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Schleswig-Holstein will Korruption und Polizeigewalt geheim halten [ergänzt am 27.08.2017]

Anfragen Freiheit, Demokratie und Transparenz Juristisches Landtag

In Schleswig-Holstein sind in den letzten Jahren mehrere Strafverfahren gegen Amtsträger wegen des Verdachts von Korruption oder Polizeigewalt geführt und teilweise auch mit einer Verurteilung abgeschlossen worden. Das Justizministerium will jedoch geheim halten, welche Taten den Amtsträgern konkret zur Last gelegt wurden bzw. zur Last fallen und verweigert inzwischen sogar die Nennung der Aktenzeichen der Strafverfahren.
Erster Akt: Auf meine Anfrage teilt das Innenministerium mit, im Zeitraum 2007-2012 seien 87 Personen in Schleswig-Holstein wegen Korruption verurteilt worden – teilweise sogar durch die Große Strafkammer des Landgerichts. Die Aktenzeichen wurden mitgeteilt. Bei der Staatsanwaltschaft Kiel forderte ich einige der rechtskräftigen Urteile und Strafbefehle in anonymisierter Form an, um überprüfen zu können, ob strukturelle Mängel Korruption begünstigen und politischen Handlungsbedarf begründen. Doch die Staatsanwaltschaft meint, ich hätte kein berechtigtes Interesse. Auf meine Beschwerde an das Justizministerium bestätigt dieses die Ablehnung und bietet mir lediglich Akteneinsicht an, ohne dass ich Kopien machen dürfte. Offensichtlich will man verhindern, dass die rechtskräftigen Verurteilungen an die Öffentlichkeit gelangen. Ich lasse mir das nicht bieten und habe nun eine gerichtliche Entscheidung beantragt (AG Kiel, Az. 43 Gs 4955/15). Parlament und Öffentlichkeit haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Fälle und Strukturen von Korruption es in Schleswig-Holstein gibt. Es gilt, das Vertrauen in die Integrität des öffentlichen Dienstes zu schützen.
Zweiter Akt: Auf unsere Anfrage teilt das Innenministerium mit, im Zeitraum 2009-2014 seien 9 Vorwürfe von Körperverletzung im Amt gegen Polizeibeamte von der Justiz geprüft worden. Mehrere Verfahren seien gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden; in einem Fall sei eine Verurteilung erfolgt (nicht rechtskräftig). Welche Sachverhalte diesen Entscheidungen zugrunde lagen, wird nicht mitgeteilt. Und diesmal verweigert das Justizministerium bereits die Mitteilung der Aktenzeichen, mit deren Hilfe ich bei der Justiz um Übersendung anonymisierter Entscheidungsabschriften bitten könnte. Begründung des Staatssekretärs im Justizministerium:

mit Ihrem E-Mail-Schreiben vom 28. Februar 2015 haben Sie um Mitteilung der Aktenzeichen ersucht, um in einem zweiten Schritt eine anonymisierte Fassung des jeweiligen Einstellungsbescheids/Urteils zu erfordern. Angesichts dieser Zielrichtung vermag ich Ihrem Anliegen derzeit nicht zu entsprechen.
Für die Landesregierung besteht nach meiner Auffassung keine Verpflichtung zur Übersendung von Urteilsabschriften/Einstellungsbescheiden, auch nicht in anonymisierter Form. Eine Anonymisierung von gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen würde überdies die Grenze des zumutbaren Aufwandes deutlich überschreiten, so dass eine Beeinträchtigung der regulären Dienstgeschäfte im Geschäftsbereich des Ministeriums zu besorgen wäre.

Wiederum bietet man mir lediglich Akteneinsicht an, ohne dass ich Kopien machen dürfte. Wieder will man verhindern, dass die Entscheidungen der Justiz an die Öffentlichkeit gelangen – wohlgemerkt: es geht um den Vorwurf von Gewaltdelikten seitens Polizeiangehörigen. Ich will mir das nicht bieten lassen und bereite eine weitere Anfrage vor. Parlament und Öffentlichkeit haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Vorwürfe von Polizeigewalt es in Schleswig-Holstein gibt und welche Konsequenzen sie haben. Auch wenn die Vorwürfe vereinzelt bleiben, müssen Parlament und Öffentlichkeit sich davon überzeugen können, dass sie konsequent und angemessen verfolgt und geahndet werden. Es gilt, das Vertrauen in die Polizei zu schützen.
Foto: Rumtreibär, Lizenz: CC BY-ND 2.0 DE
Ergänzung vom 02.04.2016: Zu den strafrechtlichen Vorwürfen gegen Polizeibeamte sind jetzt doch die Aktenzeichen mitgeteilt worden. Ob ich allerdings anonymisierte Urteilsabschriften bekomme, ist vor Gericht noch nicht abschließend geklärt.
Ergänzung vom 27.08.2017: Amtsgericht und Landgericht Kiel sind gegen die Weigerung der Urteilsherausgabe durch die Staatsanwaltschaft Kiel nicht eingeschritten. Das Landgericht Kiel zeigt immerhin einen möglichen Ausweg auf (Beschluss vom 27.02.2017 zum Az. 3 Qs 27/16):

Zwar ist im Grundsatz davon auszugehen, dass sich aus der Verfassung eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen für die Gerichtsverwaltungen ergibt (BVerwG NJW 1997, 2694). Danach gilt, dass die Gerichtsverwaltungen – unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Prozessparteien – ihre Entscheidungen in anonymisierter Form der Öffentlichkeit (u.U. auch Einzelpersonen) ohne weiteres zur Verfügung stellen dürfen bzw. müssen (vgl. OLG Frankfurt, Az. 20 VA 14/15 v. 11.02.2016, zit. Nach juris). lm Falle einer ablehnenden Entscheidung ist hier jedoch der zulässige Rechtsweg nach § 23 EGGVG eröffnet. Bei dem betr. Bescheid handelt es sich um eine Maßnahme der Justizbehörde im Sinne der genannten Vorschrift, sodass der Antragsteller auf diesen Rechtsweg zu verweisen ist.

Kommentare

3 Kommentare
  • Thomas

    So wenig ich persönlich die Piratenpartei “mag”, finde ich es aber dennoch bemerkenswert und toll, dass Sie sich um solche Dinge kümmern.
    Zu oft wird Derartiges vernachlässigt und/oder kleingeredet. Dennoch spielt Transparenz für eine funktionierende Demokratie eine immens wichtige Rolle. Es wundert dann schon, wenn ein Staat nicht einmal anonymisiert solche Unterlagen herausrücken möchte, andererseits aber in der Öffentlichkeit vieles schön geredet wird.
    Was ist denn so schlimm daran, wenn ein Polizist unter zigtausenden korrupt ist? Solange er dafür bestraft wird (was ja das Funktionieren der Demokratie bestätigt), wird dadurch ja nicht das Image der Polizei betroffen; überall, wo es Menschen gibt, gibt es Straftäter: bei der Polizei, in der Politik, in Unternehmen, Vereinen, usw.
    Aber wie Sie zu Recht sagen: Womöglich muss man politisch gegensteuern – und das geht nur, wenn Sie als Politiker davon wissen.
    Daher nochmals: Hut ab (ich werde Sie aber trotzdem nicht wählen ;-)) und viel Durchhaltevermögen! Auf Ihren späteren Bericht bin ich gespannt.

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