen, die auf der Grundlage eines verfassungswidrigen Verständnisses erarbeitet worden sind.
Brauchen wir Geheimdienste, die bloß zusehen?
Hintergrund der politischen Betriebsamkeit ist sicherlich die in der Öffentlichkeit immer drängender gestellte Frage, ob ein rein beobachtender Geheimdienst, der selbst Straftaten nur tatenlos zusieht, in einer Demokratie erträglich ist. Ein Geheimdienst lebt von der Geheimhaltung seiner Informationen, seiner Informanten und seiner Informationsgewinnungsmethoden – auch von der Geheimhaltung gegenüber den Strafverfolgern, die schließlich öffentliche Gerichtsverfahren vorbereiten. Wären die Geheimdienste verpflichtet, jede mutmaßliche Straftat anzuzeigen und zu ihrer Aufklärung beizutragen, würden ihre Quellen schnell versiegen.
Doch darf dem Staat der Einblick in bestimmte Gruppierungen wichtiger sein als gegen ihre Straftaten vorzugehen? Die Innenministerkommission spricht Klartext:

“Eine Auflösung dieses Spannungsfeldes kann in letzter Konsequenz nur die Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden und ihrer nachrichtendienstlichen Befugnisse bedeuten.”

In der Tat: Meiner Meinung nach rechtfertigt es die Aufrechterhaltung eines geheimdienstlichen Bespitzelungssystems nicht, dass der Staat Straftaten schweigend zusieht. Die konsequente Verfolgung jeder auch nur “leichten” Straftat ist gerade im Milieu demokratiefeindlicher Gruppierungen notwendig, um einer Entwicklung zu Schlimmerem hin entgegenzuwirken. Dies hat nicht zuletzt der Werdegang des NSU-Trios gezeigt. Wenn wir aber die sich aus der Natur eines Geheimdienstes ergebende vielfache Untätigkeit bei Straftaten nicht hinnehmen wollen, müssen wir die Geheimdienste abschaffen.
Bespitzelung statt Schutz
Die Innenminister wollen diese Konsequenz natürlich nicht ziehen und setzen stattdessen einen immer weiter greifenden Informationsaustausch in Gang. Diesem sind aber wegen der geheimdienstlichen Methoden der Nachrichtendienste sehr enge Grenzen gesetzt. Das Grundproblem wird immer bestehen bleiben: Die Geheimdienste lassen sehenden Auges Straftaten geschehen, weil ihnen allumfassendes Wissen wichtiger ist als die Durchsetzung unserer Gesetze. Die NSU-Affäre dokumentiert im Kern kein Versagen des Verfassungsschutzes, sondern die Existenz des Verfassungsschutzes dokumentiert ein Versagen des Rechtsstaats.
Die Innenministerkommission räumt in ihrem Abschlussbericht ein, bei Beachtung des vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Trennungsgebots sei fraglich, “ob unter diesen Vorgaben die polizeiliche Fahndung nach dem [NSU-]Trio durch den Verfassungsschutz hätte unterstützt werden dürfen”. Diese Frage ist ganz klar zu verneinen. Die Verhinderung und Verfolgung von Straftaten ist nicht Aufgabe der Geheimdienste, auch nicht die “Unterstützung” der Verhinderung und Verfolgung von Straftaten. Die Geheimdienste unterstützen Polizei und Justiz in ihrer Aufgabe genug, wenn sie die Strafverfolgung nicht durch Warnungen und Verschleierung vereiteln und wenn sie endlich aufhören würden, kriminelle Strukturen zu finanzieren, um über V-Leute Informationen abzuschöpfen.
Verantwortlich für die Verfolgung der Straftaten des NSU-Trios waren die offen und anlassbezogen arbeitenden Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften. Ihnen oblag es, die Verbindung zwischen den Morden und deren ideologischen Hintergrund zu erkennen, Erkenntnisse untereinander auszutauschen und ihr Vorgehen zu koordinieren (anstatt eine Kompetenzbündelung auf Bundesebene zu vereiteln, wie es die Länder getan haben). Dabei sind gravierende Fehler gemacht worden. Das Gutachten über die Thüringer Ermittlungen moniert etwa eine Vielzahl von Ermittlungs- und Fahndungsfehlern noch vor Beginn der NSU-Mordserie. Ohne diese Fehler hätten die mit Haftbefehl gesuchten NSU-Mitglieder möglicherweise rechtzeitig festgenommen werden können. Stattdessen waren überlastete und nicht mit den Hintergründen vertraute Ermittler eingesetzt worden.
Sicherheit in Freiheit

Durch Abschaffung der Geheimdienste könnten die Kapazitäten des Staates bei der sozialen Prävention von Kriminalität und auch bei der strafrechtlichen Verfolgung schwerer Straftaten maßgeblich verstärkt werden. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: In den letzten Jahren sind bei der Polizei tausende von Stellen gestrichen worden. Gleichzeitig sind aber die staatlichen Ausgaben für die “öffentliche Sicherheit und Ordnung” seit 1991 verdoppelt worden. Die etablierte Innenpolitik investiert zunehmend in Videoüberwachung, in Kfz-Massenabgleich und Massendatensammlung statt in Ermittler. Diese überwachungszentrierte Innenpolitik schadet sowohl unserer Sicherheit als auch unserer Freiheit.
Leider ist ein Kurswechsel nicht in Sicht. Zurzeit gehören alle Innenminister SPD oder CDU/CSU an und sind der Sicherheitsideologie fest verhaftet. Für Grüne, Linke und FDP hat das Innenressort keine Prioriät, für sie sind die Themen Umwelt (Grüne), Soziales (Linke) und Wirtschaft (FDP) vorrangig und anderes verhandelbar. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass sich aus der Bürgerrechtsbewegung heraus eine neue Partei gebildet hat. Unter den Mitgliedern der Piratenpartei ist klar, was ihre Prioritäten in der Auseinandersetzung mit den etablierten Parteien sind: Freiheit, Grundrechte, Demokratiereform und Mitbestimmung.
Wie eine neue, freiheitsfreundliche Innenpolitik konkret aussehen könnte, zeigt das Bundestagswahlprogramm der Piraten mit dem Konzept “Sicherheit in Freiheit”. Die enge Anlehnung an die Forderungen des Bündnisses “Freiheit statt Angst” ist kein Zufall. Wir sind gemeinsam davon überzeugt, dass eine freie und offene Gesellschaft nur durch die Gewährleistung von Privatsphäre, vertraulicher Kommunikation und eines zensurfreien Zugangs zu Informationen bestehen kann. Dafür gehen wir am 7. September auf die Straße, dafür ziehen wir immer wieder vor das Bundesverfassungsgericht und das wollen wir endlich auch in den Parlamenten durchsetzen.

Kommentare

2 Kommentare
  • Michael Ebner

    Ich wäre schon halbwegs beruhigt, wenn sichergrstellt ist, dass die nur zusehen und nicht aktiv unterstützen – gerade beim Rechtsterrorismus drängt sich der Verdacht ja auf…

  • Frag3z31ch3n

    “SGanztagskraft mit PC- und Fremdsprachenkenntnissen” sollte dann doch eigentlich genügen, um den Kontakt zu und die Aufgaben gegenüber ausländischen Geheimdiensten aufrecht zu erhalten. Klingt gut.

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