Gesetzentwurf zur Prüfung von Eingliederungsvereinbarungen durch den Landesrechnungshof [ergänzt]
Behinderte Menschen haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, um ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu eröffnen. Diese Hilfen umfassen ambulante Dienste ebenso wie teil- und vollstationäre Einrichtungen wie beispielsweise Wohnheime, Tagesförderstätten oder Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Bereit gestellt werden solche Einrichtungen und Dienste überwiegend von Trägern der freien Wohlfahrtspflege und anderen gemeinnützigen oder gewerblichen Anbietern. Für ihre Leistungen erhalten die Einrichtungen und Dienste eine Vergütung von den Kreisen und kreisfreien Städten. Die Kreise und kreisfreien Städten erhalten Landesmittel in Höhe von über 600 Mio. € jährlich zur Finanzierung der Eingliederungshilfe. Diese machen drei Viertel der Sozialausgaben des Landes aus.
Kritiker bemängeln, die Einrichtungen hätten sich inzwischen vielfach “in kapitalistische Musterbetriebe umgewandelt”, die “sich kaum von den echten Shareholder-Value-Größen an der Börse” unterschieden. Die “Behindertenindustrie” lebe von der Exklusion und zementiere diese. Das Geld fließe in Strömen, werde allerdings zweckentfremdet. Finanziert werde die Behinderung, nicht deren Überwindung. Für die Träger lohne sich der dauerhafte Verbleib behinderter Menschen in Einrichtungen und Maßnahmen. Der Bundesrat beklagt, es bestehe keine effektive Möglichkeit, zu prüfen, “ob die versprochene Leistung nach Inhalt, Umfang und Qualität tatsächlich auch erbracht worden ist”. Berlin hat nach der “Maseratiaffäre” bei der Treberhilfe Berlin um üppige Gehälter und Sportwagen eines Sozialunternehmens die Initiative zu einer Gesetzesänderung ergriffen – bislang ohne Ergebnis.
Auch wenn in Schleswig-Holstein derartiges zum Glück nicht bekannt geworden ist: Eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Mittelverwendung durch Träger der Eingliederungshilfe ist erforderlich, um die öffentlichen Mittel möglichst effektiv und effizient für die hilfebedürftigen Personen einsetzen zu können und die notwendige Transparenz zu schaffen. Schon seit 20 Jahren fordert der Landtag, die Landesregierung möge mit den Trägern ein Prüfungsrecht des Landesrechnungshofs zu vereinbaren. Eine entsprechende Vereinbarung konnte jedoch seither nie getroffen werden, weil die Träger dazu nicht bereit waren. Vor diesem Hintergrund bleibt nur eine gesetzliche Regelung der Frage.
Nachdem wir Piraten schon den Wissenschaftlichen Dienst mit einem Gutachten zu der Frage beauftragt hatten, habe ich nun einen entsprechenden Gesetzentwurf verfasst:
Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Gesetz zur Prüfung von Eingliederungsvereinbarungen durch den Landesrechnungshof
Der Landtag möge beschließen:
In § 6 Absatz 2 des Gesetzes über die überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften und die Jahresabschlußprüfung kommunaler Wirtschaftsbetriebe (Kommunalprüfungsgesetz -KPG -) in der Fassung vom 28. Februar 2003 (GVOBl. 2003, 129), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.02.2011 (GVOBl. 2011, 50), werden nach dem Wort “Herausgabeansprüche” die Wörter “oder Prüfrechte” eingefügt.
Begründung:
Behinderte Menschen haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, um ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu eröffnen. Diese Hilfen umfassen ambulante Dienste ebenso wie teil- und vollstationäre Einrichtungen wie beispielsweise Wohnheime, Tagesförderstätten oder Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Bereit gestellt werden solche Einrichtungen und Dienste überwiegend von Trägern der freien Wohlfahrtspflege und anderen gemeinnützigen oder gewerblichen Anbietern. Für ihre Leistungen erhalten die Einrichtungen und Dienste eine Vergütung von den Kreisen und kreisfreien Städten. Die Kreise und kreisfreien Städten erhalten Landesmittel in Höhe von über 600 Mio. € jährlich zur Finanzierung der Eingliederungshilfe. Diese machen drei Viertel der Sozialausgaben des Landes aus.
Eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Mittelverwendung durch Träger der Eingliederungshilfe ist erforderlich, um die öffentlichen Mittel möglichst effektiv und effizient für die hilfebedürftigen Personen einsetzen zu können und die notwendige Transparenz zu schaffen.
Nach dem SGB XII sind bislang nur die Kreise und kreisfreien Städte berechtigt, bei den Einrichtungen und Diensten die „Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen“ zu prüfen. Das Prüfungsrecht der Kreise und kreisfreien Städte hat nach den Feststellungen des Landesrechnungshofs in der Praxis allerdings nur theoretische Bedeutung. Die Kreise und kreisfreien Städte hätten nicht genug Personal, um die Prüfungen flächendeckend durchzuführen. Nach den Feststellungen des Landesrechnungshofs müsse eine Einrichtung nur alle 240 Jahre mit einer Prüfung rechnen. Dies ist evident unzureichend. Die Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes und der Kosten-Nutzen-Effekt können so nicht bewertet werden.
Schon seit 20 Jahren fordert der Landtag, ein Prüfungsrecht des Landesrechnungshofs bei Einrichtungsträgern der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung zu vereinbaren. Eine entsprechende Vereinbarung konnte jedoch seither nie getroffen werden. Vor diesem Hintergrund bleibt nur eine gesetzliche Regelung der Frage.
Nach § 6 Abs. 2 des Kommunalprüfungsgesetzes hat der Landesrechnungshof schon bisher das Recht, Auskunfts- und Herausgabeansprüche der Kreise und kreisfreien Städte gegenüber Dritten an ihrer Stelle wahrzunehmen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die gesetzliche Formulierung dahingehend ergänzt, dass der Landesrechnungshof im Rahmen seiner Prüfungen auch Prüfungsrechte gegenüber Dritten wahrnehmen kann. Die Prüfzuständigkeit der Kreise und kreisfreien Städte bleibt davon unberührt.
Der Entwurf kann gerne kommentiert, verändert oder ergänzt werden.
Ergänzung vom 11.08.2013:
Hier die Stellungnahme des Schleswig-Holsteinischen Landkreistages vom 15.07.2013:
Wie Ihnen bekannt ist, verfolgt der Landesrechnungshof seit langem das Ziel, die Verwendung der kommunalen Mittel für die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach dem SGB XII bei den Diensten und Einrichtungen der Sozialhilfe prüfen zu können. Der Schleswig-Holsteinische Landkreistag hat sich in den Verhandlungen zu einem neuen Landesrahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB XII, der schließlich am 01.01.2013 in Kraft getreten ist, vor allem auf die Implementierung eines eigenen, anlassunabhängigen Rechts der örtlichen Träger der Sozialhilfe zur Prüfung der Qualität und Wirtschaftlichkeit bei den Diensten und Einrichtungen konzentriert und dieses letztlich durchgesetzt.
Im Rahmen der Verhandlungen sind erhebliche rechtliche Zweifel verblieben, ob ein Prüfungsrecht des nach § 79 Abs. 1 SGB XII nicht am Landesrahmenvertrag beteiligten Landesrechnungshofes im Landesrahmenvertrag verankert werden können. Insofern begegnet auch der nun vom Landesrechnungshof unterbreitete und von Ihnen aufgegriffene Vorschlag, das in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag „auf Augenhöhe“ vereinbarte Recht einer Vertragspartei gleichsam im Nachhinein auf einen Dritten zu übertragen Bedenken; mindestens ist zu befürchten, dass sich die Leistungsanbieter dann auf eine Änderung der Geschäftsgrundlage für den Vertragsabschluss berufen (können).
Wir möchten allerdings darauf hinweisen, dass nach Ziffer 6.3. der Allgemeinen Verfahrensvereinbarung, die als Anlage 1 Bestandteil des Landesrahmenvertrages ist, der örtliche Träger der Sozialhilfe bereits auf Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen berechtigt ist, „die Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen auch durch Dritte durchführen zu lassen“. In diesem Zusammenhang kommt nach unseren Vorstellungen jedenfalls im Einzelfall auch eine Beteiligung des Landesrechnungshofes an den Prüfungen in Betracht. Dies liegt allerdings im Ermessen der jeweiligen örtlichen Träger der Sozialhilfe.
Darüber hinaus regen wir an, den auch von Ihnen auf Ihrer Homepage erwähnten Gesetzentwurf des Landes Berlin zur Implementierung eines Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfungsrechts im SGB XII über den Bundesrat weiterzuverfolgen.
Für weiter Erörterungen stehen wir gerne zur Verfügung.
Kommentare
Problem kann natürlich die Definition eines Kosten-nutzen-Aspekts sein. Bei der Beurteilung des Nutzens muss festgestellt werden, wessen Nutzen da eigentlich gemeint ist. Es steht zu befürchten, dass mit diesem Gesetzentwurf nur fiskalische Interessen der an niedrigen Zahlungen interessierten Kommunen durchgesetzt werden. Ich Rate zu Humankontrolle durch Politik statt nur algoritm. Kontrolle durch Betriebswirte.
Grundsätzlich finde ich den Gedanken richtig, dass die “Behindertenindustrie” von der Exklusion lebt und diese zementiert. Gleichzeitig teile ich die Bedenken von Wolf-Dietrich, nicht nur rein fiskalische Aspekte in die Beurteilung einzubeziehen.
Für mich wäre im zweiten Schritt wichtig zu erfahren, welche ambulanten Dienste für die gleichen Zwecke zur Verfügung stehen. Und welche Strategien es gibt, deren Förderung auszubauen bzw. die Leistungen der stationären Einrichtungen zu modularisieren und sie auch in ambulanter Form, z. B. unter Einbeziehung eines Trägerübergreifenden Persönlichen Budgets nutzbar zu machen.
Freundlicher Gruß,
Ulrike
Hallo ihr zwei,
ich kann nachvollziehen, dass ihr euch an dem Begriff der “Wirtschaftlichkeit” von Leistungen für behinderte Menschen stört und fürchtet, dass dabei rein fiskalisch gedacht wird. Dieser Begriff ist bundesgesetzlich im SGB festgeschrieben. Ziel einer Wirtschaftlichkeitsprüfung kann sein, mit einem möglichst geringen Aufwand einen gegebenen Erfolg zu erreichen oder mit einem gegebenen Aufwand einen möglichst großen Erfolg zu erreichen. Welches Konzept verfolgt wird, entscheidet die Politik und nicht die Prüfer. Aber die Prüfung selbst kann die Politik nicht durchführen, dazu fehlen uns Wissen und Know-How.
Richtig verstanden, ist es für die Leistungsempfänger wichtig, dass die “Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen” stationärer und ambulanter Eingliederungseinrichtungen unabhängig geprüft wird. Nur so kann sicher gestellt werden, dass die Anbieter die vereinbarten Qualitätsstandards einhalten und dass von den staatlichen Zahlungen möglichst viel bei den Betroffenen ankommt (und nicht in Maseratis für Geschäftsführer versickert). Da die Kreise nicht das Personal und das Knowhow haben, um das effektiv zu prüfen, soll das Prüfungsrecht nach diesem Gesetzentwurf auch vom Landesrechnungshof wahrgenommen werden können. Welche Schlussfolgerungen aus den Prüfungsergebnissen gezogen werden, entscheidet immer die Politik.
Ulrike hat Recht, dass ein Vergleich verschiedener Einrichtungen sinnvoll ist. Gerade das spricht für eine landesweite Prüfung durch den Landesrechnungshof, weil dieser eine solche landesweite Vergleichbarkeit herstellen kann.
Es ist natürlich richtig, dass die Prüfung der “Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen” nur einen Baustein eines Inklusionskonzepts darstellt. Das beste Konzept greift aber nur, wenn es auch umgesetzt wird. Deswegen ist es wichtig, dass sichergestellt wird, dass Einrichtungen und Dienste nicht zulasten behinderter Menschen wirtschaften oder an der Qualität ihrer Leistungen sparen, zumal sie sich inzwischen verbreitet zu “kapitalistischen Musterbetrieben” entwickelt haben sollen.
Hallo Patrick,
ich finde den Grundgedanken ja gut, um die schwarzen Schafe dieser “Industrie” auszusortieren.
Allerdings ist mir schleierhaft, wie der Landesrechnungshof eine qualifizierte Bewertung vornehmen soll. Denn auch dort sitzen nur Leute, die nur die Aspekte der Wirtschaftlichkeit beleuchten können. Wie soll ein “Betriebswirt” beurteilen ob ein Mensch bei seiner Wiedereingliederung Fortschritte macht oder nicht?
Mal nebenbei, ich bin selbst von der Eingliederungshilfe betroffen.
Gruß
Stefan
Hallo Patrick,
ich nochmal. wie wäre es, wenn wir uns mal in diesem “Real-Life” treffen und uns dazu mal austauschen? Macht glaube mehr Sinn als Mails hin und her zuschicken!
Twitter mich einfach an: @stefanjoens
Gruß
Stefan
Hallo Stefan,
ich bin nicht auf Twitter, aber ruf doch ab August mal an: http://www.patrick-breyer.de/?page_id=19
Sehr geehrter Herr Breyer,
ich bin selbst in der EGH beschäftigt und erlebe nahezu jeden Tag, dass und wie die zuständigen Leistungsträger (Kommunen) Rechtsansprüche von Menschen mit Behinderung missachten, wie die Leistungserbringer (Anbieter) am Verhandlungstisch von den Leistungsträgern behandelt werden etc. Und Parlamentarier lassen sich von LRH und KOSOZ vor den Karren spannen. Der Verweis auf die Treberhilfe Berlin ist billig – ein absoluter Einzelfall! Und letztlich ist von den Vorwürfen nach etlichen Gerichtsverfahren auch kaum etwas übrig. Haben Sie die Beträge, die der LRH wiederholt als Einsparpotenzial für die EGH Schleswig-Holstein genannt hat, mal hinterfragt? Auf welcher Grundlage gelangt der LRH zu seinen Annahmen? Eine Antwort hierauf ist der LRH bislang schuldig geblieben. Wer hat denn nun ein Transparenzproblem? Hauptsache, Nebelkerzen werfen, damit die Allgemeinheit, die von dem Leistungsgeschehen der EGH (speziell in den Werkstätten) nichts weiß (wissen will?) bzw. nicht viel mitbekommt (mitbekommen will?), von restriktiven Maßnahmen gegen die “Sozialmafia” überzeugt werden kann. Klar ist, dass die EGH bezahlbar bleiben muss; und in den Vergütungsverhandlungen der Einrichtungsträger und Dienstleister der EGH mit den Kommunen kommt schließlich jede Zahl aus der Kalkulation auf den Tisch. Die Finanznot der Kommunen ist Folge ganz anderer Fehlentwicklungen und kann nicht zu Lasten der Menschen mit Behinderung gehen. Statt hier anzusetzen, hält man es für einfacher, den nach den Hartz IV-Reformen noch in der Sozialhilfe (SGB XII) verbliebenen letzten relevanten Ausgabenblock der EGH ins Visier zu nehmen. Von der SOZIALEN Marktwirtschaft bleibt immer weniger übrig, wozu man viel schreiben und besser noch: wogegen man etwas tun könnte. Lesen Sie mal Ingo Schulzes Essay „Unsere schönen neuen Kleider – Gegen die marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte“. Der LRH schaut durch die „Markt-Brille“. Wir erleben täglich überall die Folgen dieser beschränkten Sichtweise. Ich bezweifle, dass der LRH bei Prüfungen in den Einrichtungen der EGH den Wert und die Nachhaltigkeit der geleisteten pädagogischen Arbeit zu bewerten vermag. Das sollte fachlich geschultem Personal der Kommunen überlassen bleiben. Die Menschen mit Behinderung, aber auch Verbände der Leistungserbringer weisen im Übrigen seit Jahren darauf hin, dass die EGH aus der Sozialhilfe herausgenommen werden und der Bund sich an den Ausgaben beteiligen muss. DA gehört die Butter bei die Fische! – Im Übrigen arbeiten die mir bekannten Anbieter jeden Tag daran, den Teilhabeanspruch der Menschen mit Behinderung so gut wie möglich zu erfüllen. Machen Sie sich bitte mal selbst ein Bild davon, ehe Sie sich von Dritten für deren durchschaubare Zwecke einspannen lassen. MfG, A.E.