Politische Werbung: EU-Parlament will Microtargeting und Wahlmanipulation stoppen
Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des Europäischen Parlaments hat heute Änderungsanträge [1] [2] zu einem Gesetzesentwurf angenommen, mit dem die Auswertung personenbezogener Daten für gezielte politische Werbebotschaften eingeschränkt werden soll. Nur persönliche Informationen, die von den Bürger:innen mit ihrer Zustimmung ausdrücklich für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden, sollen für gezielte politische Werbung verwendet werden dürfen, wobei die Verwendung von verhaltensbezogenen und abgeleiteten Informationen (behavioral/inferred advertising) ausgeschlossen wird. Der IMCO-Ausschuss folgt damit der Position des LIBE-Ausschusses, der die Federführung bei der vorgeschlagenen Regulierung des Targeting hat.
Insbesondere wurde beschlossen:
- Die Verwendung personenbezogener Daten zur gezielten Einblendung politischer Werbebotschaften soll auf Daten beschränkt werden, die von den Bürgern mit ihrer Zustimmung ausdrücklich für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden, wobei die Verwendung von verhaltensbezogenen und abgeleiteten Informationen über die Bürger:innen (“Überwachungswerbung”) ausgeschlossen wird. Die Verweigerung der Einwilligung soll nicht komplizierter sein dürfen als die Erteilung der Einwilligung. Die “Do not track”-Einstellung im Browser des Nutzers sollte ohne lästige Nachfragen respektiert werden. Nutzer:innen, die ihre Zustimmung verweigern, sollen dennoch Zugang zu den Online-Plattformen haben.
- Den Plattformen soll untersagt werden, undurchsichtige Algorithmen für die Auslieferung von Werbung zu verwenden; ihnen wäre nur erlaubt, die Empfänger nach dem Zufallsprinzip aus all denjenigen Nutzern auszuwählen, welchen den vom Auftraggeber gewählten Targeting-Parametern entsprechen.
- In den 60 Tagen vor einer Wahl oder einem Referendum dürfen unterschiedliche politische Botschaften nur auf der Grundlage der Sprache eines Bürgers und seines Wahlkreises angezeigt werden, um eine Zersplitterung der öffentlichen Debatte und die Übermittlung widersprüchlicher und unehrlicher politischer Botschaften zu vermeiden.
- Sollte eine Datenschutzbehörde wie die irische Datenschutzbehörde die Vorschriften gegenüber großen Online-Plattformen nicht durchsetzen, könnte der Europäische Datenschutzausschuss diese Aufgabe übernehmen. In Fällen illegaler politischer Werbung soll er nicht nur finanzielle Sanktionen verhängen können, sondern auch die Schaltung von Anzeigen durch Werbetreibende, die schwerwiegend und systematisch gegen die Vorschriften verstoßen haben, vorübergehend aussetzen können. Damit wird sichergestellt, dass wohlhabendere Sponsoren die Kosten für finanzielle Sanktionen nicht einfach in ihr Budget einkalkulieren können.
- Die gezielte Anzeige politischer Werbung aufgrund der Nationalität oder ethnischen Herkunft, politischen Meinung, religiösen Überzeugung, Gesundheitszustand oder sexuellen Orientierung einer Person soll sowohl offline als auch online verboten werden.
- Je nach Auslegung kann es sein, dass die neuen Regeln für Werbekampagnen per Brief, E-Mail oder Textnachrichten nicht gelten. Leider sind die Vorschriften nämlich auf die Verwendung externer “politischer Werbedienste” beschränkt, so dass Briefe, E-Mails und Textnachrichten, die z. B. direkt von politischen Parteien verschickt werden, ausgeschlossen sein könnten, was ein Schlupfloch zu eröffnen droht. Diese sollte noch geschlossen werden.
- Organische, selbst gepostete Inhalte sind von den vorgeschlagenen Targeting-Regeln ausgeschlossen. Die Amplifizierung organischer Inhalte wird nicht neu geregelt.
Dr. Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei und Schattenberichterstatter im für Datenschutz zuständigen LIBE-Ausschuss, kommentiert:
“Das Europäische Parlament kämpft für ein Verbot von Überwachungswerbung zur Manipulation unserer demokratischen Wahlen und Abstimmungen. Aus den Kampagnen von Donald Trump und vor dem Brexit haben wir gelernt, dass man einen Wähler oder eine Wählerin sehr effektiv unbewusst manipulieren kann, wenn man weiß, welche Botschaft bei ihm ankommt. Während viele Parteien personalisiertes Targeting einsetzen, profitieren davon vor allem populistische und antidemokratische Kräfte.
Die vom Rat befürworteten Targeting-Regeln sind demgegenüber eine Farce und werden die Manipulation von Wahlen und Volksabstimmungen unvermindert weiter gehen lassen. Antidemokratische Kräfte dürfen weiterhin die komplette Internetnutzung ausspionieren lassen, um Hassbotschaften und Falschinformationen gezielt an der Persönlichkeit der Wählerin oder des Wählers auszurichten. Das setzt die Funktionsbedingungen unserer demokratischen Gesellschaft aufs Spiel. Hier haben sich kurzsichtige Eigeninteressen der Regierenden an Wahlwerbung und das Profitinteresse der Digitalindustrie zu einer für die Demokratie toxischen Mischung verbunden.
Das Europäische Parlament muss in den Trilog-Verhandlungen mit dem Rat hart bleiben, um unsere demokratischen Wahlen und Abstimmungen zu schützen.”
Im Februar wird das Europäische Parlament als Ganzes den Standpunkt annehmen und danach in Verhandlungen mit dem Rat eintreten.