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Umfrage zur Chatkontrolle: 80% der Jugendlichen lehnen Chatkontrolle ab, 40% verschicken selbst Nacktfotos

Allgemein Pressemitteilungen

Einer repräsentativen Umfrage zufolge lehnen es 80 % aller Minderjährigen in Deutschland ab, dass Internetanbieter persönliche Nachrichten nach vermeintlich verdächtigen Inhalten durchsuchen, wie es die von der EU-Kommission vorgeschlagene Verordnung zur Chatkontrolle vorsieht. 40% der Befragten unter 18 Jahren versenden der Umfrage zufolge einvernehmlich intime Fotos mit ihren Smartphones, was nach den EU-Plänen zur automatischen Weiterleitung der Aufnahmen an Unternehmensmitarbeiter, EU-Mitarbeiter und Polizeibeamte führen könnte. 87 % der minderjährigen Befragten erklären, sie würden sich nicht wohl dabei fühlen, sich politisch zu engagieren oder ihre Sexualität zu erkunden, wenn ihre Gespräche gescannt würden. Für diese Umfrage befragte das Meinungsforschungsunternehmen Episto mehr als 8.000 Teenager im Alter von 13 bis 17 Jahren in 13 EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland.

Weitere Ergebnisse für Deutschland:

  • 97 % der Minderjährigen nutzen verschlüsselte Kommunikations-Apps wie WhatsApp oder Signal, weitaus mehr als im EU-Durchschnitt (67 %)
  • Während der EU-Vorschlag zur Chatkontrolle Messaging- und Chat-Diensten die Überprüfung des Nutzeralters vorschreiben soll, was anonyme Kommunikation effektiv unmöglich machen würde, betonen 60 % der jungen Menschen, dass Anonymität für ihre politischen Aktivitäten wichtig ist (4 %: nicht wichtig), und 65 % der minderjährigen Befragten heben hervor, dass Anonymität für die Erkundung ihrer Sexualität wichtig ist (6 %: nicht wichtig).
  • Im Entwurf der EU-Verordnung zur Chatkontrolle ist vorgesehen, Minderjährige an der Installation von Apps zu hindern, die es ihnen ermöglichen, mit Erwachsenen zu kommunizieren (z. B. WhatsApp). 70 % der Minderjährigen lehnen diesen Vorschlag ab (6 % befürworten ihn). 78 % der Kinder erklären, es sei wichtig für sie, mit Erwachsenen zu kommunizieren (2 %: nicht wichtig). 93 % der minderjährigen Befragten geben an, dass sie wahrscheinlich oder mit Sicherheit einen Erwachsenen finden würden, um Apps zu registrieren, wenn dies nötig wäre, um Altersbeschränkungen zu umgehen.
  • Nur 1 % der Minderjährigen sind der Meinung, dass das Scannen der gesamten privaten Kommunikation auf schädliches Material das wirksamste und angemessenste Mittel ist, um sie vor Schaden im Internet zu schützen. Nur 3 % glauben, dass der Ausschluss Minderjähriger von der Nutzung von Kommunikations-Apps die beste Lösung ist. 28 % schlagen stattdessen vor, die Mechanismen zu verbessern, mit denen junge Menschen Fälle von Grooming melden können, und dafür zu sorgen, dass diesen Meldungen angemessen und wirksam nachgegangen wird. Und 51 % der Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass die Verbesserung der Medienkompetenz und die Schulung von Minderjährigen über Risiken und angemessene Reaktionen darauf der wirksamste Ansatz ist, um sie vor Schaden im Internet zu schützen.
  • Mädchen äußern ähnliche Ansichten wie Jungen, die Antworten hängen nicht wesentlich vom Geschlecht ab.

Auch EU-weit ergibt die Umfrage eine starke Ablehnung der geplanten Chatkontrolle durch Minderjährige (zu 66%), in deren Namen sie politisch vorangetrieben wird.

Über die Umfrage:

  • 8007 Minderjährige im Alter von 13 bis 17 Jahren wurden im Februar 2023 befragt
  • Teilnehmende Länder: Frankreich, Deutschland, Niederlande, Belgien, Tschechische Republik, Österreich, Schweden, Spanien, Italien, Polen, Ungarn, Slowakei, Griechenland
  • Die Umfrage wurde von den Abgeordneten der Piratenpartei im Europäischen Parlament Dr. Patrick Breyer, Marcel Kolaja, Markéta Gregorová, Mikuláš Peksa sowie von European Digital Rights (EDRi) in Auftrag gegeben
  • Datensatz der Umfrage hier

Der digitale Freiheitskämpfer und Europaabgeordnete der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer, Schattenberichterstatter seiner Fraktion im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (LIBE), kommentiert:

“Die Botschaft der Jugend an Chatkontrolle-Befürworterin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist klar: Nicht in unserem Namen! Junge Menschen wollen lernen sich wirksam gegen Internetrisiken zu verteidigen, statt dass ihre privaten Chats und intimen Fotos gescannt und an Unbekannte weitergeleitet werden. Kinder und Jugendliche fordern wirksame Meldemechanismen, anstatt bevormundet zu werden und von der Kommunikation mit Erwachsenen gänzlich ausgeschlossen zu werden. Kinder sind besonders anfällig für Verletzungen ihrer Privatsphäre, Anonymität und Sicherheit im Netz. Der extreme Vorstoß einer verdachtslosen Nachrichten- und Chatkontrolle verängstigt in Wahrheit die Kinder, in deren Namen er durchgeprügelt werden soll. Mit dem beschämenden Herumfaesern der Bundesregierung muss jetzt Schluss sein! SPD, Grüne und FDP im Bundestag müssen der drohenden Zerstörung des Briefgeheimnisses durch die Chatkontrolle endlich eine verbindliche Absage erteilen! Junge Menschen verdienen es, vor einer Zukunft nie gekannter Massenüberwachung geschützt zu werden.”

Anne Herpertz, Vorsitzende der Piratenpartei Deutschland, kommentiert:

„Die geplante Chatkontrolle wäre insbesondere für junge Menschen eine Katastrophe. Ihnen würde der Zugang zum Internet in seiner jetzigen Form nahezu verboten. Statt unverhältnismäßiger, teurer und technisch ohnehin nicht umsetzbarer Dauerüberwachung braucht es sinnvolle Maßnahmen: Stärkere Sensibilisierung, Kompetenzerwerb und Aufklärung in den Schulen wie auch zuhause. Unterstützungs- und Beratungsangebote. Effektive Strafverfolgung und Löschung problematischen Materials. Ich kann ganz persönlich sagen, wie froh und dankbar ich heute noch bin, dass ich mich in meiner Jugend frei und unbeobachtet im Netz bewegen konnte.“

Hintergrund:

Das EU-Parlament und die EU-Regierungen beraten derzeit hinter verschlossenen Türen die vorgeschlagene Verordnung zur Chatkontrolle. Heute lief im Europaparlament die Frist für die Fraktionen ab, im Binnenmarktausschuss (IMCO) Änderungsanträge einzureichen. Der sozialdemokratische IMCO-Berichterstatter Saliba will – wie Bundesinnenministerin Faeser – die Chatkontrolle mit einigen Ausnahmen umsetzen.

Am Morgen wurde eine Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten geleakt, derzufolge es nicht möglich sei, die unverhältnismäßige verdachtslose Chatkontrolle mithilfe von Auflagen und Begrenzungen zu rechtfertigen, so dass eine Aufhebung vor Gericht die Folge wäre.

Eine Umfrage aus dem Jahr 2021 hatte bereits ergeben, dass eine große Mehrheit der Erwachsenen in der Europäischen Union die Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Internet durch die automatische Durchsuchung aller persönlichen elektronischen Post und Nachrichten jedes Bürgers auf mutmaßlich verdächtige Inhalte ablehnt – darunter auch die Eltern von Kindern.

Weitere Informationen: www.chatkontrolle.de und chat-kontrolle.eu

Verwenden Sie gerne auch unsere Infografiken zu den Umfrageergebnissen.