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G7-Gipfel: Polizei bietet Abgeordneten “Embedded Demobeobachtung” an

Freiheit, Demokratie und Transparenz Juristisches

Vergangene Woche haben SPD, Grüne und SSW den Antrag der PIRATEN abgelehnt, unabhängigen Beobachtern der angekündigten Proteste gegen den G7-Außenministergipfel in Lübeck Bewegungsfreiheit zu gewähren und die Dokumentation von Rechtsverletzungen zu ermöglichen. Nun erreicht uns ein Schreiben der Lübecker Polizei, in dem Landtagsabgeordneten eine Art “eingebettete Demonstrationsbeobachtung” angeboten wird.
Im Anschluss an den Besuch einer Informationsveranstaltung der Polizei bestehe für Abgeordnete die Möglichkeit, mit polizeilicher Begleitung das “Geschehen im Einsatzraum” zu beobachten und dazu auch “polizeiliche Absperrungen möglichst ungehindert passieren zu können”, schreibt der Einsatzleiter. Die polizeiliche Begleitung diene unserem eigenen Schutz. Außerdem könnten die Begleiter “Erläuterungen zu den Einsatzsituationen und damit verbundene polizeiliche Handeln geben”. Insgesamt wird das Angebot als “einsatzbegleitende Öffentlichkeitsarbeit” der Polizei eingeordnet.
Mein Kommentar:

Eine unabhängige zivilgesellschaftliche Demonstrationsbeobachtung, wie wir PIRATEN sie beantragt hatten, ersetzt diese “Embedded Demobeobachtung” nicht. Demonstrationsbeobachtung dient nicht der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit, sondern der unabhängigen Dokumentation von Rechtsverletzungen. Die Zivilgesellschaft kann eine weit umfangreichere Beobachtung gewährleisten als eine Handvoll Abgeordneter. Es ist zu befürchten, dass der von der Polizei angekündigte “größtmögliche Schutz vor eventuell gefährlichen Situationen” den Kontakt von Abgeordneten zu Demonstranten einschränken könnte. Gerade in “gefährlichen Situationen” ist doch eine unabhängige Beobachtung des Geschehens am wichtigsten.

Gut, dass die Humanistische Union auch eine unabhängige Demonstrationsbeobachtung organisiert. Hierzu sucht sie noch möglichst viele Unterstützer (Freiwillige bitte hier melden).
Hintergrund:
Der Antrag der PIRATEN, eine unabhängige Beobachtung der Demonstrationen gegen den G7-Gipfel in Lübeck zu unterstützen, war Mittwoch im Innen- und Rechtsausschuss mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen, FDP und SSW abgelehnt worden. Auch eine Anhörung von Experten zu Möglichkeiten und Praxis der Demobeobachtung lehnten die übrigen Fraktionen ab.
Das Innenministerium teilte mit, dass man besondere Zutrittsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Demonstrationsbeobachter ablehne und das entsprechende Anliegen der Humanistischen Union abgelehnt habe. Auch müssten Polizeibeamte Bildaufnahmen nicht dulden (Ausnahme: “Übersichtsaufnahmen”).
Mein Kommentar:

Dass in Schleswig-Holstein eine unabhängige zivilgesellschaftliche Demonstrationsbeobachtung nicht unterstützt wird, schadet der Aufklärung von Rechtsverletzungen. Es schadet auch unserer Polizei, denn unabhängige Demobeobachter können glaubwürdig unberechtigten Vorwürfen gegenüber der Polizei entgegen treten. Es schadet schließlich aber auch dem Ansehen des Parlaments, weil SPD, Grüne und SSW wieder ein Versprechen brechen, das sie den Bürgern im Koalitionsvertrag gegeben haben.
Falsch ist die Meinung, die Dokumentation von Polizeieinsätzen sei nur in Überblicksaufnahmen gestattet. Gesetzlich ist die Abbildung von Polizisten im Rahmen einer Demonstration zulässig, solange nicht gezielte Fotoaufnahmen einzelner Beamter erfolgen (Quelle). Und auch die gezielte Aufnahme einzelner Polizeibeamte ist zulässig, wenn sie der Dokumentation außergewöhnlicher Ereignisse von öffentlichem Interesse dient, etwa “wenn ein Polizist bei seinem Einsatz eine Straftat begeht” (Quelle). Im Übrigen kann auch bei rechtswidrigen Aufnahmen eine Beschlagnahme nur dann gerechtfertigt werden, “wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß Lichtbilder entgegen den Vorschriften des KunstUrhG unter Mißachtung des Rechts der Polizeibeamten und/oder Dritter am eigenen Bild auch veröffentlicht werden” (Quelle), was nicht einfach unterstellt werden kann (Quelle).
Die Angabe des Ministeriums, kein Polizeibeamter müsse Aufnahmen seiner Person dulden, lässt befürchten, dass die Dokumentation etwaiger Rechtsverletzungen behindert werden könnte. Ich werde deswegen noch einmal nachfragen.

Demobeobachtern ist zu empfehlen,

  • Polizeimaßnahmen nicht zu behindern
  • bei Nahaufnahmen nur außergewöhnliche Ereignisse von öffentlichem Interesse wie z.B. erhebliche Rechtsverletzungen aufzunehmen
  • Aufnahmen von PolizeibeamtInnen lediglich in einer Form veröffentlichen, in der die BeamtInnen nicht identifizierbar sind und
  • unverpixelte Beweisaufnahmen nur an Opfer von Rechtsverletzungen bzw. deren Rechtsbeistand oder Ermittlungsbehörden weiterzugeben (Quelle)

Hoch bedenklich auch, dass die Mitglieder auswärtiger Polizeieinheiten nicht individuell gekennzeichnet werden. Im Zuge der Beratung eines schleswig-holsteinischen Versammlungsgesetzes haben wir PIRATEN vergeblich eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht beantragt.

Anhang: Auszug aus dem Schreiben der Lübecker Polizei an den Landtag

bekanntermaßen findet in Lübeck am 14. Und 15. April 2015 das Außenministertreffen der G7 in der Hansestadt Lübeck statt. In diesem Zusammenhang wurden im Stadtgebiet mehrere Demonstrationen angemeldet.
Die Leitung des dafür notwendigen Polizeieinsatzes liegt bei der Polizeidirektion Lübeck. Als verantwortlicher Gesamt-Einsatzleiter habe ich das Ziel, den sicheren Ablauf der Außenministerkonferenz zu gewährleisten, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit der Demonstrationsteilnehmer zu schützen sowie die Beeinträchtigungen für die Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt Lübeck und ihrer Gäste möglichst gering zu halten.
Mir liegt mir aber auch daran, den Polizeieinsatz so transparent wie möglich zu gestalten. Deshalb haben wir einen Einsatzabschnitt „einsatzbegleitende Öffentlichkeitsarbeit“ eingerichtet, der für ausführliche, aktuelle und Zielgruppen orientierte Information aller interessierten Bürgerinnen und Bürger Sorge trägt.
Gern wollen wir auch den Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages Gelegenheit geben, „ihrer“ Landespolizei bei so einem außergewöhnlichen Großeinsatz einmal „über die Schulter“ zu schauen.
Deshalb bietet die Polizeidirektion Lübeck für Abgeordnete des Schleswig-Holsteinischen Landtages zu folgenden Zeiten Informationsveranstaltungen an:

Montag, 13.04.2015, 18 Uhr
Dienstag, 14.04.2015, 14 und 17 Uhr
Mittwoch, 15.04. 2015, 11 Uhr

Die genannten Zeiten orientieren sich an den bisher bekannten Veranstaltungs- und Demonstrationslagen. Abweichende Terminplanungen sind selbstverständlich möglich. Folgender Programmablauf ist geplant:

  • Eintreffen am Behördenhochhaus, […], 23560 Lübeck
  • Überblick über den polizeilichen Einsatz, aktuelles Geschehen

Als Zeitansatz werden etwa 20 bis 30 Minuten eingesetzt.
Die Informationsveranstaltungen bieten die Möglichkeit einer aktuellen und eingehenden Information aller Abgeordneten sowie die effektive Bündelung eventueller Fragen und Antworten.
Im Anschluss daran bieten wir die Möglichkeit einer direkten Beobachtung des Geschehens im Einsatzraum, d.h. im Stadtgebiet Lübecks, an. Dazu ist vorgesehen, anwesende MdL durch den Einsatzraum zu begleiten.
Eine polizeiliche Begleitung ist einerseits notwendig, um polizeiliche Absperrungen möglichst ungehindert passieren zu können, andererseits soll auf diesem Wege größtmöglicher Schutz vor eventuell gefährlichen Situationen gewährleistet werden.
Die fachkundige Begleitung kann darüber hinaus Erläuterungen zu den Einsatzsituationen und damit verbundene polizeiliche Handeln geben. […]
Um sowohl für die Begleitungen die nötigen Vorbereitungen treffen zu können, bitten wir um jeweilige Anmeldung […]

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