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Online-Karte: Was „geografisch gezielte” Vorratsdatenspeicherung für Deutschland bedeuten würde

Europaparlament Pressemitteilungen

Heute wurde in der belgischen Abgeordnetenkammer ein Entwurf für ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung diskutiert. Der Entwurf sieht unter anderem eine sogenannte „geografisch gezielte Vorratsdatenspeicherung“ von Kommunikationsdaten vor, wie sie die EU-Kommission europaweit einzuführen erwägt. Der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei, Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz) veröffentlicht aus diesem Anlass eine Karte, die zeigt, was „geografisch gezielte” Vorratsdatenspeicherung in Belgien und Deutschland konkret bedeuten würde.

Der belgische Gesetzentwurf ist eine Reaktion auf die Nichtigerklärung des dortigen Gesetzes zur flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung durch das Verfassungsgericht. Künftig sollen Telefon- und Internetdaten aller Bürger:innen in Gebieten mit überdurchschnittlich hoher Kriminalitätsrate pauschal gespeichert werden, ebenso wie in „wichtigen Infrastrukturen“ wie Autobahnen, Grenzgebieten, Krankenhäusern, Parlamentsgebäuden.  In dem Entwurf äußert die belgische Regierung die Ansicht, dass eine „gezielte Vorratsdatenspeicherung“ das gesamte Staatsgebiet erfassen könnte, wenn die statistischen Kriterien dies hergeben. Ab einer „Alarmstufe“ von 3 soll flächendeckend auf Vorrat gespeichert werden. Gleichzeitig ist voraussetzungslos eine 4-monatige Vorratsdatenspeicherung zur „Prävention von Abrechnungsbetrug“ vorgesehen. Auch IP-Adressen, IMEI, IMSI und MAC-Adressen sollen in Zukunft flächendeckend auf Vorrat gespeichert werden. Neben Telefon- und Internetanbietern sollen auch E-Mail- und Messengeranbieter (OTT-Dienste) auf Vorrat speichern müssen.

Der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei, Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz) warnt:

„Der belgische Gesetzentwurf ist ein gefährlicher Präzedenzfall für eine neue Generation von Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung. Datensüchtige Überwachungsbehörden versuchen, höchste Gerichtsurteile zur Grundrechtswidrigkeit flächendeckender Kommunikations- und Bewegungsdatensammlung zu umgehen. Vor Taschenspielertricks wie dem Vorwand ‘Betrugsprävention’ schrecken sie nicht zurück. Durch trotzige Ausweitung auf zusätzliche Datenkategorien und Dienste drohen diese Gesetze teils sogar noch größeren Schaden für unsere Kommunikationsfreiheit anzurichten als die gekippten.“

Online-Karte: In Deutschland wären 40 Millionen Bürger:innen betroffen

Mit einer Online-Karte macht Breyer sichtbar, was eine “gezielte Vorratsdatenspeicherung” in Deutschland bedeuten würde. Auf der Karte sind rot Flächen mit überdurchschnittlich hohen Kriminalitätsrate im Bundesgebiet markiert. Wer sich hier aufhält, müsste nach internen Entwürfen der EU-Kommission damit leben, dass seine Kontakte und Bewegungen verdachtslos gespeichert werden. Die Fläche erscheint überschaubar, aber der Anteil der betroffen Bevölkerung wäre groß, weil es in Städten typischerweise mehr Kriminalität gibt. Bundesweit wären diesem Modell nach 40 Millionen Menschen an ihrem Wohnort täglich betroffen. Das sind etwa 48% der gesamten Bevölkerung.

Pläne verletzen die Rechte der Bürgerinnen und Bürger

In einem im April veröffentlichten Rechtsgutachten stellt der ehemalige EU-Richter Prof. Dr. iur. Vilenas Vadapalas fest, dass der Ansatz der „gezielten Vorratsdatenspeicherung“ in der EU-seitig erwogenen weitläufigen Form nicht zulässig ist und dass eine “hohe” (und nicht nur überdurchschnittliche) Inzidenz schwerer Straftaten in einem Gebiet vorliegen muss, um die Anwendung der Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen.

»Quick Freeze«-Ansatz als Lösung

Eine verhältnismäßige Lösung wäre der sogenannte »Quick Freeze«-Ansatz, bei dem Daten gespeichert werden, sobald dafür ein ausreichender Grund vorliegt. Bundesjustizminister Marco Buschmann hat angekündtigt, die deutsche Vorratsdatenspeicherung in der gegenwärtigen Form zu beenden. »Quick Freeze« ist eine ist als grundrechtsschonende Lösung in der Diskussion. Ein EuGH-Urteil dazu steht bevor. Das Bundesinnenministerin von Nancy Faeser (SPD) ließ dagegen mitteilen, “anlasslose Vorratsdatenspeicherung” sei ein “wichtiges Instrument für eine effektive Strafverfolgung”. Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es demgegenüber: „Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können.“