Welttag der Verschlüsselung: Europaabgeordnete warnen vor EU-Angriff auf sichere Verschlüsselung und vertrauliche Nachrichten
Im Vorfeld des morgigen Welttags der Verschlüsselung (Global Encryption Day) schlagen Europaabgeordnete fast aller Fraktionen in einem parteiübergreifenden Brief an die Europäische Kommission Alarm: Der für den 1. Dezember von der Kommission angekündigte Gesetzentwurf zur verdachtslosen Nachrichten- und Chatkontrolle bedrohe sichere Verschlüsselung und die IT-Sicherheit allgemein.
Ähnlich der hochumstrittenen „SpyPhone“-Pläne des Apple-Konzerns will die EU-Kommission zum „Schutz von Kindern“ künftig alle Anbieter von Kommunikationsdiensten dazu zwingen, den Inhalt der gesamten Kommunikation aller Bürger:innen anlasslos zu überwachen und zu scannen – selbst wo diese bisher sicher Ende-zu-Ende verschlüsselt ist. „Die Sicherheit von Personen (z. B. Zeugen, Beamte) hängt von einer sicheren Verschlüsselung ab, die ihre vertrauliche Kommunikation schützt“, appellieren die Europaabgeordneten an die zuständigen EU-Kommissar:innen Margrethe Vestager, Margaritis Schinas, Věra Jourová, Thierry Breton, Didier Reynders und Ylva Johansson. „Hintertüren können und werden von Kriminellen, ausländischen Geheimdiensten Geheimdiensten und Kräften missbraucht werden, die unsere Gesellschaft destabilisieren wollen.“ Die geplante Massenüberwachung privater Korrespondenz werde „zu weit verbreiteter Unsicherheit, Misstrauen und Unruhe unter Bürgern und Unternehmen führen, bevor sie höchstwahrscheinlich vom EuGH im Lichte seiner Rechtsprechung annulliert wird.“
Die Abgeordneten (darunter Patrick Breyer, Piratenpartei; Svenja Hahn und Moritz Körner, FDP; Petra Kammerevert, SPD und Cornelia Ernst, Linke) zitieren eine bisher unbekannte Analyse der Dienste des Deutschen Bundestages, in der es heißt: „Die latente Dauergefahr der Begehung von (auch schwerwiegenden) Straftaten dürfte daher zur Rechtfertigung einer ständigen und umfassenden automatisierten Analyse wohl nicht genügen.“ Das Vorhaben hätte außerdem schwerwiegende Auswirkungen auf die Grundrechte der Bürger:innen, die digitale Technologie und Infrastruktur sowie die Wirtschaft. In einem im März veröffentlichten Gutachten hatte bereits eine ehemalige EuGH-Richterin aufgezeigt, dass die anlasslose Durchleuchtung privater Nachrichten gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verstößt. Die Abgeordneten zitieren auch die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung der EU-Kommission, derzufolge 80% eine flächendeckende Überwachung verschlüsselter Nachrichten ablehnen.
Der Europaabgeordnete und Bürgerrechtler Dr. Patrick Breyer kommentiert:
„Die haarsträubenden Pläne zur totalen Durchleuchtung unserer privaten Kommunikation mit fehleranfälligen Denunziationsmaschinen führen in eine Sackgasse und haben vor Gericht keine Chance. Eine wahllose Suche ins Blaue hinein ist der falsche Weg zum Schutz von Kindern und gefährdet diese sogar, indem ihre privaten Aufnahmen in die falschen Hände geraten und Kinder vielfach kriminalisiert werden.
Mit ihren Plänen zum Brechen sicherer Verschlüsselung setzt die EU-Kommission aus kurzfristigen Überwachungswünschen heraus sogar die allgemeine Sicherheit unserer privaten Kommunikation und öffentlicher Netze, Geschäftsgeheimnisse und Staatsgeheimnisse aufs Spiel. Ausländischen Geheimdiensten und Hackern Tür und Tor zu öffnen, ist völlig unverantwortlich.“
Hintergrund:
Die im August angekündigten Pläne von Apple, persönliche Fotos wahllos nach verdächtigen Inhalten zu durchsuchen führten zu einem öffentlichen Aufschrei. Mehr als 90 Organisationen forderten das Unternehmen auf, die Pläne zu verwerfen. Vor kurzem warnten auch international führende IT-Sicherheitsexperten vor dem Vorhaben: “Der Vorschlag, sämtliche Endgeräte präventiv nach bestimmten Inhalten zu durchsuchen, ist wesentlich heimtückischer als frühere Vorschläge zur Schlüsselhinterlegung und Sonderzugriff. Anstatt gezielter Befugnisse wie Telekommunikationsüberwachung oder Datenträgerauswertung wollen die Behörden, dass die privaten Daten aller Bürger massenhaft gescannt werden, und zwar unterschiedslos, ohne richterliche Anordnung oder Verdacht.” Apple hat seine Pläne schließlich vorerst auf Eis gelegt.
Die Europaabgeordneten warnen, die Kommissionspläne würden einen ähnlichen Proteststurm auslösen. Die Anbieter müssten eine Hintertür in ihre Software einbauen (“client-side scanning”), um eine solche Überwachung zu ermöglichen. Die Einführung einer Routine für die automatische Meldung verdächtiger Kommunikationsinhalte im Falle eines Treffers würde die sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung insgesamt aushebeln und die damit verbundene Sicherheit und das Vertrauen in digitale Kommunikationsinfrastruktur beseitigen. Privatpersonen, Unternehmen und Behörden verließen sich auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, um ihre persönlichen, geschäftlichen und staatlichen Geheimnisse zu schützen.
Mehr Informationen zur Chatkontrolle
Kommentare
Verglichen mit den EU-Plänen ist die Welt von Orwells “1984” direkt nostalgisch und heimelig!
Damit ist JEDER Bürger von vornherein zum Verbrecher gestempelt.
Dann wird es Massenverhaftungen und -verhöre, vielleicht sogar mit Folter geben, gegen die die Praktiken Chinas direkt harmlos sind!