Umstrittene EU-Anti-Terror-Internetverordnung TERREG steht kurz vor der Verabschiedung
Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments (LIBE) hat heute einer neuen EU-Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet (TERREG) zugestimmt. 52 der Mitglieder haben für den Entwurf gestimmt, 14 waren dagegen. Die Verordnung soll nationalen Behörden ermöglichen, vermeintlich terroristische Internetinhalte innerhalb einer Stunde entfernen zu lassen, ohne dass ein Gerichtsbeschluss erforderlich ist – auch wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat gehostet werden. Der Vorschlag wurde von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen sowie von UN-Sonderberichterstatterinnen, der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) und der Internationalen Juristenkommission (ICJ) kritisiert.
Der Europaabgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) und seine Fraktion der Grünen/EFA lehnten die Verordnung ab. Als Verhandlungsführer seiner Fraktion (Schattenberichterstatter) erklärt Breyer:
“Trotz wichtiger Teilerfolge wie der Verhinderung einer Pflicht zum Einsatz fehleranfälliger Uploadfilter, dem gesonderten Schutz von Journalismus, Kunst und Wissenschaft und einer Ausnahme für kleine und nichtkommerzielle Plattformen von der 1-Stunden-Löschfrist, bedrohen die ultraschnellen grenzüberschreitenden Löschanordnungen ohne Richtervorbehalt die Meinungs- und Pressefreiheit im Netz.
Dass Victor Orban künftig in Deutschland direkt Internetseiten löschen lassen kann, öffnet politisch motivierter Internetzensur Tür und Tor – zumal der Terrorismusbegriff bedenklich weit und missbrauchsanfällig ist. Anti-Terror-Gesetze werden immer wieder für ganz andere Zwecke eingesetzt, etwa gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und spanische Musiker, gegen soziale Proteste in Frankreich, gegen Klimaschützer oder Einwanderer. Die Meinungsfreiheit in Europa wird so auf den kleinsten gemeinsamen Nenner harmonisiert. Leider drohen die grenzüberschreitenden Löschanordnungen Schule zu machen und sollen mit dem Digital Services Act allgemein eingeführt werden. Entsprechend dem Gerichtsurteil zum verfassungswidrigen französischen AVIA-Gesetz dürfte auch diese beispiellose EU-Anti-Terror-Internetverordnung das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung unverhältnismäßig weit einschränken und vor Gericht keinen Bestand haben. Nichts ist wirkungsloser gegen Terrorismus als ein aufgehobenes Gesetz.
Insgesamt ist unwahrscheinlich, dass diese Verordnung terroristische Anschläge verhindern wird. Um der Radikalisierung und Rekrutierung von Terroristen vorzubeugen, wäre es sinnvoller, legitime Missstände wie die Diskriminierung von Muslimen und Menschenrechtsverletzungen anzugehen und die zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Hassideologie und Islamismus sowie Programme zur Entradikalisierung und Aussteigerprogramme stabil zu finanzieren. Schließlich ist die entschlossene strafrechtliche Verfolgung des Terrorismus und der zu ihm aufstachelnden Inhalte wichtig. Zu oft waren Terroristen der Polizei schon lange bekannt, aber ihre Spuren wurden nicht weiterverfolgt. Ausgerechnet die Pflicht zur Anzeige strafbarer terroristischer Veröffentlichungen fehlt aber in dieser Verordnung, weil den Regierungen eine konsequente strafrechtliche Verfolgung zu viel Arbeit ist – das ist skandalös.”
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