231.000 Euro verfassungswidrige Funktionszulagen für Schleswig-Holstein zurückholen!
Der schleswig-holsteinische Landtag zahlt seinen sechs Parlamentarischen Geschäftsführern eine 45%-ige Zulage auf die ohnehin schon zweithöchste Landtagsabgeordnetendiät Deutschlands (7.151,24 Euro monatlich). Dabei hat das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren entschieden, dass eine “Funktionszulage nur für Fraktionsvorsitzende zulässig” ist (auch diese Zulage halte ich politisch für nicht gerechtfertigt – Fraktionsvorsitzende verdienen damit inzwischen mehr als der Ministerpräsident!). Dem Land entsteht allein durch die verfassungswidrigen Geschäftsführerzulagen ein Schaden von 231.000 Euro jährlich – Geld, das den Bürgern etwa zum Erhalt der von Schließung bedrohten Verbraucherzentrale Heide, aber auch in Schulen oder in Beratungsstellen fehlt.
Infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts setzte der Präsident des schleswig-holsteinischen Landtags eine handverlesene Kommission ein, die sich trotz des eindeutigen Urteilsspruchs für eine Beibehaltung der verfassungswidrigen Geschäftsführerzulagen aussprach. Begründung: Man sei anderer Auffassung als das Bundesverfassungsgericht. Dem hat sich der Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD angeschlossen (gegen FDP, Grüne und SSW). Es ist kaum zu glauben, dass der Landtag als Verfassungsorgan die verbindliche Verfassungsinterpretation des Bundesverfassungsgerichts vorsätzlich missachtet hat.
Noch schwerer zu glauben ist der Vorgang, wenn man berücksichtigt, dass der schleswig-holsteinische Landtag seinerzeit eigens einen Hochschullehrer beauftragt hatte, um die Zahlung von Funktionszulagen an Abgeordnete vor dem Bundesverfassungsgericht zu verteidigen. Wie sich aus dem hier erstmals veröffentlichten Schriftsatz (pdf) ergibt, hat der Landtag die später im Kommissionsbericht angeführten Argumente bereits 1992 vor dem Bundesverfassungsgericht vorgebracht – ohne Erfolg: Das Gericht folgte der Argumentation des Landtags nicht und stellte im Jahr 2000 einen Verstoß von Geschäftsführerzulagen gegen das Recht aller Abgeordneten auf Gleichbehandlung fest. Nachdem der Landtag mit seinen Argumenten in Karlsruhe unterlegen war, ist es ein skandalöser Verfassungsbruch, dass er an seiner Auffassung hinsichtlich der Geschäftsführerzulagen gleichwohl unverändert festgehalten hat.
Sich rechtswidrig zu bereichern, hat in Schleswig-Holstein leider Tradition: Schon im berühmten Diäten-Urteil aus dem Jahr 1975 hatte das Bundesverfassungsgericht Funktionszulagen – außer für Parlamentspräsidenten – für verfassungswidrig erklärt. Der schleswig-holsteinische Landtag hat daraufhin zum bewährten Mittel einer ausgewählten Sachverständigenkommission gegriffen, welche “abweichend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts … zusätzliche Entschädigungen für die Ausübung besonderer parlamentarischer Funktionen für gerechtfertigt” erklärte. Der gesamte Landtag, damals bestehend aus CDU, SPD und SSW, schloss sich dem an (bei drei Enthaltungen). Angesichts dieser Machenschaften verwundert das geringe Ansehen von Politikern nicht.
Wir PIRATEN haben jetzt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes angefordert. Sobald dieses vorliegt, werden wir im Finanzausschuss die übrigen Fraktionen auffordern, einer Abschaffung der verfassungswidrigen Zulagen zuzustimmen. Geschieht dies nicht, werden wir Klage zum Landesverfassungsgericht erheben. So werden wir im Land dringend gebrauchte 231.000 Euro verfassungswidrige Funktionszulagen jährlich zurückholen. In der Zwischenzeit bis zur Klärung zahlt unser parlamentarischer Geschäftsführer seine Zulage auf ein Anderkonto ein, um sie bei Erfolg der Klage an das Land zurückzuzahlen.
Ein Gutachten des parlamentarischen Beratungsdienstes in Brandenburg hat neuerdings bestätigt, dass die bisherige Zulagenpraxis dem Grundgesetz widerspricht. Daraufhin hat ein brandenburgischer Abgeordneter bereits Klage erhoben.
Ich hoffe, in Schleswig-Holstein wird die Einsicht der übrigen Fraktionen eine Klage entbehrlich machen. Immerhin hat die neue Landesregierung die Ministerbezüge gekürzt (wenngleich die Einsparungen durch die unnötige Schaffung eines zusätzlichen Staatssekretärspostens konterkariert wurden). Angesichts der anstehenden harten Kürzungen im Land muss die Politik mit gutem Beispiel voran gehen. Die Vorschläge der Etablierten zur Fraktionsfinanzierung lassen leider das Gegenteil befürchten.
Ergänzung vom 24.02.2013: Die Klage vor dem Brandenburgischen Verfassungsgerichtshof hatte keinen Erfolg, weil sie zu spät eingereicht wurde.
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