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Stigmatisierende Polizei-Hinweise: Schleswig-Holstein erneut deutscher Meister in Intransparenz

Anfragen Freiheit, Demokratie und Transparenz Juristisches Landtag

Über 1,5 Mio. Bürger bundesweit sind von der Polizei z.B. als “geisteskrank”, “Ansteckungsgefahr”, “Betäubungsmittel-Konsument” oder “Straftäter links” gespeichert – selbst wenn sie nie vor Gericht verurteilt wurden. Diese sogenannten “personengebundenen Hinweise” werden der Polizei bei Kontrollen als Warnhinweis angezeigt, den Betroffenen aber nicht mitgeteilt.
Das Schleswig-Holsteinische Innenministerium hat auf unsere Anfrage nun jegliche Auskunft zu der Frage verweigert, wie viele Schleswig-Holsteiner in welche Kategorie eingeordnet sind.
Mein Kommentar dazu: Schleswig-Holstein ist wieder einmal deutscher Meister in Intransparenz. Sämtliche bisher angefragten Bundes- und Länderpolizeien einschließlich des BKA haben ihre Hinweiskategorien veröffentlicht, nur Kiel nicht. Wie es der Eigensicherung schaden soll, wenn etwa die Zahl der ‘Freitodgefährdeten’ bekannt wird, ist unerfindlich und an den Haaren herbeigezogen. Mit dieser Missachtung des parlamentarischen und öffentlichen Informationsanspruchs schürt Innenminister Studt unnötig Misstrauen in unsere Polizei. Leider hat dies Tradition, denn auch Überwachungsstatistiken des Verfassungsschutzes werden von der rot-grün-blauen Landesregierung – entgegen der Praxis anderer Länder und des Bundes – systematisch geheim gehalten.[1] Die Versprechungen im Koalitionsvertrag, die Polizei müsse transparent sein und Schleswig-Holstein solle ‘deutschlandweit zum Vorbild für eine aktive Informationsfreiheit’ werden, klingen da wie eine Verhöhnung der Bürger. Wenn Ministerpräsident Albig und Innenminister Studt in diesem Punkt nicht einlenken, werden wir Piraten rechtliche Schritte in Erwägung ziehen müssen.
Hintergrund: In Berlin werden die Kategorien „Ansteckungsgefahr“ (ANST) und „geisteskrank“ (GKR) als stigmatisierend kritisiert. Das BKA hat im vergangenen Jahr bereits Merkmale wie “Prostitution”, “Landstreicher” und “Fixer” gelöscht. Eine Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz prüft zurzeit das weitere Vorgehen.
[1] Nicht vom Innenministerium beantwortete Fragen:

Anlage: Schreiben an den Innenminister vom gestrigen Tag

Sehr geehrter Herr Minister Studt,
2013 hatten wir den Einigungsausschuss angerufen, weil parlamentarische Anfragen nach der Zahl von Funkzellenabfragen und Stillen SMS durch den Verfassungsschutz nicht öffentlich beantwortet wurden. Damals wurde uns nochmalige Prüfung zugesagt, inwieweit eine kumulierte Offenlegung nicht doch möglich ist. Leider habe ich seither nicht mehr davon gehört.
Möglicherweise ist in Ihrem Hause die übliche Veröffentlichungspraxis anderer Bundesländer nicht bekannt. Ich habe Ihnen hier einige öffentliche Auskünfte über die Zahl versandter “Stiller SMS” durch Landesämter für Verfassungsschutz zusammengestellt:
Hamburg [1] [2]
Bayern
Thüringen
Insbesondere weise ich darauf hin, dass Hamburg auch kleine zweistellige Zahlen und Thüringen auch 0-Zahlen offenlegt.
Hamburg hat zudem offengelegt, dass das LfV keine Funkzellenabfragen durchgeführt hat.
Da die Verfassungsgerichte die Ablehnung einer öffentlichen Beantwortung parlamentarischer Anfrage voll nachprüfen, besteht kein Ermessensspielraum, der eine unterschiedliche Einschätzung von Land zu Land rechtfertigen könnte. Wenn andere kleine Länder folgenlos auch kleine Zahlen beauskunften, wäre unserem Landesverfassungsgericht kaum plausibel zu machen, warum dies nicht auch in Schleswig-Holstein möglich sein soll. Insbesondere ist der Wunsch, ein tatsächlich nicht vorhandenes Maß an Überwachung und Kontrolle vortäuschen oder die Öffentlichkeit zur Erzeugung von “Überwachungsdruck” darüber im Unklaren lassen zu wollen, kein verfassungsrechtlich tragfähiger Geheimhaltungsgrund. Die Veröffentlichung von Statistiken stellt erkennbar keine Offenlegung “von Einzelheiten zu Arbeitsweisen, Strategien, Methoden und Erkenntnisstand der Nachrichtendienste” dar, “die deren Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung gefährdete” (so der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 124, 161, 193).
Ich bitte Sie vor diesem Hintergrund, als nunmehr verantwortlicher Minister erneut die Möglichkeit einer Offenlegung zu prüfen und uns das Ergebnis mitzuteilen. Meines Erachtens würde der Verfassungsschutz in der öffentlichen Wahrnehmung von einer Offenlegung eher profitieren als wenn wir gegen die Geheimhaltung vor Gericht ziehen müssten.
Mit freundlichem Gruß,
Patrick Breyer

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