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Antragsentwurf: Generalangriff auf freie WLAN-Netzwerke und Filehoster stoppen: Verschärfung der Störerhaftung verhindern

Anträge Landtag
Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich unverzüglich gegenüber der Bundesregierung und zu gegebener Zeit über den Bundesrat dafür einzusetzen, dass
  • Anbieter von WLAN-Internetzugängen, Durchleitungs- und Speicherdiensten keine Rechtsverletzungen verhindern müssen, für die sie nicht verantwortlich sind („Störerhaftung“), wobei die Haftungsfreistellung von WLAN-Anbietern nicht von der Erfüllung von Verschlüsselungs-, Warn-, Identifizierungs- oder sonstigen Vorsorgepflichten abhängig gemacht werden darf,
  • Anbieter von Speicherdiensten nur bereits vorhandene rechtsverletzende Inhalte, von denen sie Kenntnis haben, entfernen oder sperren müssen und nicht mögliche zukünftige rechtsverletzende Inhalte ihrer Nutzer verhindern müssen (Ausschluss privatpolizeilicher Überwachungspflichten), wobei insbesondere das Konzept “besonders gefahrgeneigter Dienste” abzulehnen ist.
Begründung:
Das Internet ist aus dem täglichen Leben der meisten Schleswig-Holsteiner nicht mehr wegzudenken. Es gibt vielfältige private, ehrenamtliche und politische Bemühungen, die Internetversorgung des Landes mithilfe öffentlicher WLAN-Hotspots zu verbessern. Schleswig-Holstein hat etwa eine aktive Freifunk-Community (z.B. in Flensburg, Kiel, Lübeck), die daran arbeitet, Schleswig-Holstein möglichst flächendeckend mit WLAN zu versorgen. Dies etabliert ein Netzwerk von technisch Interessierten und stärkt den Zusammenhalt der Menschen in den Gemeinden. Es unterstützt die Wirtschaftskraft des Landes und reduziert die Abhängigkeit der Städte und Gemeinden von privaten Anbietern. Gäste aus dem Ausland können ohne WLAN in der Regel nicht ohne erhebliche Kosten auf mobiles Internet zugreifen. Sowohl der Tourismus als auch die IT- und Medienbranche in Schleswig-Holstein gehören zu den wirtschaftsstarken Bereichen.
Die ausufernde richterrechtlich entwickelte “Störerhaftung” sowie die daraus abgeleiteten  Überwachungs- und Kontrollpflichten schränken jedoch die Verfügbarkeit öffentlicher Internetzugänge (WLAN-Hotspots) unzumutbar ein und behindern damit die Entwicklung der telekommunikativen Infrastruktur. Auf Klage eines Mitglieds der Piratenpartei wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) demnächst über ihre Zulässigkeit entscheiden (Az. C-484/14). Im Bereich von Telemediendiensten im Internet führt die Störerhaftung zu ungenauen Filterungen, Löschungen und Sperrungen im Internet und beeinträchtigt damit die Meinungs- und Informationsfreiheit der Nutzer unzumutbar. Telemedienanbieter reagieren teilweise mit einer Abwanderung in Staaten mit ausgewogeneren Haftungsregelungen, was die wirtschaftliche Entwicklung Schleswig-Holsteins und Deutschlands insgesamt schädigt, ohne Rechtsverletzungen effektiv zu verhindern.
Der vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte und vielfach kritisierte (siehe http://freifunkstattangst.de/2015/04/13/nur-kritische-stimmen-bisher-veroeffentlichte-stellungnahmen-zur-geplanten-aenderung-des-telemediengesetzes/ ) Referentenentwurf eines Zweiten Telemedienänderungsgesetzes stellt das rechtssichere Angebot von WLAN-Hotspots und Internet-Filehosting weiter in Frage und droht zur gänzlichen Einstellung vieler solcher Dienste zu führen. Insbesondere bedroht er ehrenamtlich betriebene Freifunk-Hotspots in ihrer Existenz:
  • Anbieter von WLAN-Hotspots sollen nach dem Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums künftig Rechtsverletzungen der Internetnutzer (insbesondere Filesharing) entgegenwirken, um vor Abmahnungen geschützt zu sein. Hotspot-Anbieter leiten jedoch bloß Daten durch, die sie wegen des Fernmeldegeheimnisses nicht zur Kenntnis nehmen dürfen. Der freie Informationsaustausch über das Internet darf in einer Demokratie nicht als als “Gefahrenquelle” angesehen werden. Informationsaustausch macht den Menschen aus. Anbieter öffentlicher WLAN-Internetzugänge dürfen für einen Missbrauch ihrer Dienste ebenso wenig verantwortlich gemacht werden wie Anbieter öffentlicher Telefonzellen. Dementsprechend müssen Anbieter von WLAN-Internetzugängen, Durchleitungs- und Speicherdiensten davon befreit werden, Rechtsverletzungen verhindern zu müssen, für die sie nicht verantwortlich sind (“Störerhaftung”).
  • Anbieter von WLAN-Hotspots sollen nach dem Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums künftig durch Zugangsbeschränkung “den unberechtigten Zugriff auf das drahtlose lokale Funknetz durch außenstehende Dritte” verhindern. Dadurch würden öffentlich zugängliche Hotspots in Deutschland unmöglich. Bei offenem WLAN gibt es keine unberechtigten Nutzer und deswegen bisher auch keine Zugangsbeschränkung. Diese Maßnahme taugt nicht zum Schutz vor Rechtsverletzungen, weil derselbe Zugangscode an alle Nutzer herausgegeben werden könnte. Außerdem müssten nach dieser Logik auch Telefonzellen verboten werden, weil auch telefonisch Rechtsverletzungen möglich sind (z.B. Beleidigung, Erpressung, Bedrohung). Deswegen darf die Haftungsfreistellung von WLAN-Anbietern nicht von der Erfüllung von Verschlüsselungs- oder sonstigen Vorsorgepflichten abhängig gemacht werden.
  • Anbieter von WLAN-Hotspots sollen sich nach dem Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums künftig von Nutzern bestätigen lassen, dass sie keine Rechtsverletzungen begehen werden. Nur kommerzielle WLAN-Anbieter werden jedoch technisch in der Lage sein, eine solche Abfrage einzurichten. Ehrenamtliche und kostenlose Freifunk-Internetzugänge sind dagegen existenzbedroht. Manche Geräte ohne Browser funktionieren mit “Vorschaltseiten” zudem nicht. Auch diese Maßnahme verhindert keine Rechtsverletzungen. Deswegen darf die Haftungsfreistellung von WLAN-Anbietern nicht von der Erfüllung von Warnpflichten abhängig gemacht werden.
  • “Gelegentliche” Anbieter von WLAN-Hotspots (insbesondere Privatpersonen) sollen nach dem Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums die Namen der Nutzer kennen müssen. Diese Identifizierungsobliegenheit würde öffentliche Internetzugänge unmöglich machen. Es gibt keinen tragfähigen Grund dafür, warum “gelegentliche” Hotspot-Anbieter ihre Nutzer kennen sollten, dauerhafte Anbieter aber nicht. Dass professionelle Anbieter  Rechtsverletzer von der Nutzung eines WLAN-Hotspots ausschließen könnten, wie die Verfasser des Gesetzentwurfs meinen, ist realitätsfremd, weil Betreiber nicht wissen (und wegen des Fernmeldegeheimnisses nicht wissen dürfen), wer was im Internet macht. Außerdem schützt es nicht vor Rechtsverletzungen, diverse Nutzer zu kennen, die  gleichermaßen als Verursacher einer Rechtsverletzung in Frage kommen. Deswegen darf die Haftungsfreistellung von WLAN-Anbietern nicht von der Erfüllung von Identifizierungspflichten abhängig gemacht werden.
  • Anbieter von Speicherplatz im Netz (Hoster) sollen künftig nicht mehr von Schadensersatzansprüchen und der strafrechtlichen Verantwortung für Rechtsverletzungen ihrer Nutzer freigehalten werden, wenn ihr Angebot “weit überwiegend” rechtswidrig genutzt wird (insbesondere zum Filesharing) oder sonst “besonders gefahrgeneigt” ist. Anbieter von Speicherplatz wissen jedoch nicht, was ihre Nutzer speichern und ob die Inhalte rechtswidrig sind. Die beabsichtigte Regelung verstößt gegen EU-Recht. Außerdem schießt sie über das Ziel hinaus, denn sie erfasst auch nicht-kommerzielle Anbieter, die kein “Geschäftsmodell” verfolgen. Schließlich ist die Regelung unwirksam, weil Filehosting-Anbieter einfach ins Ausland umziehen werden, wo das Gesetz nicht gilt. Deshalb ist das Konzept “besonders gefahrgeneigter Dienste” abzulehnen. 
  • Umgekehrt bedarf es der Klarstellung, dass Anbieter von Speicherdiensten nur bereits vorhandene rechtsverletzende Inhalte, von denen sie Kenntnis haben, entfernen oder sperren müssen und nicht mögliche zukünftige rechtsverletzende Inhalte ihrer Nutzer verhindern müssen. In einem freiheitlichen Rechtsstaat kann es nicht Sache privater Anbieter sein, die Internetnutzung der Bürger vorsorglich auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren oder zu filtern, um Rechtsverletzungen nach Möglichkeit zu verhindern. Die Verantwortlichkeit technischer Dienstleister muss sich vielmehr auf die Entfernung oder Sperrung vorhandener rechtswidriger Informationen beschränken. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung müssen die ausgewogenen Verantwortlichkeitsregelungen des Telemediengesetzes künftig auch Unterlassungsansprüche begrenzen.
Einen konkreten Formulierungsvorschlag zur Änderung des Telemediengesetzes haben Datenschutzverbände, Bürgerrechtsorganisationen und Verbraucherzentrale vorgelegt (aktualisierte Fassung 2012: http://www.datenspeicherung.de/wp-content/uploads/Forderungen_Telemedienrecht_2012.pdf).

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