Prozess um Kieler “Rocker -Affäre”: Belasteter V-Mann-Führer darf namentlich genannt werden [ergänzt am 02.09.2022]
Auf dringendes Anraten des Gerichts hat der in der “Rocker-Affäre” schwer belastete V-Mann-Führer im Kieler Landeskriminalamt KHK Schäller seine Klage am Freitag zurückgezogen. Schäller hatte im März vor dem Landgericht Hamburg Klage gegen den Europaabgeordneten und früheren Fraktionsvorsitzenden der Piraten Dr. Patrick Breyer eingereicht (Az. 324 O 222/20). Er verlangte die Löschung seines Namens von der Homepage Breyers, wo der Skandal um die versuchte Unterdrückung einer potenziell entlastenden Aussage zum Schutz eines Informanten geschildert wird. Das Gericht begründete seine Empfehlung wie folgt: Dem Kläger würden jedenfalls dienstpflichtwidrige Handlungen vorgeworfen und er sei Amtsträger. Eine Gefährdung seiner Person sei nicht substantiiert vorgetragen worden, insbesondere keine solche speziell aufgrund der Namensnennung, zumal der Name auch anderweitig öffentlich erwähnt worden sei.
Der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), der die Kieler “Rocker-Affäre” 2017 aufdeckte, kommentiert:
“Dieser Ausgang ist ein Erfolg für Transparenz und Rechtsstaatlichkeit. Schäller ist mit dem Versuch, namentliche öffentliche Kritik an seinen schweren Verfehlungen und Pflichtverletzungen im Amt zu verhindern, gescheitert. Diese berechtigte Kritik daran, dass Herr Schäller dem Schutz einer dubiosen Quelle Vorrang gegenüber dem Rechtsstaat eingeräumt hat, darf weiterhin namentlich geäußert werden.
Dass Herr Schäller trotz vielfacher Pflichtverletzungen befördert worden ist, während die auf korrekte Methoden bestehenden Ermittlungsbeamten strafversetzt wurden, gehört an die Öffentlichkeit. Denn die nötigen Konsequenzen aus dem Skandal stehen bis heute aus. Bis heute gibt es in Schleswig-Holstein etwa keine beim Justizministerium eingerichtete eigenständige und ständige Einheit für interne Ermittlungen gegen Polizeiangehörige. Nur eine wirklich eigenständige externe Kontrolle schützt vor Mauschelei und Vertuschung durch Gesetzeshüter, wie sie in der ‘Rocker-Affäre’ bis in die Führungsetage hinein stattgefunden hat.”
Die Feststellungen des Rocker-Untersuchungsausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtags bestätigen Breyers Kritik an den Methoden Schällers in zentralen Punkten: Schäller habe ohne Vorliegen der Voraussetzungen eine Person faktisch wie eine Vertrauensperson geführt; laut NDR soll es sich um den damaligen Vorsitzenden des Rockerclubs Bandidos in Neumünster Bacher gehandelt haben. Schäller habe Bacher laut Untersuchungsausschuss durch unkontrollierte Informationsweitergabe im LKA gefährdet und Bachers Aussage erst Wochen später dem Ermittlungsführer mitgeteilt, obwohl sie inhaftierte Beschuldigte entlasten sollte. Sodann habe Schäller einen wahrheitswidrigen und falsch datierten Vermerk verfasst, um “den zuvor gescheiterten Versuch einer Verdeckung der von der Quelle gelieferten Information zu verschleiern und eine weitere Aufklärung dieses Sachverhaltes zu erschweren”. Im weiteren Verlauf habe Schäller seinem Informanten Bacher rechtswidrig Vertraulichkeit zugesichert, um dessen Vernehmung vor Gericht zu verhindern. Bachers Zusammenarbeit mit der Polizei sollte wohl auch deshalb geheim gehalten werden, weil das CDU-geführte Innenministerium gleichzeitig ein Vereinsverbot gegen die von ihm angeführten Bandidos in Neumünster betrieb.
Ergänzung vom 02.09.2022:
Im Verhandlungsprotokoll begründet das Gericht die fehlende Erfolgsaussicht der Unterlassungsklage damit, dass wahrheitsgemäße Berichte aus Ausschusssitzungen gesetzlich geschützt sind. Im Untersuchungsausschuss wurde der Name Schällers oft genannt.
Die Kammer weist nach vorläufiger Würdigung auf folgendes hin:
Der Unterlassungsantrag dürfte in der gebotenen Abwägung keine Aussicht auf Erfolg haben. Hierbei dürfte entscheidend ins Gewicht fallen, dass der Schutz des Artikels 16 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg auch auf wahrheitsgemäße Berichte aus öffentlichen Ausschusssitzungen des Landtages Schleswig-Holstein zu erstrecken sein dürfte. Solche Berichte bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Dies betrifft direkt die Namensnennung in der Ergänzung der Berichterstattung vom 28.01.2019, dürfte aber auch auf die weitere Namensnennung am Beginn der Berichterstattung zu übertragen sein.