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Innenministerkonferenz: IP-Vorratsdatenspeicherung wäre auf allen Ebenen eine gefährliche Luftnummer

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Auf der heutigen gemeinsamen Sitzung der Innen- und Justizminister in München wurde erneut lautstark eine verdachtslose Vorratsspeicherung von Internetverbindungsdaten gefordert. Nötig sei das Instrument für die „Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch und Kinderpornografie“.

Der EU-Abgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei, Grüne/EFA) kämpft seit mehr als 15 Jahren gegen das Prinzip der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung, unter anderem als Beschwerdeführer einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Breyer kommentiert die aktuelle Forderung nach IP-Vorratsdatenspeicherung:

„IP-Vorratsdatenspeicherung ist, wie wenn jede:r Bürger:in ein sichtbares Kennzeichen um den Hals gehängt bekäme und dieses auf Schritt und Tritt notiert würde. Niemand würde sich eine solche Totalerfassung im täglichen Leben gefallen lassen. Ich unterstütze die anlassbezogene Quick-Freeze-Lösung von Justizminister Buschmann und die Login-Falle. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn ich sehe, wie Bundesinnenministerin Faeser versucht, die klare Absage an anlasslose Vorratsdatenspeicherung im Koalitionsvertrag rückwirkend zu verdrehen.[2] Zu der von ihr angestrebten Aufklärung rechtsextremer Netzwerke im Internet taugt eine IP-Vorratsdatenspeicherung schon deshalb nicht, weil diese Vernetzung keine schwere Straftat darstellt, die einen Abruf von Vorratsdaten rechtfertigen könnte.

IP-Vorratsdatenspeicherung würde die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellen und gefährlich große Mengen an persönlichen Daten erzeugen. 99,99 Prozent dieser Daten wären völlig nutzlos, da sie Bürger:innen betreffen, die nie auch nur in den Verdacht einer Straftat kommen.

Bei anlassloser Vorratsdatenspeicherung geht es in Wahrheit nicht um ein konkretes Problem wie Kinderschutz [3] oder Terrorismus, sondern immer um den Hunger von Sicherheitsfanatikern nach Massenüberwachung. Wer ein konkretes Problem lösen will, findet konkrete und zielgerichtete Lösungen. Beim Thema Kinderschutz müsste über mehr Personal und bessere Technik für Sonderermittler:innen gesprochen werden, es müsste über Kinderschutzprogramme an Schulen, in Sportvereinen und Kirchen diskutiert werden oder über Kampagnen zur Steigerung des Problembewusstseins in Familien, Behörden und sozialen Einrichtungen. Das wären problemorientierte Lösungen.

Es muss klar sein, dass Strafverfolgung im Internet ohne IP-Vorratsdatenspeicherung funktioniert. Kriminelle kennen Mittel und Wege ihre IP-Adresse zu verschleiern. Hier hilft nur gezielte, kompetente und rechtsstaatlich kontrollierte Ermittlungsarbeit. Die Forderung nach IP-Vorratsdatenspeicherung geht auf allen Ebenen ins Leere.

In der Bundesregierung haben SPD, Grüne und FDP jetzt beim Thema Vorratsdatenspeicherung alle Zügel in der Hand, um eine historische Wende einzuleiten. Anlasslose Speicherung von Kommunikation ist ein autoritäres Mittel – das sehen wir in Europa und der ganzen Welt. Europa muss weg vom Prinzip Massenüberwachung, hin zum Prinzip gezielte Problemlösung. Wir brauchen ein Europa frei von Massenüberwachung und Generalverdacht – die Ampel muss hier den Anfang machen.“

Hintergrund

Bei einer IP-Vorratsdatenspeicherung würden Internetanbieter verpflichtet, die IP-Adressen aller Nutzer:innen auf Vorrat für eine bestimmte Zeit zu speichern. In Kombination mit Internetverbindungsdaten von sozialen Netzwerken, Suchmaschinen, anderen Webseiten oder Apps lassen sich damit potenziell die Online-Aktivitäten jeder Person zurückverfolgen und ausführliche Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellen.

Letzte Woche haben über 20 zivilgesellschaftliche Organisationen wie Datenschutz- und Berufsverbände in einem offenen Brief an die Ampel-Koalition vor einer IP-Vorratsdatenspeicherung gewarnt.[4] Der Brief wurde im Vorfeld des heutigen Treffens auch an die Innen- und Justizminister:innen der Länder gesendet. Eine Meinungsumfrage ergab Anfang des Jahres, dass eine Vorratsdatenspeicherung mehrheitlich abgelehnt wird und gravierende Einschüchterungswirkungen hätte.

In der Ampel herrscht Streit beim Thema Vorratsdatenspeicherung. Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) pauschal die IP-Adressen aller Bürger:innen speichern lassen will, hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) angekündigt, innerhalb der nächsten zwei Wochen einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der, dem Koalitionsvertrag folgend, das aktuelle deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung abschafft und das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren einführt. Bei diesem Schnell-Speicherungs-Verfahren werden Kommunikationsdaten von Bürger:innen nur gespeichert, wenn es dafür einen ausreichenden Grund gibt.