BGH: Keine anonymisierten Urteile für Verbraucher [ergänzt am 18.10.2018]
Anders als die Presse haben Bürger grundsätzlich keinen Anspruch auf Herausgabe anonymisierter Gerichtsentscheidungen. Dies gelte selbst dann, wenn eine Entscheidung der amtlichen Publikationspflicht unterliege. So hat es der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf Antrag des Bürgerrechtlers Patrick Breyer (Piratenpartei) am 20. Juni 2018 entschieden und erst jetzt bekannt gegeben (Az. 5 AR (Vs) 112/17). Ob sich aus Informationsfreiheitsrecht ein Einsichtsrecht ergebe, ließen die Richter offen.[1]
“Eine derartige Intransparenz der Justiz ist nicht zeitgemäß”, kritisiert Breyer die Entscheidung. “Wenn unsere Gerichte im Namen des Volkes urteilen, sind sie dem Bürger auch Rechenschaft schuldig. In einem Rechtsstaat muss jeder Bürger seine Rechte und Pflichten in Erfahrung bringen können. Auch eine kritische Diskussion von Urteilen setzt voraus, dass sie auf Anfrage anonymisiert herausgegeben werden. Die Bundesjustizministerin sollte jetzt umgehend eine gesetzliche Regelung der Publikationspflicht der Gerichte und des Zugangsanspruchs der Öffentlichkeit auf den Weg bringen.”
Vorausgegangen war dem Verfahren, dass Breyer als Landtagsabgeordneter im vergangenen Jahr den Vorwurf aufdeckte, dass Kieler Kriminalbeamte in einem Strafverfahren gegen Rocker entlastende Aussagen unterdrückt haben sollen (“Rocker-Affäre”).[2] Seither versucht er, Zugang zu dem in diesem Prozess ergangenen Urteil zu erhalten.
Nach Ansicht Breyers verkennt der 5. Strafsenat das Grundrecht jedes Bürgers auf Informationsfreiheit aus Artikel 5 des Grundgesetzes. Dieses schützt den Zugang zu allen öffentlich zugänglich zu machenden Quellen [3] und damit auch zu publikationspflichtigen Gerichtsentscheidungen. Der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte noch im vergangenen Jahr entschieden, dass für die Anforderung anonymisierter Gerichtsentscheidungen nicht die hohen Anforderungen einer Einsichtnahme in Gerichtsakten gelten.[4] Davon, so Breyer, hätte der 5.Strafsenat nicht ohne interne Klärung abweichen dürfen. Nach dem negativen Beschluss des BGH soll nun das Amtsgericht Kiel abschließend über Breyers Einsichtsantrag entscheiden.
Zur Person: Patrick Breyer ist Jurist und Spitzenkandidat der Piratenpartei zur Europawahl 2019. Er engagiert sich seit Jahren für eine transparentere Justiz. Auf seine Klage verurteilte der EuGH die EU-Kommission 2017, gerichtliche Schriftsätze öffentlich zugänglich zu machen (Az. C-213/15 P).
Im Wortlaut:
Breyers Begründung seiner Rechtsbeschwerde
Breyers Erwiderung auf den Generalbundesanwalt
Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20.06.2018
Nachweise:
[1] Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.06.2018, Az. 5 AR (Vs) 112/17
[2] Kieler Landeskriminalamt soll entlastende Aussage unterdrückt und gewissenhafte Kriminalbeamte geschasst haben
[3] Bundesverfassungsgericht vom 20. Juni 2017, Az. 1 BvR 1978/13, Rn. 20
[4] Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.04.2017, Az. IV AR (VZ) 2/16
Ergänzung vom 31.08.2018:
Medienberichte:
- F.A.Z. Einspruch: Kein Urteil an „Jedermann“
- LTO: Im Namen, aber nicht für die Augen des Volkes
- Stellungnahme von OPENLEGALDATA.IO
Ergänzung vom 18.10.2018:
Kommentare
BGH: Keine anonymisierten Urteile für Verbraucher http://www.patrick-breyer.de/?p=573821
Gibt es in dieser Sache Neuigkeiten? Ist ein Verfahren beim BVerfG anhängig?
Was ist aus der Beschwerde zum Aktenzeichen 43 Gs 4924/18 beim Amtsgericht Kiel geworden?
Liegt inzwischen beim Landgericht, ich frage einmal nach