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Gutachten des EU-Ministerrats: Verdachtslose Chatkontrolle ist zum Scheitern verurteilt

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Das offizielle Gutachten des Juristischen Dienstes des EU-Ministerrats über die Rechtmäßigkeit der vorgeschlagenen Verordnung über sexuellen Kindesmissbrauch (CSAR), auch Chatkontrolle genannt, wurde geleakt. Es stellt fest, dass die geplante verdachtslose Chatkontrolle samt Ausleitung an eine EU-Behörde grundrechtswidrig ist. Die Experten machen deutlich, dass “wenn der Gerichtshof die Durchsuchung von Metadaten der Kommunikation nur zum Zweck des Schutzes der nationalen Sicherheit für verhältnismäßig hält, ist es eher unwahrscheinlich, dass eine ähnliche Durchsuchung des Inhalts der Kommunikation zum Zweck der Bekämpfung der Straftat des sexuellen Kindesmissbrauchs für verhältnismäßig gehalten würde.”

Zudem heißt es in dem Gutachten: “Sollte der Rat beschließen, die zwischenmenschliche Kommunikation zum Gegenstand von Aufdeckungsanordnungen zu machen, sollte die Regelung so ausgerichtet sein, dass sie für Personen gilt, bei denen hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, dass sie in irgendeiner Weise an einer Straftat des sexuellen Missbrauchs von Kindern beteiligt sind, eine solche begehen oder begangen haben…” (Abs. 79). Dies deckt sich mit der jüngsten Bewertung des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments (EPRS) für den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten. Ausweislich eines aktuellen Kompromissvorschlags der Ratspräsidentschaft halten die EU-Regierungen bisher unverändert an verdachtslosen und massenhaften Nachrichten- und Chatkontrollen fest.

Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer, Schattenberichterstatter (Verhandlungsführer) seiner Fraktion im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (LIBE) und langjähriger Gegner der Chatkontrolle, kommentiert:

„Nach der vernichtenden Kritik der eigenen Berater wird es zunehmend einsam um Bundesüberwachungsministerin Faeser, die illegale verdachtslose Chatkontrollen bei unverschlüsselten E-Mails, Nachrichten und Chats ausdrücklich unterstützt. Ihre Position ist mit dem offiziellen Ratsgutachten endgültig unhaltbar geworden, denn niemand hilft Kindern mit einer Verordnung, die unweigerlich vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern wird. Die Flut an meist falschen Verdachtsmeldungen würden außerdem effektive Ermittlungen erschweren, Kinder massenhaft kriminalisieren und an den eigentlichen Missbrauchstätern und Produzenten solchen Materials vorbei gehen.

Faeser muss jetzt eine 180 Grad-Wende hinlegen und die dystopischen Pläne zur Chatkontrolle stoppen, von denen von denen sie jetzt weiß, dass sie grundrechtswidrig sind! Auch genereller Altersverifikation muss die Bundesregierung als Angriff auf das Recht auf anonyme Kommunikation eine Absage erteilen. Frau Faeser, wenn Sie schon den Koalitionsvertrag mit Füßen treten, respektieren Sie unsere Grundrechte, auf die Sie Ihren Amtseid geschworen haben!

Was wir anstelle totalitärer Chatkontrolle und Ausweispflichten wirklich brauchen, ist eine sichere Gestaltung von Kommunikationsdiensten nach dem Grundsatz ‘safety by design’ sowie europaweite Standards für wirksame Präventionsmaßnahmen, Opferhilfe und -beratung und zeitnahe strafrechtliche Ermittlungen.“

Weitere Zitate aus der Ratsanalyse:

  • “Es besteht das ernsthafte Risiko, dass die Aufdeckungsanordnungen, um wirksam zu sein, auf andere Anbieter ausgeweitet werden müssten und de facto zu einer permanenten Überwachung der gesamten zwischenmenschlichen Kommunikation führen würden.” (Abs. 46)
  • Die Analyse des Rates warnt, dass durch allgemeinen Zugriff auf die persönliche Kommunikation von Bürgern, die nicht einmal im Entferntesten mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern in Verbindung stehen, “das Recht auf Vertraulichkeit der Kommunikation ineffektiv und inhaltsleer werden” würde und die Gesetzgebung den Kerngehalt des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens” zu verletzen drohe (Abs. 56).
  • Sie weist darauf hin, dass die vorgeschlagenen “Ermittlungsanordnungen”, die sich an alle Nutzer eines Telefon-, E-Mail, Messenger- oder Chat-Dienstes oder eines “Teils oder einer Komponente” eines Dienstes richten sollen, “höchstwahrscheinlich” eine “allgemeine und wahllose” Überwachung darstellen (Abs. 47), die der Europäische Gerichtshof immer wieder als grundrechtswidrig zurückgewiesen hat. Die Expertise widerspricht damit den Beteuerungen der EU-Kommission und des Berichterstatters des Parlaments, dass solche Anordnungen “gezielt” seien.
  • Bezüglich der vorgeschlagenen Altersüberprüfung für E-Mail-, Messaging- und Chat-Dienste warnen die Experten, dass die Altersüberprüfung “zwangsläufig eine weitere Ebene des Eingriffs in die Rechte und Freiheiten der Nutzer” darstellen würde. “Ein solcher Prozess [Altersüberprüfung] müsste entweder durch (i) die massenhafte Erstellung von Nutzerprofilen oder (ii) die biometrische Analyse des Gesichts und/oder der Stimme des Nutzers oder durch (iii) digitale Identifizierungs-/Zertifizierungssysteme umgesetzt werden.”

Das Rechtsgutachten wurde in der Arbeitsgruppe des EU-Rates am 27. April diskutiert und könnte Mitte Mai auf der Ebene der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten diskutiert werden. Die schwedische Ratspräsidentschaft schlug kürzlich vor, der verdachtslosen Chatkontrolle (Artikel 7) unverändert zuzustimmen. Auch nachdem sie von den rechtlichen Grenzen erfahren haben, scheinen einige Regierungen nicht bereit, den Vorschlag mit den Grundrechten in Einklang zu bringen. In einem durchgesickerten Positionspapier, das einen Tag nach der Übermittlung des Rechtsgutachtens versandt wurde, nahmen 10 Länder – darunter die nächste EU-Ratspräsidentschaft Spanien – die extreme Position ein, den ursprünglichen Vorschlag der Kommission ohne wesentliche Änderungen zu unterstützen, einschließlich der Forderung zur Aushebelung bisher sicherer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.